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Die Führer der Arbeitspartei erklärten, Scharons Plan sei in Wahrheit ihr eigener; deshalb hätten sie die Pflicht, sich der Regierung anzuschließen und Scharon bei der Verwirklichung des Planes zu helfen. Ich war einer der wenigen, die sofort ihre Stimme gegen den Plan erhoben hatten. Ich argumentierte, dies sei in Wirklichkeit ein Plan des rechten Flügels, um den größten Teil der Westbank zu annektieren, den Friedensprozeß zu begraben und die Öffentlichkeit in Israel und im Ausland zu täuschen. Ich war mir sicher, weil ich Scharon kenne. Ich beobachte den Mann seit 50 Jahren und habe drei biografische Aufsätze über ihn geschrieben. Ich weiß, was er denkt, und ich weiß, wie er handelt. Jetzt hat Dov Weissglass all dies und noch einiges mehr, was ich gesagt hatte, bestätigt. In einem Interview der Zeitung Haaretz erklärte er, der einzige Zweck des Planes sei, den Friedensprozeß »einzufrieren«. Mit dem »Abzug« verfolge die Regierung das Ziel, die Verhandlungen mit den Palästinensern für viele Jahre zu blockieren und jede Diskussion über die Westbank zu verhindern – gleichzeitig aber die israelischen Siedlungen in einer Weise auszudehnen, daß es für einen zukünftigen palästinensischen Staat keine Möglichkeit mehr gäbe. Dov Weissglass ist nicht irgendwer. Er erinnert mich an die »graue Eminenz«, den Sekretär des Kardinals Richelieu. Damals, vor 400 Jahren, wurde gemunkelt, nicht Richelieu regiere Frankreich, sondern der Sekretär ziehe die Fäden. Weissglass ist seit Jahrzehnten Scharons juristischer Berater und enger persönlicher Freund. Er ist Scharons Sonderbotschafter für heikle Missionen, er ist der Mann, der Condoleezza Rice um den kleinen Finger wickelt. In Scharons Menagerie ist er der Fuchs. Sein offenes Statement im Haaretz-Interview ist das letzte Wort. Es beschämt nicht nur die einfältigen Seelen von »Peace Now« und die weniger einfältigen Seelen von Schimon Peres & Co in der Arbeitspartei, sondern auch George W. Bush und die anderen Politiker weltweit, die monatelang dieses Täuschungsmanöver für einen ernsthaften Friedensplan gehalten haben (der arme Colin Powell nannte ihn sogar »historisch«). * Weissglass’ Enthüllung wetteiferte in den Medien mit dem »Tragbahren-Fall« – einer Geschichte, die auch Scharons Methode aufdeckt. Sie hätte irgendwie lustig sein können, wenn sie nicht tragische Folgen hätte haben können. Scharon möchte die UNWRA zerstören, das spezielle Hilfswerk der Vereinten Nationen für die palästinensischen Flüchtlinge, das das Elend von vier Millionen Menschen mildert. Es ist eine große Organisation mit etwa 25 000 Angestellten, einschließlich Lehrern, Sozialarbeitern und Ärzten, fast sämtlich Palästinensern. Es versorgt die Flüchtlinge mit Lebensmitteln, Schulen, Gesundheitsdiensten und in Notfällen mit einem Dach über dem Kopf. Ohne diese Hilfe wären die Flüchtlinge längst in einen Abgrund von Hunger und Verzweiflung geraten. Im Augenblick, während unsere Armee ganze Stadtteile im Gazastreifen samt ihrer Infrastruktur zerstört, versorgt die UNWRA auch diejenigen notleidenden Palästinenser, die keine Flüchtlinge sind, mit Lebensmitteln, Zelten und Medikamenten. Allein die Existenz dieser Organisation stört Scharon und seine Generäle, die den Widerstand der Palästinenser zu brechen wünschen, indem sie ihnen das Leben zur Hölle machen. Nachdem sie systematisch versucht haben, die palästinensische Nationalbehörde zu zerschlagen, versuchen sie nun, die UNWRA zu vernichten. Wie in den Medien berichtet wurde, befahl Scharon seinen Generälen, der Propaganda-Abteilung des Außenministeriums