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So borgte sich Frau von Ossietzky von einem ihr Bekannten – ich glaube, er war Möbelhändler – zehntausend Mark, und Hans Leonard pumpte sich dieselbe Summe bei der Partei. Schon nach einem halben Jahr war dieses Gründungskapital restlos abbezahlt! V: Was für einen ausgesprochen rasanten, ökonomisch ungewöhnlich glücklichen Neuanfang spräche... M: Rasant war er, und wie! Hier die damaligen Auflagehöhen pro Heft: Das allererste erschien am 1. Juni 1946 in einer Auflage von 81 550 Exemplaren. Von Nummer 2, die am 24. Juni ausgeliefert wurde, druckten wir bereits 101 800, und im September 1946 erreichte die Auflage 108 870 Exemplare. Mitte Juni 1947 überschritt sie die 150 000, und das zweite Septemberheft erreichte gar die Rekordhöhe von 169 370. Von da an sank die Nachfrage allerdings langsam wieder auf 120 000 Stück und pegelte sich bis April 1948 auf wöchentlich rund 100 000 ein. So wäre es wohl auch weitergegangen, hätte nicht die westdeutsche Währungsreform im Juni 1948 die bestens funktionierenden Vertriebsverbindungen nach Westdeutschland jäh unterbrochen und uns vor eine völlig neue politische Lage gestellt. Ein konkretes Beispiel: Der Springer-Verlag stellte die westdeutschen Großhändler nun vor die Alternative, entweder die Weltbühne oder die bereits in einer Millionenauflage erscheinende Rundfunk-Programmzeitung Hör zu zu vertreiben. Wie sich die Händler entschieden, ist unschwer zu erraten. So kam es, daß die Weltbühne ab 29. Juni 1948 nur noch 30 000 Exemplare druckte, aber selbst dieses Niveau war nicht mehr zu halten. Bis zum November 1948 sackte es, bei einem Verkaufspreis von 60 Pfennig, auf 25 000 ab, und im Mai 1949 druckten wir vorübergehend nur noch 19 000, woraufhin wir den Preis pro Heft auf 40 Pfennig senkten, was aber nichts brachte. Danach hielt sich die Auflage zunächst bei 20 000, stieg dann ab Oktober, also unmittelbar nach Gründung der DDR, geringfügig an, und zwar bei einem Heftpreis von nunmehr 50 Pfennig, der bis 1989 und noch etwas darüber hinaus gehalten wurde. Spürbar, nämlich auf 28 000 bis 30 000 Stück, stieg die Auflage erst wieder ab Dezember 1949, was zum Teil mit den von Leonard eingeführten, von DDR-Bürgern zu finanzierenden Patenschaftsabonnements für westdeutsche Leser zusammenhing, aber sicherlich auch der Tatsache zu verdanken ist, daß die Weltbühne in den Lesezirkeln der DDR Fuß fassen konnte. Leider reichte das nicht aus, um die inzwischen bei der Druckerei aufgelaufenen Schulden loszuwerden. Dennoch versuchten wir durchzuhalten, die Weltbühne aus eigenen Kräften weiterzuführen. Dazu muß ich freilich sagen, daß ihr Apparat um 1950 herum noch sehr klein und bescheiden war. Zu unserer Belegschaft zählten, abgesehen von Leonard und mir, den beiden Redakteuren, lediglich eine Halbtagssekretärin und eine Halbtagsbürokraft, welche auch die Räume heizte. Beim Kuvertieren und Versenden der Hefte legten Leonard und ich regelmäßig mit Hand an. Weniger regelmäßig flossen unsere Gehälter; zumeist bezogen wir sie in Raten von hundert bis zweihundert Mark, und zuerst bekamen allemal diejenigen ihr Geld, die ihre Miete noch nicht bezahlt hatten. Kurzum, wir waren ungeheuer sparsam, ganz einfach, weil wir anders nicht über die Runden gekommen wären. Besonders schlecht ging es der Weltbühne anno 1951. Die Auflage rutschte im Januar auf 17 000, im April auf 16 000, dann wieder 17 000. Das war sozusagen die Todesgrenze für die Zeitschrift; ein weiteres