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Brechts Johanna steht uns näher. Kriegenburg zeigt die Heldin nicht als Selbstmord-Attentäterin – er schlüsselt das Stück vom Ende her auf. »Wo bin ich?« fragt Johanna da. Zu Beginn hängt sie an Seilen frei im Raum zwischen Himmel und Erde. Es gibt in Hamburg drei verschiedene Johannas. Eine lebt in einem weißen Raum, in einer inneren Leere und Einsamkeit, im Gefängnis ihrer selbst. »Kein Gott erscheint, kein Engel zeigt sich mehr. Die Wunder ruhn, der Himmel ist verschlossen« – der Text von Schiller wird von Kriegenburg aufgenommen, bis in den Irrsinn getrieben. Er macht uns die psychische Situation Johannas verständlich, das Aus-der-Welt-sein-wollen angesichts der Verzweiflung über Kriege, die immer wieder geführt werden. Natali Seelig als Johanna steht in manchen Szenen sich selbst gegenüber, verständnislos. Die gläubige Hingabe, mit der sie in den Kampf zieht, ist eine andere Johanna, Doreen Nixdorf spielt sie. Zum Schluß verwandelt sich die Schillersche Köhlersfrau, hier eine Commedia-Dell’-Arte-Figur (Katharina Matz), in Johanna. Lernt von ihr das Aufsässige, das, was rebelliert, nicht mehr mitmacht, sich dem Kampf gegen Völker verweigert. Kein Krieg mehr. Einige Darsteller – Hartz-Reform? – müssen mehrere Jobs ausführen. So spielt Katharina Matz, wunderbar böse wie eine Hexe, auch noch die Königin Isabeau, die zum Kampf aufhetzt. Der König von Frankreich, Karl der Siebte, dargestellt von Jörg Pose, ist auch der Herzog von Burgund. Das trägt zur Verwirrung bei. Und der Schwarze Ritter, der das Unheil vorhersagt, schlüpft in die Rolle einer Krankenschwester, die Blut schöpft. Blutbesudelt ist auch der weiße Anzug Johannas (»Ein Schlachten war’s, nicht eine Schlacht zu nennen«). Man sieht sie nie wirklich kämpfen, doch wen sie verletzt, der steht da und verröchelt sein Leben qualvoll, Blut spuckend ohne Ende. Auf die Bühne geknallte Baumstämme demonstrieren schmerzhaft laut die Kämpfe – Cellospieler halten sehr akzentuiert dagegen. In einer Szene, ganz in Rot, zeigt Kriegenburg, wie die Krieger, mit Strumpfmasken ununterscheidbar gemacht, am Tisch sitzen wie beim Abendmahl und sich langsam in kläffende Köter verwandeln. Daß Johanna an der Liebe zu Lionel, dem Anführer der Engländer, scheitert – Schiller läßt sie dann doch wieder in den Krieg ziehen – wirkt antiquiert und unerträglich im Pathos. Den hohen Schiller-Text läßt der Regisseur ironisch zelebrieren oder abwechseln mit schnoddriger Jetzt-Sprache. Was meine Nachbarin zur Rechten nach der Pause wegtrieb. Erstaunlich, wie die junge Natali Seelig es schaffte, diesen ständigen Wechsel von der Kriegsheldin zu der an sich selbst zweifelnden, alles in Frage stellenden Johanna nachzuvollziehen. Leider war sie oft kaum zu verstehen, was Zurufe des Publikums befreiend deutlich machten. Ist Schillers Johanna noch spielbar? Wie wirkt dieser Text heute: »Horch, das ist der Kriegsmarsch meines Volkes! Wie mutig er in das Herz mir schallt und siegverkündend! Verderben über England!« Man fühlt sich sechzig Jahre zurückversetzt und sehnt sich nach Brechts »Johanna der Schlachthöfe«, die in Hamburg uraufgeführt wurde vor 45 Jahren. Nur die Regie, die ihn zerstört, kann Schiller retten. * Nicht zu retten ist, was Sebastian Schlösser aus Ernst Lubitschs Anti-Hitlerfilm von 1942 für das Theater heute macht. »To be or not to be« wurde in den USA zu einer Zeit gedreht, als man dort von einer systematischen Judenvernichtung kaum etwas wissen konnte. Der Film sollte die Nazigrößen lächerlich machen. Das und nur das allein scheint heute die Absicht des jungen Regisseurs Schlösser zu sein. Im Hamburger Schauspielhaus inszenierte er »Sein oder Nichtsein« als mehr oder weniger gut gespielte Boulevardkomödie. Hitler ist »in«, wie Eichingers Film »Der Untergang« zeigt. Das Hamburger Publikum applaudierte eifrig. Es gab keine Mißfallensäußerungen bei der Premiere. Schlösser (»Wertungen sind vermessen«), der auch schon »Das doppelte Lottchen« mit viel Erfolg am Schauspielhaus herausgebracht hat, bewirkte, daß das Lachen kein Ende nahm. Warschau 1939, eine Hitlerrede im Radio: »Danzig war und ist deutsch« – alle lachen. Wie verzerrt das klingt aus dem Volksempfänger. Hitler, im Bilderrahmen, zertreten, wird durch den Schauspieler Bjarne Mädel ersetzt, der sich den leeren Rahmen vors Gesicht hält – die Idee wird belacht. Das Spiel mit den falschen Bärtchen ist auch sehr komisch. Der Shylock-Monolog (»Sind wir nicht Menschen…«) des Schauspielers Grünberg, dargestellt von Bernd Moss, und das Abführen Grünbergs nach links werden kaum bemerkt – das glucksende Publikum ist abgelenkt von einer deutschblonden Frau, die von einer Loge herab »Die Fahne hoch« singt. Hitler, rechts auf der Bühne erschienen, sieht zur Sängerin mit der blonden Haarkrone und zieht die Blicke mit sich hoch. »Alle lachen über alles« sagte der Preisträger Esterházy in seiner Frankfurter Friedenspreisrede. Das ist wahr. In Hamburg sorgte die Regie dafür, daß das Lachen nie im Halse stecken blieb.
Erschienen in Ossietzky 21/2004 |
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