Fotos zukommen zu lassen, mit denen sich beweisen ließe, daß die UNWRA mit »Terrororganisationen« zusammenarbeite. Am nächsten Tag waren auf allen Fernsehkanälen von Drohnen aufgenommene Luftaufnahmen zu sehen, die eine Qassam-Rakete zeigt, wie sie in einen UNRWA-Ambulanzwagen geladen wird. Das war der Anfang einer wilden Kampagne gegen die Organisation. Israelische Diplomaten in New York verlangten, daß der dänische UNRWA-Direktor Peter Hansen gefeuert werde. Zwei Tage später platzte die Sache. Die UNRWA teilte mit, der Mann auf dem Foto trage keine Rakete, sondern eine Tragbahre. Zunächst leugneten die Generäle das, dann stotterten sie, schließlich gaben sie halbherzig zu, vielleicht sei ein bedauerlicher Fehler unterlaufen: Die professionellen Analysten des Nachrichtendienstes der Armee, rangniedrige Feldwebel und Leutnants, könnten die Bilder falsch interpretiert haben. Diese Antwort muß hinterfragt werden: Haben die Analysten absichtlich gelogen, oder haben sie wirklich geglaubt, was sie sagten? Die eine Möglichkeit ist so schlimm wie die andere. Wenn Experten lügen, dann tun sie nichts Ungewöhnliches. Man könnte sagen, sie tun das, was Geheimdienstler weltweit tun. Sie versorgen ihre Chefs mit der Information, die die Chefs hören möchten. Bush wollte den Irak angreifen? Der CIA besorgte Informationen über Saddam Husseins Massenvernichtungsmittel. Scharon will die UNRWA zerstören? Der Nachrichtendienst besorgt Fotos von Peter Hansens Raketenwerfern. Als vor 50 Jahren ausländische Korrespondenten mich über die Glaubwürdigkeit der offiziellen Verlautbarungen der Streitkräfte befragten, pflegte ich zu sagen, unsere Armee lüge nicht. Man solle ihren Kommuniques glauben, solange nicht das Gegenteil bewiesen wird. Diese Zeiten sind längst vorbei. Wenn mir heute dieselbe Frage gestellt wird, rate ich, nicht ein einziges Wort von Armeemeldungen zu glauben, solange es nicht bewiesen ist. Es ist also keine Überraschung, daß der Nachrichtendienst lügt. In zahllosen Auftritten vor dem Kabinett und dem Außen- und Sicherheitskomitee der Knesset haben die Chefs des Nachrichtendienstes früher schon Lügen und falsche Einschätzungen verbreitet. Allerdings gibt es noch die Möglichkeit, daß die Analysten davon überzeugt sind, die von ihnen weitergegebene Information sei wahr. Das wäre noch erschreckender. Man muß kein Experte sein, um festzustellen, daß der Mann auf dem besagten Foto keinen Raketenwerfer trägt. Niemand würde ein schweres Gerät mit einer Hand tragen wie die Person auf dem Foto. Es ist ganz klar: Sie trägt einen leichten Gegenstand. Ein zweiter Blick darauf zeigt: Dieser Gegenstand ist zweifellos eine Tragbahre. Er sieht wie eine Tragbahre aus, und der Mann trägt ihn wie eine Tragbahre. Warum ist es so schrecklich, wenn die Experten einen Fehler machen? Es ist deshalb so schrecklich, weil die Luftstreitkräfte schon oft einen von eben diesen Foto-Analysten identifizierten »Raketenwerfertrupp« bombardiert haben. Innerhalb von Sekunden werden die Ergebnisse solcher Idenzifizierungen weitergeleitet, und innerhalb von Sekunden wird getötet. Danach verkündet der Armeesprecher mit großer Befriedigung, daß wieder ein todbringender Trupp eliminiert wurde. Wie viele Menschen, einschließlich Kindern, sind auf Grund dieser »sicheren Identifizierungen« getötet worden? Noch schlimmer: Durch diese speziellen »Fehler« werden Soldaten praktisch dazu aufgefordert, auf Ambulanzen zu schießen, die Verwundete transportieren. Ich traf Peter Hansen einmal bei einer UN-Konferenz über Flüchtlinge. Er beeindruckte mich als dezente Person mit hohen Grundsätzen. Ich hoffe, er bleibt