Absacken hätte ihr Ende bedeutet. Die Rückschläge waren derart dramatisch, daß uns gar nichts anderes übrigblieb, als zu versuchen, den Weltbühnen-Verlag in eine GmbH umzuwandeln. Nur so, schien es, konnten wir hoffen, einen neuen Geldgeber zu finden. In einem Brief an Wilhelm Pieck äußerte sich Leonard ausführlich über die Gründe seines damaligen Scheiterns: Obschon das SED-Zentralkomitee beschlossen hatte, daß der Aufbau Verlag die Weltbühne vorübergehend stützen sollte, hatte Johannes R. Becher, der Kultusminister, all unsere Bemühungen hintertrieben – vermutlich um seinen eigenen Zeitschriften, dem Aufbau und dem Sonntag, unsere Konkurrenz vom Leib zu halten. Aber das vermute ich nur. Fest steht dagegen, daß er sich, als es uns dreckig ging, außerordentlich schäbig verhielt. Sie, Jean Villain, waren 1951 übrigens gerade in den Tagen, da die weitere Zukunft der Weltbühne auf Messers Schneide stand, zum ersten Mal in Berlin, dürften jedoch von unserm Kampf ums Überleben kaum etwas gemerkt haben. V: Stimmt. Ihr empfingt mich derart wohlgelaunt und gastfreundlich, daß mir Eure existenziellen Probleme verborgen blieben. Was allerdings auch an der damaligen Berliner Gesamtatmosphäre lag. Benutzte ich doch das in Ost-Berlin stattfindende, seine Teilnehmer zutiefst beeindruckende, ja euphorisierende Weltjugendfestival, um Euch – nach immerhin zweijähriger Mitarbeit – endlich kennenzulernen. M: Nun ja, Leonard hat sich auch sonst nie in seine Konten gucken lassen. Die Übersicht über sie behielt er mittels eines seltsamen Zettel-Systems, das zum Teil aus abgerissenen Dreiecken von Briefumschlägen bestand, ihm aber immerhin ermöglichte, jederzeit absolut präzise Auskunft über einzelne Kontenstände zu geben. Als ich nach seinem Tod zwei Koffer übernahm, die er in seinem Keller aufgehoben hatte, fand ich in dem einen Unmengen dieser streng geheimen kleinen Zettel und auf jedem weiter nichts als Zahlen. Einige von ihnen dürften sich auf ein Devisenkonto bezogen haben, das der Weltbühne aus der westdeutschen Währungsreform von 1948 erwachsen und von Leonard für die Zeitschrift gerettet worden war. So hatten wir zwar zeitweise fast gar kein Geld in Pankow, verfügten aber nach wie vor über Devisen, mit denen wir Beiträge zeitweise auch in harter Währung bezahlen konnten. Zum Beispiel Ihre, die der Reifferscheidts, die von Bruno Frei und die von Hugo Huppert. Außerdem schaffte es Leonard, mit einem freundlichen Zeitungsgroßhändler in Köln ins Geschäft zu kommen, was zwar zweifellos ein bißchen am Rande der damaligen wirtschaftspolitischen Spielregeln und damit der Legalität war, aber der Redaktion immerhin Westmark-Beträge sicherte, über die sie frei verfügen konnte. Auch aus dieser Quelle wurden Honorarzahlungen finanziert, was, solange die Berliner Ost-West-Grenze noch offen war, relativ problemlos ging. Später allerdings mußte Leonard dieses Konto dem Büro für Urheberrechte zur Verfügung stellen. Dennoch ist die Weltbühne bis 1971 in diesem Bereich weitgehend unabhängig geblieben. Nach Leonards Tod führte sein für DDR-Verhältnisse zwar recht ungewöhnlicher, jedoch wohlüberlegter Umgang mit den Devisenkonti der Weltbühne übrigens zu einem kuriosen Zwischenfall. Er ereignete sich im Januar 1967. Eskortiert von zwei Genossen aus dem Zentralkomitee, erschien Hermann Budzislawski in der Redaktion, um deren Führung zu übernehmen. Als Erstes bat er mich, auch die andern Redakteure zum Gespräch zu bitten. Als ich ihm klarmachte, daß er mangels weiterer