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Der Aufruf: In dem »Aufruf an alle Bundeswehrsoldaten des Jagdbombergeschwaders 33 (Büchel)« heißt es: »Verweigern Sie jegliche Beteiligung an der völker- und grundgesetzwidrigen nuklearen Teilhabe!« Begründung: »Es sind auf Ihrem Arbeitsplatz US-amerikanische Atombomben stationiert, und Sie stellen mit der Wartung, Instandhaltung, Einsatzübung und Bereithaltung Ihrer Tornado-Kampfflugzeuge die Trägermittel bereit, um im sog. Ernstfall jene Atombomben einzusetzen. Ein solcher Ernstfall könnte künftig auch ein Präventivschlag sein, schenkt man dem Anfang des vergangenen Jahres vom Pentagon veröffentlichten Grundsatzdokument zur militärischen Nuklearstrategie Glauben, welches Planspiele für den präventiven Einsatz von Atomwaffen gegen mindestens sieben Länder, darunter Rußland, China, Libyen, Syrien, bzw. die sogenannte ›Achse des Bösen‹ – Irak, Iran und Nordkorea – enthält. Zudem entschied der US-Kongress im November 2003, das Verbot für den Bau von Mini-Atombomben aufzuheben, womit die Ära einer neuen Generation von Atomwaffen eingeläutet worden ist, und gleichzeitig hält die NATO weiterhin an der Ersteinsatzoption von Atomwaffen fest. Auf diesem Hintergrund sollten Sie Ihre Unterstützung der nuklearen Teilhabe neu bewerten und dabei bedenken: A) Die Stationierung von Atomwaffen auf Ihrem Militärflugplatz steht nicht in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofes vom 8. Juli 1995. Sie ist völkerrechtswidrig. B) Die durch Ihre berufliche Tätigkeit praktizierte nukleare Teilhabe verstößt (spätestens im Kriegsfall) gegen die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 2 Nichtverbreitungsvertrag. Sie ist völkerrechtswidrig. C) Die Stationierung von Atomwaffen auf Ihrem Militärflugplatz und Ihre Einbindung in die nukleare Teilhabe verstoßen gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2, Satz 1 Grundgesetz). Beides ist verfassungswidrig. Eine Beteiligung und Unterstützung der nuklearen Teilhabe ist somit nicht zu rechtfertigen! Deshalb rufen wir Sie auf: Verweigern Sie konsequent Ihre entsprechenden Einsatzbefehle! Lehnen Sie sich auf gegen jegliche Unterstützung der nuklearen Teilhabe! Ermutigen Sie Ihre Kameraden, sich Ihrem Ungehorsam anzuschließen!« Es folgt eine ausführliche Rechtshilfebelehrung. Außerdem werden die Namen der bislang 53 Unterzeichner des Aufrufs angegeben (unter ihnen Gregor Böckermann, Regina Hagen, Till Müller-Heidelberg, Clemens Ronnefeldt, Elke Steven, Konstantin Wecker und Joseph Weizenbaum).
Die Anklage: Die Staatsanwaltschaft Koblenz wertet die Verteilung des Aufrufs als Straftatbestand nach § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten). Die Angeschuldigten »werden angeklagt, am 08.06.2004 in Büchel gemeinschaftlich, öffentlich und durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat, nämlich der eigenmächtigen Abwesenheit nach § 15 Wehrstrafgesetz, der Fahnenflucht nach § 16 WStG, des Ungehorsams nach § 19 WStG, der Gehorsamsverweigerung nach § 20 WStG, der Meuterei nach § 27 WStG und der Verabredung zur Unbotmäßigkeit nach § 28 WStG aufgefordert zu haben«. Begründung: »Am 08.06.2004 verteilten die Angeschuldigten vor dem Haupttor des Fliegerhorstes in Büchel Abdrucke eines Flugblattes an ankommende bzw. abfahrende Soldaten und klemmten Abdrucke des Flugblattes unter die Scheibenwischer der dort parkenden Fahrzeuge. Das Flugblatt enthielt einen ›Aufruf an alle Bundeswehrsoldaten des Jagdbombergeschwaders 33, Büchel; Verweigern Sie jegliche Beteiligung an der völker- und grundgesetzwidrigen nuklearen Teilhabe!‹ Weiter wurde ausgeführt, auf dem Bundeswehrstützpunkt seien US-amerikanische Atombomben stationiert. Bundeswehrsoldaten würden mit der Wartung, Instandhaltung, Einsatzübung und Bereithaltung der Tornado-Kampflugzeuge die Trägermittel bereitstellen, um im sog. Ernstfall jene Atombomben einzusetzen. In dem Flugblatt, für dessen Inhalt der Angeschuldigte Theisen presserechtlich verantwortlich zeichnete, wurden die Bundeswehrsoldaten aufgefordert: ›Verweigern Sie konsequent Ihre entsprechenden Einsatzbefehle!... Ermutigen Sie Ihre Kameraden, sich Ihrem Ungehorsam anzuschließen!‹« Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Koblenz bereits mit nahezu identischer Begründung einen Strafbefehl beantragt. Erstaunlich hieran ist, daß die Staatsanwaltschaft lediglich im Konjunktiv formuliert, ohne auch nur im Ansatz zu prüfen, ob denn die nukleare Teilhabe der Bundeswehr vielleicht den Hauch einer Rechtswidrigkeit haben könnte. Eine derart ohne Sachprüfung konstruierte, juristisch abstruse Anklage wird, davon bin ich überzeugt, zumindest vor den Obergerichten nicht haltbar sein.
Bevorstehende Gerichtsverhandlung: Nachdem das Amtsgericht Cochem bereits vor einigen Wochen den Strafbefehl (30 Tagessätze à 30 Euro) erlassen hat, wurde inzwischen auch die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen. Diese wird vor dem Amtsgericht Cochem am Dienstag, 23. November, um 14 Uhr im Sitzungssaal 100, (Ravenestraße 39, 56812 Cochem) stattfinden. Die Frage der Rechtmäßigkeit der nuklearen Teilhabe der Bundeswehr wird damit erstmals zum zentralen Gegenstand eines Strafverfahrens. Die andere Frage, ob sich die Beschuldigten mit ihrer Aufforderung zur Befehlsverweigerung strafbar gemacht haben oder eben nicht, wird sich nur beantworten lassen, wenn zuvor geklärt ist, ob die Beteiligung an der nuklearen Teilhabe gegen das Völkerrecht (und somit gegen das Grundgesetz) verstößt. Wenn ja, dann würde sich kein Soldat strafbar machen, wenn er die auf die nukleare Teilhabe ausgerichteten Befehle verweigern würde, und dann bliebe folglich auch ein Aufruf zu einer solchen Befehlsverweigerung straffrei. Insofern verspricht die Gerichtsverhandlung spannend zu werden. Wahrscheinlich wird sich das Strafverfahren auf mehrere Instanzen erstrecken. Im Falle einer Verurteilung ist eine Verfassungsbeschwerde geplant. Wer den Aufruf unterzeichnen möchte (und damit allerdings die Einleitung eines Strafverfahrens riskiert) oder weitere Informationen zu dem Strafverfahren wünscht, wende sich an den Autor: Hermann Theisen, Moltkestraße 35, 69120 Heidelberg (hermann.theisen@t-online.de). Spenden sind auf folgendes Konto erbeten: Sonderkonto Hermann Theisen, Sparkasse Heidelberg, Bankleitzahl 67250020, Konto 1000499036.
Erschienen in Ossietzky 21/2004 |
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