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Als mir 1976 der Rezensent einer Lokalzeitung beiläufig eins auswischen wollte, schrieb er süffisant im Nebensatz über »die Rotkäppchen-Sekt-Atmo-sphäre« in unserem Theater. Ich erinnere mich noch heute lebhaft an den Kollegen, wie er – einmaliges Erlebnis in meiner über vierzigjährigen Kabarett-Tätigkeit – zur Premiere als einziger im weißen Dinnerjackett erschienen war und angesichts des sonst überwiegend in Parka oder Pullover gewandeten Publikums irgendwie overdressed wirkte. Aber Rotkäppchen-Sekt stand bei uns wirklich auf der Getränkekarte. Nicht erst seit der Lektüre Brecht’scher Ausführungen über Theater im Biergarten war es mir stets wichtig erschienen, dem p.p. Publikum neben Denkanstößen von der Bühne auch sonst Dinge zu bieten, die man anderswo nicht oder zumindest nur selten bekam. Kaum vorstellbar heute, daß wir uns noch in den sechziger Jahren stolz rühmen konnten, den in Norddeutschland weit und breit einzigen Ausschank von Weizenbier (!) zu betreiben. Gebackener Camembert war damals eine absolute Novität, gepfefferte Eisbecher oder Gurken mit Honig, Smetana und Walnüssen gelten wohl auch heute noch als eher gehobene Küche. Bei uns kostete das alles wenig. Die weitgerühmte Spezialität des Hauses war jedoch ein – Soljanka. Da lacht der Ossi, und der Wessi wundert sich: So etwas gab es bis weit in die achtziger Jahre hinein bundesweit nur bei uns. Tatsache. So konnten wir – zugegeben ein wenig schlitzohrig – demonstrieren, daß die DDR, wenn sie schon keine Bananen anbaute, doch auch ihre speziellen Genüsse bot. (Wieviele der guten Suppen habe ich nicht auf DDR-Tournee probiert, bis ich das ultimative Rezept erschmeckt hatte!) Wie ganz selbstverständlich fanden sich im Angebot neben kubanischem Rum Meißner- oder Saale-Unstrut-Weine. Außer dem Bremer Ratsweinkeller besaßen wir auch hier das BRD-Monopol. Der Import war mühsam. Von jeder »Ostreise« brachten meine Frau und ich jeweils die fünf oder sechs Flaschen mit, die der Zoll erlaubt. Mehr war ohnehin nicht drin, weil die Beschaffung auch in der DDR nicht gerade einfach war. So jedoch hatten wir im Theater dann doch immer mal ein bis zwei Dutzend Flaschen auf Lager, und die langten über den Winter. Immerhin: Die Sachen standen auf der Karte, schon emanzipationshalber. Der Endverbraucherpreis war bei uns übrigens ohne Aufschlag eins zu eins kalkuliert. Auf die gleiche Weise verfuhren wir mit dem inkriminierten Rotkäppchen-Sekt. Nur einmal hatten wir plötzlich 20 Flaschen im Keller, als die Kollegen der Berliner »Distel« ein Gastspiel in unserem Theater gaben, seit 1951 das erste in der BRD und mithin eine veritable Sensation. Noch sensationeller war eigentlich nur die Fähigkeit des achtköpfigen Ensembles, sich auf unseren damals nicht ganz zehn Quadratmetern Bühne und in der knapp halb so großen Garderobe nicht zu verlaufen. Otto Stark, Intendant der »Distel«, hatte mich vorher gefragt: »Brauchst Du etwas aus der DDR, das wir Dir mitbringen können?« So kam es, daß dem bundesdeutschen Grenzbeamten auf seine Frage, was denn anzumelden sei, im Tourneebus aus geschulten Kabarettistenkehlen der sorgsam einstudierte Sprechchor entgegenschallte: »Zwei Flaschen Rotkäppchen!