solcher mit mir allein vorlieb nehmen müsse, wirkte er schon ein bißchen konsterniert. Als Nächstes stellte sich heraus, daß er ohne mein Wissen mit der Partei bereits abgesprochen hatte, daß verlagstechnische Obliegenheiten der Weltbühne künftig vom Berliner Verlag mitbesorgt würden. Er wolle zwar gerne ihr Herausgeber sein, aber, bitte, keine verlegerische Verantwortung für sie übernehmen müssen. Als das Stichwort »Berliner Verlag« in dem Zusammenhang gefallen war, sah ich Budzislawski sehr, sehr ernsthaft an und sagte ihm dann ganz ruhig: »Aber wir haben doch ein Devisenkonto…« Er schaltete augenblicklich. Von Haus aus Ökonom, war er clever genug, sofort zu erfassen, welch ein Wucherpfund ihm entgangen wäre, hätte er auf seine verlegerische Zuständigkeit tatsächlich verzichtet. So viel zur Devisenpolitik der Weltbühne. Daß wir aber 1950 trotz des schrecklichen Konflikts mit Becher, trotz der wachsenden Schulden gegenüber der Druckerei und aller sonstigen Problemen überlebten, verdanken wir einem Ereignis, das in der bisherigen Weltbühnen-Geschichtsschreibung unerwähnt geblieben ist, heute jedoch endlich festgehalten werden sollte. Damit das Blatt nicht untergehe, faßten nämlich die Genossen Drucker und Setzer der Landesdruckerei Dresden von sich aus den Parteibeschluß, die aufgelaufenen Rechnungen zu stornieren. Und tatsächlich, nur dem Umstand, daß die Landesdruckerei stille hielt und viel Geduld mit uns hatte, ist es zu verdanken, daß die Weltbühne überlebte! Sie hatte selbst dann noch Geduld mit uns, als wir uns, um die wöchentlichen Reisekosten Berlin-Dresden-Berlin einzusparen, gezwungen sahen, im Umfeld von Berlin eine billigere Druckerei zu suchen – was gar nicht einfach war. Wir landeten bei einer Druckerei in Rüdersdorf, die mitten in dem dort alles beherrschenden Zementwerk lag. Auch in der Druckerei war immer alles mit Kalkstaub bedeckt, und wir sahen regelmäßig wie die Müller aus, wenn wir von dort zurückkamen. Aber das Unternehmen verfügte über sehr anständige Maschinen, lieferte einen sauberen Druck, nadelte die Hefte einwandfrei, kam auch mit den Aufklebern zurecht und stellte sich, wahrscheinlich, weil es sonst nicht viel zu tun hatte, völlig auf uns ein. In unsere Rüdersdorfer Zeit fiel der 17. Juni 1953. Der Zufall wollte, daß Rüdersdorf just an dem Tag das fertige Heft zum Vertrieb an das Hauptpostamt am Berliner Ostbahnhof ausliefern sollte. Dort übernahm es dann meistens unser Kollege Löwe und veranlaßte alles Weitere. Da es nun aber in Berlin unruhig war, überlegte es sich Löwe, der ein hervorragender Kumpel und reich an pfiffigen Einfällen war, für diesmal anders. Er rief Rüdersdorf an, fuhr bis zum Stadtrand, wartete dort auf den Lastwagen der Druckerei, setzte sich mit ins Fahrerhäuschen, hatte auf den Knien einen Stadtplan und ich einen zweiten derselben Art auf dem Redaktionstisch. Ich rief die Polizeireviere an, um herauszukriegen, ob die Straßen, die wir uns ausgedacht haben, passierbar und ruhig wären, und Löwe rief von unterwegs immer wieder mich an, um sich von mir die nächste sichere Wegstrecke durchgeben zu lassen. So hangelten wir uns von Polizeirevier bis Polizeirevier weiter und schafften es, die Auflage pünktlich und verlustlos am Ostbahnhof abzuliefern. Leonard war zu der Zeit auf Urlaub in Ahrenshoop. Schon am 16. Juni, dem Tag, als der Bauarbeiterstreik begann, dachte ich, daß ich ihn telefonisch auf einiges vorbereiten müsse. Also rief ich an und erzählte ihm vom Streik, doch da fiel