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Schily zitierte das Bekenntnis des Grundgesetzes zur Menschenwürde (Artikel 1 GG): »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.« Er fuhr fort: »Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, daß ich im zweiten Satz ein Wort ausgelassen habe. Ein Wort, das leicht überlesen wird. Der Satz heißt nämlich vollständig: ›Sie (die Menschenwürde) zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.‹ Diese Schutzfunktion darf der Staat – im Rahmen der genannten Grenzen – nicht vernachlässigen.« Aus den beiden Worten »zu schützen« ergebe sich die staatliche Verpflichtung, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu garantieren. Schily weiter: »Deshalb meine ich auch: Es gibt nicht nur ein Grundrecht auf Freiheit, auf Freiheiten, wie sie im Grundrechtskatalog aufgeführt sind. Es gibt auch ein Grundrecht auf Sicherheit.« Was sich wie Wortklauberei unter Juristen anhört oder auch wie die Formulierung von Banalitäten, hat tatsächlich große rechtspolitische Bedeutung. Selbstverständlich muß ein Staat versuchen, innere Sicherheit zu gewährleisten. Dabei ist er aber in seinen Mitteln begrenzt. Die Grundrechte sollen – so sind sie jedenfalls idealerweise gedacht – die Bürger vor übermäßigen staatlichen Eingriffen schützen. Deshalb gibt es den Schutz der Intimsphäre, das Brief- und Telefongeheimnis, die Unverletzlichkeit der Wohnung und all die anderen Grundrechte. Bis auf das Recht auf Eigentum sind sie inzwischen alle stark durchlöchert (Beispiel: großer Lauschangriff). Schilys Denkansatz liefert dafür die juristische Rechtfertigung: Wenn es ein Grundrecht auf Sicherheit gibt, müssen andere Grundrechte zurückstehen. Wer so denkt, bewertet den Einsatz der Wanze im Schlafzimmer höher als den Schutz der Intimsphäre in der Wohnung. Aus dem Katalog der Grundrechte, die staatliche Eingriffe abwehren sollen, wird ganz im Gegenteil eine Verpflichtung des Staates, in die Grundrechte der Bürger einzugreifen. Sicherheit geht vor Freiheit. Diese Argumentation geht auf den konservativen Bonner Staatrechtler Josef Isensee zurück (häufig Prozeßvertreter der Regierung Kohl vor dem Bundesverfassungsgericht), der 1983 ein Buch mit dem Titel »Das Grundrecht auf Sicherheit« veröffentlicht hat. Demnach tritt neben die Grundrechte als Abwehrrechte ein Grundrecht auf Sicherheit hinzu, das die Beschränkung der Freiheitsrechte erfordert und den Staat zu Eingriffen verpflichtet. Diese Dogmatik geht über staatliche Schutzpflichten hinaus. Fundamentalen Widerspruch äußerte im vergangenen Jahr in der FAZ der Frankfurter Strafrechtler Peter-Alexis Albrecht: »Aus dem Grundrecht auf Sicherheit läßt sich ein Anspruch des Staates an seine Bürger ableiten, sich ordnungsgemäß zu verhalten. Das ist eine grundstürzende Umkehrung des Verhältnisses von Staat und Bürger; das ist zugleich das tiefste Mißverständnis im Verhältnis von Freiheit und Sicherheit; darin liegt die gröbste Mißachtung historischer Erfahrungen mit dem Sicherheitsdenken in den autoritären Staatsordnungen Europas. Wird Sicherheit zu einem Grundrecht, droht die Gefahr, vor der Kant gewarnt hatte. Der Staat, der nur wegen und aus der Freiheit seiner Bürger besteht, beginnt sich gegen seine ›Erfinder‹ zu wenden. Wo Sicherheit garantiert sein soll, gilt es, auch das geringste ›humane Restrisiko‹ zu vermeiden, es auszuschalten. Die Erfinder der Kunstfigur ›Grundrecht auf Sicherheit‹ blähen die Sicherheit zu einem Supergrundrecht auf. So wird die Zertrümmerung der Freiheit theoretisch begleitet und abgesichert. Die Kunstfigur hilft der Kunst der Politik, die Aushöhlung von Freiheitsrechten populistisch darzustellen.