« Von 1975 bis 1990 haben wir unseren insgesamt rund 150 000 hannöverschen Theaterbesuchern im ganzen 52 Bouteillen verkauft – oder besser: zugeteilt. Genau also 0,00026 Liter oder reichlich ein Hundertstel Schnapsglas pro Kopf. Homöopathisch zwar, aber immerhin waren auch ein paar Flaschen des seltenen Brut dabei. Die meisten Bundesbürger indes hielten den Firmennamen Rotkäppchen ohnehin instinktiv für eine den volkseigenen Winzern aus ideologischen Gründen aufgezwungene Produktbezeichnung des »Zonen-Ersatz-Schaumwein«-Gesöffs. Kultgetränk auch im Westen ist der genannte Sekt erst heute. Soweit zur »Rotkäppchen-Sekt-Atmosphäre«. Im September 1990 fragte zu meiner großen Überraschung der Fernsehsender RTL an, ob ich am Abend des 2. Oktober nicht bei der hochnotpeinlichen Sondersendung zur Feier der bevorstehenden »Wiedervereinigung« mitwirken wolle. Erst später habe ich erfahren, welch aberwitzigem Mißverständnis ich diesen ehrenvollen Auftrag zu verdanken hatte. Ein paar Wochen zuvor war mein Auftritt zum 25-jährigen Bestehen des TV-Magazins monitor erfreulicherweise in standing ovations der anwesenden Fernsehleute gemündet. Klaus Bednarz hatte unter allgemeinem Jubel von der Bühne herab verkündet: »Nun ist klar, Dietrich Kittner muß wieder einen festen Sendeplatz bei ARD und ZDF haben«; Intendanten und Programmdirektoren hatten mir warm die Hand gedrückt – »Keine Sorge, mein Lieber, jetzt wird alles wieder«. Nur die Hausjuristin eines Senders zog mich beiseite: »Mach Dir keine Illusionen. Du hast tatsächlich Fernsehverbot, und das bleibt auch so.« So bestand dann das Ergebnis dieses »Rehabilitations-Auftritts« (Tagesthemen-Sprecher Friedrichs) folgerichtig einzig in einer Verpflichtung für stern-tv. Sechs Wochen hindurch durfte ich dort jeweils zwei bis drei Minuten Günther Jauchs abgelegte Sakkos auftragen – die paßten mir damals noch – und dazu meine satirischen Nachrichten sprechen. Der Auftritt war als »Nachbrenner« konzipiert, unmittelbar im Anschluß an den Nachspann. In den letzten Wochen des formellen Bestehens der DDR übernahm deren Deutscher Fernsehfunk die stern-Sendung regelmäßig in sein Abendprogramm. Beim dritten Mal war es dann passiert: Eine unaufmerksame Technikerin hatte routinemäßig gleich nach dem Nachspann den Regler heruntergezogen, was dazu führte, daß die Zuschauer mich für den Bruchteil einer Sekunde mit dem kurzen, jedoch tiefschürfenden Text bewundern konnten: »Guten Abend, meine Dam...«, dann wurde es finster auf der Glotze. Einem aufmerksamen Journalisten war dieser Vorgang als Zensur einer West(!)sendung durch das DDR-Fernsehen erschienen – daß dahinter nur eine »Stasi-Seilschaft« stecken konnte, war damals ohnehin jedem Einheitsbegeisterten klar –, und ich galt nun gewissen bundesdeutschen Gazetten völlig unverdient als Märtyrer. Die entsprechenden Zeitungsartikel waren den Fernsehmachern von RTL wohl nicht entgangen und als Beleg für meine Eignung gewertet worden. Zufällig war das historische Datum in meinem Tournee-Kalender schon fest notiert: Für den 2. Oktober stand Frankfurt/Oder – noch DDR – auf dem Programm, für den 3. Oktober Schwerin, über Nacht BRD geworden. Wir mußten also vorproduzieren. Auf