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Der Angeklagte, dem es an Geld nicht mangelt, besorgte sich gute Rechtsanwälte. Diese konnten die Mittäterschaft ihres Mandanten nicht leugnen und plädierten trotzdem auf Freispruch. Der Richter, ein honoriger Mann, zeigte großes Verständnis für das den Klägern angetane Leid, ihre Klage aber lehnte er ab. Hocherfreut darüber, forderte der Angeklagte über seine Rechtsanwälte von den Klägern, ihm die Prozeßkosten, eine erkleckliche Summe, zu erstatten, anderenfalls hätten sie mit Pfändung zu rechnen. So kam es, daß der Mörder straffrei ausging und die Angehörigen der Ermordeten ihm Schadenersatz zahlen sollten. Der dem deutschen Rechtsstaat vertrauende Bürger wird diese Geschichte in das Reich der Fabel verweisen. Aber so etwa, wie sie geschildert wurde, hat sie sich zugetragen. Allerdings geschah der Überfall nicht in einer deutschen Kleinstadt, sondern – der gut informierte Ossietzky-Leser wird es erkannt haben – in dem serbischen Städtchen Varvarin. Hier, auf halber Strecke zwischen Belgrad und Kosovo, hat die NATO am 30. Mai 1999, übrigens drei Tage nach der Haager Kriegsverbrecher-Anklage gegen den damaligen jugoslawischen Präsidenten Milosevic, mit zwei aufeinanderfolgenden Raketenschlägen die militärisch völlig unbedeutende kleine Brücke über die Morava angegriffen, zehn Menschen erschlagen und viele andere Bewohner, allesamt Zivilisten, verletzt, 17 von ihnen schwer. Zwei Jahre danach haben die Hinterbliebenen der Ermordeten und die zum Teil dauerhaft geschädigten Überlebenden mit Hilfe einer deutschen Unterstützergruppe die am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beteiligte Bundesrepublik Deutschland verklagt und von der Bundesregierung Schmerzensgeld und Schadenersatz gefordert. Am 10. September 2003 hat das Landgericht Bonn die Klage als unbegründet zurückgewiesen, da sowohl die Haager Landkriegsordnung als auch das Genfer Abkommen zum Schutz der Zivilbevölkerung im Kriege nur den Unterzeichnerstaaten – also nicht den geschädigten Zivilisten – das Recht zur Klage einräume. Daß der Richter den Klägern sein »volles Mitgefühl« aussprach, war diesen nur ein schwacher Trost. Mit Hilfe ihres Hamburger Rechtsanwaltsbüros haben sie gegen das Urteil Berufung eingelegt, über die am 24. Februar 2005 vor dem Oberlandesgericht Köln mündlich verhandelt werden wird. Die Varvariner streiten weiter für ihr Recht und für Gerechtigkeit. Doch auch die Angeklagte, die nunmehr berufungsbeklagte Bundesrepublik Deutschland, ist nicht untätig geblieben. Auf der Grundlage eines Kostenfeststellungsbeschlusses des Landgerichtes Bonn haben ihre Anwälte die serbischen Kläger, die Ehepartner, Väter und Mütter der Getöteten und die Schwerstverletzten, aufgefordert, rund 16 000 Euro an ihre Mandantin, die Bundesrepublik Deutschland, zu zahlen. Diese, so die Regierungsanwälte, erwäge, »noch in diesem Jahr aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß zu vollstrecken, sollte bis zum 30. September 2004 dieser Betrag nicht überwiesen sein«. Hier wird die eingangs erzählte Geschichte endgültig zur bitteren Realität. Tatsächlich: Nicht genug damit, daß die deutsche Bundesregierung sich weigert, die Opfer ihrer Kriegsbeteiligung zu entschädigen, will sie sie nun auch noch zur Kasse bitten und droht den leidgeprüften und bitterarmen Varvarinern mit Pfändung. Formaljuristisch mag ein solches Vorgehen korrekt sein – laut geltendem Verfahrensrecht hat eine unterlegene Partei dem Verfahrensgegner die Prozeßkosten zu erstatten –, moralisch ist es ein Tiefschlag der bösesten Sorte. Offenkundig ist der Bundesregierung jedes Mittel recht, um die serbischen Kläger vor weiteren Schritten zur Durchsetzung ihrer Ansprüche abzuschrecken und die eigene Kasse aufzufüllen. Aber eigentlich ist sie in ihren Forderungen ja noch bescheiden – vor allem wenn man berücksichtigt, daß die deutsche Teilnahme am Überfall auf Jugoslawien und an der nachfolgenden Besetzung des südserbischen Kosovo Milliarden Mark und Euro verschlungen hat und daß es laut Joseph Fischer ohne den »richtigen« und »notwendigen« NATO-Angriffskrieg (der Außenminister bezeichnete ihn in der Sonderdebatte des Bundestages zum Sturz von Milosevic vornehm als »Eingreifen«) »garantiert nicht einen Sieg der Demokratie in Belgrad gegeben« hätte. So betrachtet, ist die Methode, die serbischen Opfer an den Kriegskosten zu beteiligen, ausbaufähig. Zwar wird die Summe der unmittelbaren Kriegskosten bis zum heutigen Tag geheim gehalten, aber warum sollten sich zum Beispiel die Arbeiter der zerstörten Zastava-Autowerke in Kragujevac und des zertrümmerten Petrochemischen Komplexes in Pancevo bei Belgrad, die Bewohner der verwüsteten Bergarbeitersiedlung in Aleksinac, die Hinterbliebenen der auf der Eisenbahnbrücke über die Schlucht von Grdelica von Raketen zerfetzten Zugreisenden nicht an den Ausgaben für die demokratieschaffenden »Luftschläge« (wie der damals zuständige Minister Scharping sich auszudrücken beliebte) beteiligen? Zwar weiß die Öffentlichkeit nicht, an welchen erfolgreichen Angriffen die deutsche Luftwaffe direkt beteiligt war, welche Ziele sie getroffen, welche »Kollateralschäden« sie verursacht und wie viele Menschen sie erschlagen oder verstümmelt hat, aber bekannt ist, daß die Piloten der ECR-Tornados mit ihren HARM-Raketen unter anderem die Radarstellungen der jugoslawischen Luftabwehr außer Gefecht setzten und den Weg für die nachfolgenden Bomber frei machten. Immerhin flogen allein die deutschen Tornados rund 450 Einsätze, jede Flugstunde kostete ohne Personalausgaben 10 000 Mark und jede abgefeuerte HARM-(High-Speed-Anti-Radiation)-Rakete rund 400 000 Mark. Im Vergleich dazu sind die 16 000 Euro, die die Opfer des Terrorangriffes auf die Brücke von Varvarin zahlen sollen, »Peanuts«. Aber dieser Betrag zur Entschädigung der unter der Bürde ihrer Verantwortung in Kosovo, am Hindukusch und in weiteren Weltregionen ächzenden Bundesrepublik Deutschland könnte ein Anfang sein. Herr Eichel, übernehmen Sie!
Erschienen in Ossietzky 21/2004 |
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