auf seinem Posten. * Ein Todesfall durch »sichere Identifizierung« vor einigen Tagen sollte die Welt aufgeschreckt haben: Iman Alhamas, ein 13jähriges Mädchen aus Rafah, war wie jeden Tag auf seinem üblichen Schulweg. Plötzlich wurde sie von allen Seiten gezielt beschossen. Die Ärzte holten 20 Kugeln aus ihrem Körper. Da nicht jede Kugel ihr Ziel erreicht und einige einfach durchgehen, mögen es wenigstens 100 Kugeln sein, die aus verschiedenen Positionen abgefeuert wurden – einhundert Kugeln für ein kleines Mädchen. In ihrer Schultasche befanden sich nur Schulbücher. Der Armeesprecher veröffentlichte das verlogene Routinestatement: Das Mädchen habe eine »verbotene Zone« betreten, die Soldaten hätten sie für eine »Terroristin« gehalten. Die Tasche habe ausgesehen, als enthalte sie Sprengstoff. Und so weiter. Und wie verhielt es sich in Wirklichkeit? Die einfachste Erklärung: Die Soldaten schossen, als wären sie auf einem Schießstand, und sie schossen aus Rache für die beiden Kinder, die in der israelischen Stadt Sderot durch eine Qassam-Rakete getötet worden waren. Aber das ist unglaubwürdig. Eine andere, nicht weniger alarmierende Erklärung: Die Soldaten sind in einem ständigen Zustand von Panik. Ich habe in meinem Leben Soldaten in Panik gesehen, die auf alles schossen, was sich bewegte. Vielleicht war es dies, was hier passierte. Das Mädchen warf seine Schultasche weg und begann wegzurennen, als ein Warnschuß abgefeuert wurde – und die Soldaten, statt auf die Schultasche zu schießen, schossen auf sie. * Die skeptische Haltung der israelischen Öffentlichkeit gegenüber Ankündigungen des Sicherheitsapparates verursachte jetzt eine andere Tragödie: Am Vorabend zum jüdischen Neujahrsfest riet der Sicherheitsdienst der Öffentlichkeit, wegen ernster Warnungen nicht in den Sinai zu fahren. Die Menschen stimmten mit den Füßen ab – sie glaubten den Warnungen einfach nicht. Zehntausende verbrachten die jüdischen Feiertage im Sinai. Sie waren davon überzeugt, die Warnung habe politische Gründe; denn falls die Drohung ernst gewesen wäre, hätten die Behörden doch sicher die Grenze geschlossen… Dieses Mal jedoch waren die Warnungen gerechtfertigt. Viele Dutzende Touristen wurden bei Anschlägen in den Hotels von Taba getötet und verwundet. Keine palästinensische Organisation hätte daran gedacht, die ägyptische Regierung zu provozieren. Deshalb sieht es so aus, als ob etwas Neues passiert wäre. Wir haben viele Male gewarnt: Die junge arabische und muslimische Generation der Welt werde nicht auf immer tatenlos zusehen, wenn jeden Tag das Fernsehen zeigt, wie das arabische Volk gedemütigt wird. Die Apathie der arabischen und muslimischen Regierungen gegenüber dem Geschehen in den besetzten palästinensischen Gebieten sieht in ihren Augen wie Feigheit aus, die nichts gegen die Demütigung unternimmt, oder wie widerlicher Verrat. Die Mißhandlung des palästinensischen Volkes durch Scharon und seine Vorgänger hat eine explosive Situation geschaffen. Die Invasion des Irak durch Bush hat den Funken geliefert. Eine arabisch-muslimische Widerstandsbewegung hat sich entwickelt, ein Widerstand, der keinen Unterschied zwischen dem Irak und Palästina macht und keinen zwischen Israel, den USA und den arabischen Regierungen. Das scheint die aktuelle Botschaft vom Sinai zu sein. Uri Avnery, der 2002 den Carl-von-Ossietzky-Preis der Stadt Oldenburg erhielt, lebt in Tel Aviv. Er ist Sprecher der Friedensbewegung »Gusch Schalom«. Ellen Rohlfs’ Übersetzung aus dem Englischen ist vom Verfasser autorisiert.
Erschienen in Ossietzky 21/2004 |
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