er mir sofort mit der irritierten Frage ins Wort, weshalb ich ihn denn mitten in seinem Urlaub ans Telefon hole, nur weil in Westberlin irgendwelche Leute streikten. Selbst als ich zum dritten Male wiederholte, daß nicht irgendwo am Kudamm, sondern auf der Karl-Marx-Allee gestreikt werde, konnte er’s kaum fassen, und so richtig packte er’s wohl erst, als ich ihm mit einigem Nachdruck empfahl, sich irgendwo in Ahrenshoop einen Rundfunkempfänger zu beschaffen, auf dem er verschiedene Sender empfangen könne, was damals ja auch nicht ganz einfach war. Das tat er dann auch. Noch in derselben Nacht vom 16. zum 17. Juni rief er zurück, bat mich um Verzeihung dafür, daß er mich angeschrien hatte, und verkündete mir, er werde früh am Morgen losfahren. Das jedoch verbot ich ihm energisch. Dicke mit Autos, versuchte ich ihm klarzumachen, seien in Berlin zur Zeit überflüssig. Was er nun wieder nicht verstehen wollte. Erst als ich ihn vorsichtig wissen ließ, daß immerhin schon einige Kollegen »behindert worden« seien, begann er zu begreifen. Dann berichtete ich ihm noch, daß die Auflage raus und alles in Ordnung sei, in der Redaktion normal gearbeitet werde und ich die Leserkartei in Sicherheit gebracht hätte. Tatsächlich hatten wir die Karteikästen, ohne welche die arme Leserschaft ohne Weltbühne geblieben und auch sonst alles verloren gewesen wäre, samt der Adressenschlagmaschine gemeinsam aus dem Eckladen in der Florastraße in die obere Etage geschleppt, wobei ich mir ziemlich revolutionär vorkam. Im Fall eines Übergriffes wäre der Laden nicht zu schützen gewesen. Leonard erklärte sich sehr einverstanden mit dem, was wir gemacht hatten, bat mich aber, bei der Polizei Personenschutz anzufordern. Doch genau dies schien mir das Verkehrteste zu sein. Wenn ich bis jetzt noch nicht aufgefallen war, dann deshalb, weil mich keiner kannte. Eskortiert von zwei Polizisten dagegen wäre ich sofort aufgefallen. Kurzum, selbst diese seltsamen Tage überstand die Weltbühne. Und bald auch ihre schwere Finanzkrise. V: Wie lange dauerte die Durststrecke? M: Bis Mitte, Ende 1953. Dank äußerster Sparsamkeit schafften wir es schließlich, aus den roten Zahlen herauszukommen. Was freilich auch einige Kraftakte erforderte, die über die Knochen der Mitarbeiter ging. V: Das war zu spüren! M: Gewiß. Aber es gab eben einen Kreis von Autoren, die trotz spärlicher Honorare durchhielten. Manche freilich mußten nach einer Weile passen. Nicht, weil sie nicht mehr wollten, sondern weil sie nicht mehr konnten. Aber das waren wenige. Eines sicheren Fixums wegen ging Peter Edel zur BZ am Abend, Leo Menter zum Filmspiegel. Der einzige feste Berliner Autor, der durchhielt, war Lothar Kusche. Aber der hatte genügend andere Einnahmen, war nicht ganz so dringend auf Weltbühnen-Honorare angewiesen. Und alle Autoren, die bei uns schrieben, wußten selbstverständlich um die Kümmerlichkeit dieser Honorare, aber alle waren, wie in ihren Memoiren nachzulesen ist, stolz darauf, Mitarbeiter der Weltbühne zu sein oder gewesen zu sein. Dies hervorzuheben war übrigens selbst Leuten wichtig, die dort vor 1933 vielleicht nur mal zwei Artikel publiziert hatten. Es scheint also eine Ehre gewesen zu sein, für dieses Blatt zu schreiben. Als wir Ende 1953 wieder einigermaßen flott waren, bezahlten wir der Dresdener Landesdruckerei als Erstes unsere Schulden und konnten nun mit gutem Gewissen wieder dort drucken lassen.
Erschienen in Ossietzky 22/2004 |
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