« Schily hatte sich schon bei seinem ersten Auftritt vor dem Innenausschuß des Bundestags nach seiner Ernennung zum Innenminister 1998 zum »Grundrecht auf Sicherheit« bekannt. Die illiberalen Denkmuster Isensees durchziehen die gesamte Politik dieses Ministers und wie die Innen- auch die Rechtspolitik der rot-grünen Koalition. Beispielhaft ist die aktuelle Jubelmeldung des Bundesinnenministeriums über das Pilotprojekt zur »biometriegestützten Grenzkontrolle« am Frankfurter Flughafen. Seit dem Anlaufen dieses Projekts im Februar hätten schon 10 000 Reisende »dem Bundesgrenzschutz freiwillig ihre personenbezogenen Daten« anvertraut, teilte Schily Ende September triumphierend mit. Aber war diesen Reisenden, die sich mit ihrem maschinenlesbaren Reisepaß und ihrer Augeniris registrieren ließen, dabei bewußt, daß ihre vom Minister hochgelobte Akzeptanz dem Geschäft deutscher Industrieunternehmen dient, die im weltweit wachsenden, von den Amerikanern mit ihrer Sicherheitshysterie gepushten Markt der Überwachungstechnik Profit machen wollen? Das Bundesinnenministerium nennt »Einsetzbarkeit des verwendeten biometrischen Verfahrens im grenzpolizeilichen Wirkbetrieb, Teilnehmerakzeptanz biometrischer Verfahren, auch mit Blick auf künftige Gesetzgebungsvorhaben« als Zweck des Pilotprojekts. Das heißt im Klartext: Wir stehen erst am Anfang des Einsatzes der Biometrie bei der Polizei. Der Überwachungsstaat wird ausgebaut. Schily sieht sich dazu nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet. Der lange Abschied von den Grundrechten ist in vollem Gange. Schon hat der Bundesinnenminister ein neues Sicherheitspaket, Schily III, angekündigt, dessen Inhalt noch im Dunkeln liegt. Aber die Tendenz wird dieselbe sein wie bei Schily I und II. Darüber gerät nun sogar die konservative FAZ (vom 29.9.04) ins Grübeln: »Es gibt ohne Zweifel Freiheitsgrundrechte. Aber gibt es ein Grundrecht auf Sicherheit? Im noch nicht in Kraft getretenen Europäischen Verfassungsvertrag heißt es ausdrücklich: ›Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit.‹ Der Staat hat also gewiß Schutzpflichten. Doch wie weit gehen sie? Gibt es hier Ansprüche des Bürgers gegen den Staat wie bei sozialen Leistungen? Kann er gar fordern, gänzlich von Straftaten verschont zu bleiben? Der Staat zieht sich aus Überforderung und Einsicht aus vielen Bereichen zurück. Auf dem weiten Feld der Sicherheit scheint die Entwicklung umgekehrt. Auch hier besteht allerdings die Gefahr der Überregulierung und Einengung. Ein Hochsicherheitsraum kann nicht das Ziel sein.« Daß der Entwurf für eine europäische Verfassung, auf die sich die Regierungen ohne Mitwirkung der Völker verständigt haben, nun ein Menschenrecht auf Sicherheit vorsieht, ist einer von vielen Gründen (wie auch die dort kodifizierte Verpflichtung aller europäischen Staaten zu weiterer Aufrüstung), dieses undemokratische Machwerk abzulehnen. Was aber die deutsche Verfassung angeht, so bedarf sie dringend des Schutzes vor Schily, der sie ins Gegenteil uminterpretiert. Gerade solche Überwachungsmethoden à la Big Brother, mit denen dieser Minister alles unter Kontrolle bringen will, gefährden die Menschenwürde. Merke: »Das Sichere ist nicht sicher« (Brecht).
Erschienen in Ossietzky 21/2004 |
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