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Mein Verweis auf den 50 000 Einwohner zählenden Landkreis Lüchow-Dan-nenberg, der angesichts seiner Schuldenlast ernsthaft überlegt, sich aufzulösen und damit den Zerfall staatlicher Strukturen quasi amtlich zu machen, hilft wenig. Das, so wurde mir kürzlich entgegnet, komme schließlich davon, wenn sich ein ganzer Landkreis gegenüber dem Fortschritt, dem nuklearen, renitent zeige. Nun aber haben wir es schwarz auf weiß: Unser Staatswesen zerbröselt. Die Bundesbank hat ihren Bericht über »Die gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsströme im Jahre 2003« veröffentlicht. Wie nicht anders erwartet, wird darauf hingewiesen, daß sich die Investitionsschwäche fortgesetzt habe und daß »die privaten Haushalte ihren traditionellen Finanzierungsüberschuß im Beobachtungszeitraum nochmals ausgebaut« hätten. Das nominale Geldvermögen, so wird ausführlich belegt, sei »im abgelaufenen Jahr wieder kräftig gewachsen. Dem stand ein Defizit im Staatssektor gegenüber, das 2003 einen neuen Höchststand erreichte.« Das ist im Bundesbank-Deutsch die Kluft zwischen wachsendem privatem Reichtum einerseits und Verarmung der öffentlichen Hand andererseits. Interessant ist auch der Hinweis, daß wieder »ein großer Teil der inländischen Ersparnisse ins Ausland« floß; die Expansionslust deutschen Kapitals ist also ungebrochen. Noch interessanter aber sind zwei andere Entwicklungen. Die Ausgaben der Produktionsunternehmen für Ausrüstungen und Bauten sind zum dritten Mal in Folge gesunken. Auch die Investitionstätigkeit der privaten Haushalte für die Sachvermögensbildung fiel im Vergleich zum Jahre 1999 um gut zwei Fünftel. Dies ist insbesondere auf ein »deutliches Nachlassen« der Bauaktivitäten zurückzuführen. Vom Zahlenwerk in die Realwirtschaft zurück-übersetzt verbirgt sich dahinter folgendes: Jede Gesellschaft baut sich über Generationen einen Produktionsapparat (Gebäude, Straßen, Maschinen etc.) auf, der uns davor bewahrt, in Höhlen hausen und der Natur unser karges Frühstück mit den Händen entreißen zu müssen. Die Investitionen in den Produktionsapparat (für Marx-Liebhaber: Abteilung I) entscheiden über den Lebenszuschnitt folgender Generationen. Sind sie rückläufig, kann vorübergehend vielleicht sogar mehr konsumiert werden (Marx’ Abteilung II jeder gesellschaftlichen Produktion), aber auf Dauer läßt der Investitionsrückgang eine Gesellschaft verrotten. Die Bundesbank konstatiert nun nüchtern zum dritten Mal in Folge einen Rückgang der Realinvestitionen aus den privaten Schatullen. Auch das wäre noch nicht dramatisch, wenn – etwa nach einem Wahlsieg einer antimonopolitischen, links orientierten Regierung – die private Investitionsschwäche durch öffentliche Investitionen ausgeglichen oder gar überkompensiert würde. Die Dramatik der diesjährigen Bundesbank-Analyse aber liegt darin, daß öffentliche Investitionen nicht nur, wie seit 1993 fast durchweg, rückläufig, sondern inzwischen negativ sind: »Gesamtwirtschaftlich betrachtet spielen die öffentlichen Haushalte als Investor schon seit Mitte der neunziger Jahre nur noch eine Schattenrolle. Seit 1994 sind ihre Aufwendungen für den öffentlichen Kapitalstock von 46 Mrd. Euro auf zuletzt 31 Mrd. Euro gesunken. Bis 2002 reichten diese Ansätze noch aus, um den von der Statistik ausgewiesenen Werteverzehr zu kompensieren. Im vergangenen Jahr überstiegen die Abschreibungen sogar die investiven (Brutto-) Ausgaben, so daß für den Staatssektor im Ergebnis Desinvestitionen in Höhe von gut 3 Mrd. Euro gebucht werden mußten.« Für Nichtökonomen: Irgendwann ist jeder neue Lastkraftwagen verschlissen, ob er nun einem Privatunternehmer gehört oder der Polizei. Um den Verschleiß, der sich über Jahre hinzieht, rechnerisch zu erfassen, wird der LKW über einige Jahre hinweg »abgeschrieben«, bis sein rechnerischer Wert 0 beträgt; die Abschreibungsfrist dauert meist zehn Jahre, bei schnell überholten Gütern drei oder fünf. Damit bildet die buchhalterische Entwertung die in der Realität stattfindende ab. Die so getätigten Abschreibungen am öffentlichen Anlagevermögen – außer dem Polizeifahrzeug auch unsere Straßen, Schulen, andere öffentliche Gebäude und ihr Inventar – sind nun erstmals seit den Zerstörungen im zweiten Weltkrieg höher als die Ausgaben für neue LKWs, Schulen und Computer für die Finanzverwaltung. Wenn wir also das nächste Mal über Schlaglöcher fahren und uns unser Beifahrer mit Verweis auf die neue Straße, die er gestern befahren habe, darüber belehren will, daß es doch im Ganzen weiter aufwärts gehe, müssen wir ihm seit dem jüngsten Bundesbank-Bericht sagen: Tut mir leid, unser Staatswesen zerfällt – amtlich bescheinigt.
Erschienen in Ossietzky 21/2004 |
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