vorherige Textvorlage glaubte man bei mir, dem vermeintlichen Opfer des DDR-Funk-Terrors, großzügig verzichten zu können, und so kam es, daß ich meine eher ketzerischen Ausführungen zur bevorstehenden Annexion eine Viertelstunde lang vor RTL-Kameras ausbreiten durfte. Die Techniker feixten, der Produzent merkte nichts; er widmete sich mehr der Vernichtung des Whisky-Angebots der Kantine. Die Sache war im Kasten. Zwei Tage vor den Einverleibungsfeierlichkeiten erreichte mich in meinem Berliner Hotel ein Anruf der Stadtverwaltung Frankfurt/Oder: Man müsse auf meine Vorstellung übermorgen leider verzichten, ein so linkes Programm passe »nicht zum Datum«. Schweigend zur Kenntnis genommen nur wurde mein Einwand, der rechtsverbindlich abgeschlossene Gastspielvertrag sehe nirgendwo vor, daß der Text ausgerechnet nur zum 2. Oktober 1990 zu passen habe; er enthalte vielmehr ausdrücklich den Passus: »Programmzusammenstellung ist allein Sache des Künstlers.« Ebensowenig fruchtete die Willenserklärung, ich würde selbstverständlich zur vereinbarten Zeit pünktlich vor dem Theater erscheinen, um vertragsgemäß meine Arbeitskraft anzubieten: Zwei Stunden später drückte mir der Hotelportier ein Fax des Frankfurter Polizeipräsidenten in die Hand. Es enthielt das offizielle Verbot der Kabarettveranstaltung. Meine Sicherheit könne nicht gewährleistet werden. So durfte ich Systemkritiker und Bürgerrechtler mich nach annähernd 300 Gastspielen in der DDR zuguterletzt dann doch noch mit einem, wenn auch in letzter Minute erteilten Auftrittsverbot schmücken. Ironie des Schicksals. Schon Stunden später wäre das nicht mehr möglich gewesen. Unverhofft kommt oft. Nur bei RTL hatte man möglicherweise doch schon etwas geahnt. (Die Vorstellung in Schwerin fand dann trotz des historischen Datums vor ausverkauftem Hause statt. Aber da war es ja schon in der westlichen Freiheit.) Verbittert saß ich also am Vorabend des großen Ereignisses in Berlin vorm Hotelfernseher. (Meine persönliche Teilnahme am gleichzeitig vor dem Reichstag tobenden Massenspektakel wollte ich der Nation ersparen. Ich gehe auch nie zu Bundesligaspielen.) So hatte ich Gelegenheit, den erwähnten RTL-Themen-Abend in voller Breite zu erleben. Der Ablauf war nach dem Schema der bekannten Wir-warten-auf-das-Christkind-Sendungen konzipiert. Ein flottes Moderatorenpaar sorgte zwischen Reportagen, Statements und Interviews für die Übergänge. (Fairneßhalber muß ich erwähnen, daß mein doch ein wenig aus dem Rahmen fallender Beitrag keinesfalls gestrichen oder auch nur geschnitten war.) Wie einen Gabentisch hatte man auf einem Stehpult vor den beiden Protagonisten allerlei DDR-Alltagsprodukte als malerisches Stilleben arrangiert: Ata, Karo- und F6-Zigaretten, Florena-Erzeugnisse, Halberstädter Würstchen, das Waschmittel Spee, Rotkäppchen-Sekt. »Viel bleibt von den Errungenschaften des Ostens nicht über. Oder wollen Sie zu Silvester etwa Rotkäppchen-Sekt trinken?« Locker aufgesetzt stellte der Junge die rhetorische Frage ans Publikum. Die Kollegin zeigte pflichtgemäß sogleich alle Zeichen des Abscheus: »Also ich bestimmt nicht.