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Diesmal keine politische Manipulation Ariel Scharons. Mehr als nur ein Erpressungstrick der Siedler. Man spricht darüber bei Kabinettstreffen und in der Knesset, bei Fernseh-Talkshows, in Leitartikeln und auf den Nachrichtenseiten. Der Generalstabschef hat öffentlich davor gewarnt, die Armee könne auseinanderfallen. Einer der Minister sagt sogar, die Existenz Israels stehe auf dem Spiel. Ein anderer Minister prophezeit ein Blutbad wie im Spanischen Bürgerkrieg . Still und weniger still trifft der Geheimdienst (Shin Bet) Vorbeugemaßnahmen. Der Gefängnisverwaltung ist befohlen worden, Einrichtungen für Massenverhaftungen vorzubereiten. Die Armeeführung plant, zehntausend Reservesoldaten einzuziehen, und denkt nach, welche Schritte im Fall eines Falles unternommen werden müßten. Es ist tatsächlich eine sehr ernste Bedrohung. Auf den ersten Blick mag es aussehen, als käme sie aus dem Nirgendwo. Doch wer Augen hat, die sehen, wußte, daß dies früher oder später eintreten werde. Die Saat für einen Bürgerkrieg wurde gesät, als die erste Siedlung in den besetzten Gebieten errichtet wurde. Damals sagte ich zum Ministerpräsidenten in der Knesset: »Sie legen eine Landmine. Eines Tages werden Sie sie demontieren müssen. Als früherer Soldat möchte ich Sie davor warnen, denn das Demontieren von Landminen ist ein sehr unangenehmer Job.« Seitdem sind Hunderte von Minen gelegt worden. Und noch immer werden die Minenfelder ausgeweitet. Der Prozeß wurde von religiösen Spinnern angeführt. Ihr erklärtes Ziel sei es – so sagten sie damals und werden nicht müde, es zu wiederholen –, alle Araber aus dem Land zu treiben, das uns Gott versprochen hat. Und das uns von Gott verheißene Land ist, wie neulich einer von ihnen uns im Fernsehen erinnerte, nicht das »Palästina« des britischen Mandats – das Land der Verheißung schließt vielmehr Jordanien, den Libanon und Teile von Syrien und den Sinai mit ein. Ein anderer zitierte aus der Bibel und erklärte, wir seien in dieses Land gekommen, nicht nur um es zu erben, sondern um andere zu enterben, sie zu vertreiben und ihren Platz einzunehmen. Seitdem der damalige Verteidigungsminister Schimon Peres Kedumim als erste Siedlung mitten in die palästinensische Bevölkerung auf der Westbank eingepflanzt hat, breiten sie sich wie die Heuschrecken aus. Jede Siedlung hat nach und nach das Land und Wasser der benachbarten palästinensischen Dörfer gestohlen, ihre Bäume entwurzelt, ihre Straßen blockiert und neue Straßen gebaut, die für Palästinenser gesperrt sind. Fast alle Siedlungen haben Ableger auf den benachbarten Hügeln angelegt. Das hat sich bis heute fortgesetzt. Nachdem Scharon Präsident Bush feierlich versprochen hat, einige dieser »Außenposten« aufzulösen, sind Dutzende neue aus dem Boden gesprossen. Alle Ministerien helfen den Außenposten, die offiziell als »illegal« definiert werden. Die Armee verteidigt sie nicht nur – und setzt so ihre Soldaten Gefahren aus –, tatsächlich sagt sie der »Hügeljugend« sogar, wo sie ihre Außenposten hinsetzen soll, und berät sie insgeheim. Als wir vor der Gefahr warnten, wurde uns gesagt, wir sollten sie nicht so ernst nehmen. Fanatische Freaks seien nur eine Minderheit der Siedler, beruhigte man uns: »Die sind wirklich verrückt, und sie werden jedem Versuch, sie zu entfernen, gewaltsam Widerstand leisten. Aber das wird kein großes Problem sein, weil der größte Teil der israelischen Bürger sie verabscheut und für eine Sekte von Spinnern hält.« Die meisten Siedler gingen dorthin, weil ihnen die Regierung teure Villen geschenkt habe, die sie sich in Israel selbst nicht mal im Traum hätten vorstellen können. Sie suchten »Lebensqualität«. Wenn die Regierung ihnen sagen werde, sie sollen weggehen, würden sie ihre Kompensationen nehmen und wegziehen… All das ist eine gefährliche Täuschung. Wie Karl Marx sagte, wird das Bewußtsein der Leute von ihrer Situation bestimmt. Die guten Leute von der Partei der Arbeit, die, als ihre Partei regierte, auf die Westbank und in den Gazastreifen verpflanzt wurden, reden und benehmen sich jetzt wie die schlimmsten Jünger des verstorbenen faschistischen Rabbiners Meir Kahane. Außerdem wurde uns gesagt: »Sogar die irren Typen erkennen die israelische Demokratie an. Keiner wird seine Hand gegen die Soldaten der israelischen Armee erheben. Wenn die Regierung und die Knesset entscheiden, daß die Siedlungen geräumt werden müssen, dann werden sie gehorchen. Sie werden wohl Radau machen und eine Show des Widerstandes abziehen, wie sie es bei der Räumung der Siedlungen im Nordsinai 1982 machten, aber letzten Endes werden sie nachgeben. Schließlich hat sich auch im Sinai kein einziger Siedler zu guter Letzt geweigert, Entschädigungen anzunehmen. Aber diese Geringschätzung der Siedler ist nicht weniger gefährlich als die Geringschätzung der Araber. Was die ganze Zeit verborgen gehalten wurde, ist nun deutlich geworden: Den Siedlern sind die Demokratie und die Institutionen des Staates völlig egal. Ihr harter Kern legt es folgendermaßen aus: Wenn die Resolutionen der Knesset der Halachah, dem jüdisch religiösen Gesetz, widersprechen, dann hat die Halachah Priorität. Die Knesset bestehe schließlich nur aus einer Bande korrupter Politiker. Und welchen Wert hätten säkulare Gesetze, ein Abklatsch der Goyim (Nicht-Juden), im Vergleich zum Wort Gottes (Gelobt sei sein Name)? Viele Siedler reden noch nicht so offen und tun so, als wären sie beleidigt, wenn man ihnen diese Haltung vorwirft. Tatsächlich aber werden sie vom harten Kern mitgezogen, der schon alle Masken hat fallen lassen. Sie fordern nicht nur die Politik der Regierung heraus, sondern auch die israelische Demokratie als solche. Sie erklären offen, ihr Ziel sei es, den Rechtsstaat zu stürzen und an seiner Stelle den Staat der Halachah einzusetzen. Der Rechtsstaat ist dem Willen der Mehrheit unterworfen, die die Gesetze erlässt und , wenn notwendig, ändert. Der Staat der Halachah ist der Torah unterworfen, die ein für alle Mal am Berg Sinai gegeben wurde und unveränderlich ist. Nur eine sehr kleine Anzahl von herausragenden Rabbinern hat die Autorität, die Halachah auszulegen. Das ist natürlich das Gegenteil von Demokratie. In einem anderen Land würde man diese Leute Faschisten nennen. Die religiöse Färbung ändert nichts daran. Die religiös-rechten Rebellen sind stark motiviert. Viele von ihnen glauben an die Kabbala – nicht die modische Kabbala der US-Schaupielerin Madonna, sondern an die wirkliche, die besagt, die heutigen säkularen Juden seien Amalekiter, denen es nach dem Auszug aus Ägypten gelungen sei, sich in das Volk Israel einzuschleichen, wie bei Kabbala-Forscher Seffi Rachlewski (Der Esel des Messias«) nachlesen ist. Gott selbst hat – wie jeder weiß – den Befehl gegeben, die Amalekiter vom Antlitz der Erde zu vertilgen. Kann es eine vollkommenere Ideologie für einen Bürgerkrieg geben? Warum ist das zu diesem Zeitpunkt eine Bedrohung geworden? Es ist noch nicht klar, ob Scharon wirklich beabsichtigt, die wenigen Siedlungen im Gaza-streifen zu räumen. Aber so, wie die Siedler es sehen, ist allein der Gedanke, eine einzige Siedlung zu räumen, ein casus belli. Dadurch würde alles angegriffen, was ihnen heilig ist. Scharons Versuch, sie zu überzeugen – ein paar kleine Siedlungen zu opfern, um all die anderen zu retten – sei nur ein Trick. Vergeblich. Die Siedler haben, um ihre große Rebellion vorzubereiten, ihr Potential aufgedeckt. Die bekanntesten Rabbiner der »religiös zionistischen Bewegung« haben erklärt, die Evakuierung einer Siedlung sei eine Sünde gegen Gott, und die Soldaten aufgerufen, sich den Befehlen zu widersetzen. Hunderte von Rabbinern, einschließlich der Rabbiner der Siedlungen und der religiösen Armee-einheiten, haben sich diesem Aufruf angeschlossen. Die Stimme der wenigen Opponenten ist im Lärm untergegangen. Sie zitieren den Talmud, der besagt: »Das Gesetz des Königreichs ist Gesetz«. Das heißt, man muß jeder Regierung gehorchen, so wie von den Christen gefordert wird, »dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist«. Aber wer hört jetzt noch auf diese »moderaten Rabbiner«? Längst ist die Armee von innen erobert worden. Die »Vereinbarung« mit den Yeschivot (religiöse Schulen), die in der Armee als getrennte Einheiten ihren Dienst tun, hat einem riesigen trojanischen Pferd erlaubt, einzudringen. Bei jeder Auseinandersetzung zwischen ihren Rabbinern und den Armeekommandeuren werden die Soldaten der Yeshivot den Rabbinern gehorchen. Es ist aber noch schlimmer: Seit Jahren sind die Siedler systematisch in die Ränge des Offiziers-korps eingedrungen, wo sie nun sogar ein noch größeres Trojanisches Pferd darstellen. Die Verweigerung derjenigen vom rechten Flügel, Befehlen zu gehorchen, hat nichts mit der Verweigerung derer vom linken Flügel zu tun, die aus Gewissensgründen verweigern. Die Verweigerung der Linken ist persönlich. Die Verweigerung der Rechten ist eine kollektive Meuterei. Bei den Linken sind es nur ein paar Hundert, die sich weigern, der Besatzung zu dienen. Auf der Rechten sind es viele Tausend, sogar Zehntausend, die den Befehlen ihrer Rabbiner gehorchen. Wie der Generalstabschef gewarnt hat, kann sich die Armee aufspalten. Alle zusammen mögen die Siedler mit ihren engsten Verbündeten in Israel einschließlich der Yeschivot-Studenten etwa eine halbe Million Leute sein – eine mächtige Phalanx der Rebellion. Bis jetzt benutzen die Siedler diese Drohung nur als Instrument der Erpressung und Abschreckung, um von Anfang an jeden Gedanken an die Räumung von Siedlungen und Gebieten abzuwürgen. Aber wenn die Erpressung keinen Erfolg hat, wird die große Rebellion nur eine Frage der Zeit sein. Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert
Erschienen in Ossietzky 22/2004 |
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