« Igittigitt. Die damals noch weitgehend unbekannte junge Frau ist bald darauf zum Medienstar des RTL-Krawall-Magazins Explosiv aufgestiegen. Markenzeichen ihrer Sendung: ein stereotypes »Mein Name ist Barbara Eligmann« zu Beginn. Ich habe diese lange, jedoch in ihren scheinbar unterschiedlichen Ebenen exemplarische Geschichte gern und oft Freunden erzählt, als Beispiel für ignorante, dumme Arroganz. Jedesmal konnte ich mir dabei eine Schlußbemerkung nicht verkneifen: »Jetzt gehört Frau Eligmann zum Jetset. Da ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß ich sie irgendwann mit einem Glas Rotkäppchen in der Hand erwische. Dann hole ich mein Video aus dem Giftschrank.« Genau 14 Jahre habe ich folglich das TV-Schaffen der prominenten Ostsekt-Verächterin unter diesem Aspekt gespannt beobachtet. Ende Oktober war die Mitwirkung von Barbara Eligmann in der Talkshow »Riverboot« angesagt. Meine Zielperson sprach über Beruf und Haushalt, über gesunde Ernährung, über alles und jedes – nur nicht über Sekt. Die Chance betrug ja nun auch wirklich bestenfalls eins zu zwanzig Millionen. Ein Lotto-Sechser ist sicherer. Aber – auch wenn die Sache im Grunde längst verjährt ist – ich bin nun mal hartnäckig. Frau Eligmann aß Schokolade, plapperte drauflos, trank jedoch nichts. Als der Nachspann lief, war ich tief frustriert. Wegen einer Marotte hatte ich nutzlos viel Zeit verplempert. Dann kam der Nachbrenner: »Die Sendung wurde gesponsert von – Rotkäppchen-Sekt.« Na also. * Mit Gerhard Schröder – ich gestehe es ein – verbindet mich doch etwas Privates: die gelegentliche Freude an der Currywurst. Immer in Berlin – und nur dort – gönne ich mir ab und zu das Vergnügen, an der Stehbude »eine Currywurst und eine Currybulette mit scharfen Zwiebeln« zu ordern. Dazu nach Berliner Sitte »einen lauwarmen Kakao« oder, wenn es später am Abend ist, »ein Pils«. Eine meiner bevorzugten Bratereien befindet sich auf dem Kurfürstendamm. (Den an dieser Stelle obligatorischen Protestruf meiner Brüder und Schwestern im Osten »Konopke, Konopke!!« erlaube ich mir mit dem Hinweis zu kontern, daß ich als kulinarischer Individualist immer schon mal abweichende Meinungen vertreten habe. Ich bin – s.o. – umgekehrt ja auch Soljanka-Fan.) Schon vor einigen Jahren war mir an besagtem Imbiß ein gleich neben dem Grill an die Wand genageltes Kanzlerporträt aufgefallen: Schröder mit dem stolzen Budenbesitzer glücklich strahlend werbewirksam eine Currywurst verzehrend. Darauf das obligatorische Autogramm. Seit kurzem ist das Bild verschwunden. Nach dem Grund gefragt, klärte mich die diensthabende Braterin auf: »Ach, das hat wahrscheinlich jemand gestohlen.« Und dazu zwinkerte sie mir vielsagend feixend zu. Nun hätte sich in solchem Fall der Inhaber des Unternehmens natürlich einen neuen Abzug bestellen können, und der Gerd hätte – schon wg. Volksnähe – sicher noch mal seinen Namenszug daraufgesetzt. Aber Imbißbudenbetreiber wissen eben doch allemal mehr über Volkes Meinung als die teuren Demoskopiefirmen. So hat er die Sache wohl realistisch betrachtet, das Kanzlerbild als geschäftsschädigend empfunden und sich gesagt: »Der Schröder kann mir gestohlen bleiben.« Schröder sollte seine Meinungsforscher doch mehr Currywurst essen lassen.
Erschienen in Ossietzky 23/2004 |
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