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»Daß auf eine Revolution eine Gegenbewegung folgt, ist, wie die
Geschichte Kurt Tucholsky V: Wann genau begann Ihre Verbindung zur Weltbühne. M: Zum ersten Mal in meinem Leben betrat ich die damals noch an der Mohrenstraße befindliche Weltbühne-Redaktion am 1. August 1946. Es war der Tag, an dem gerade das Nachkriegsheft Nummer 4 verabschiedet wurde. V: Der Hauptpartner sowohl Ihrer als auch meiner, wesentlich kürzeren Weltbühnen-Zeit war Hans Leonard. Er hat mir seinerzeit mancherlei über sich selber erzählt, doch wohl längst nicht alles. Einige Fragen zu seiner Persönlichkeit und Biographie blieben für mich weit offen. Sie, die ihn weit länger und besser gekannt haben als ich, wissen bestimmt mehr über ihn. Wer war er, wie war er wirklich? Und vor allem: Wissen Sie Genaueres über die Ursachen und Hintergründe der Angstzustände, die ihn ganz offensichtlich immer wieder quälten und verfolgten? Zwar vermochte er sie meist mit viel Geschick zu überspielen, doch seinen engeren Mitarbeitern konnten sie schon deshalb nicht verborgen bleiben, weil sie unter anderem ihren Ausdruck in einem manchmal ausgesprochen kränkenden Mißtrauen selbst gegenüber bewährten Partnern fanden. M: Sein ewiges Mißtrauen resultiert aus seiner Biographie. Einer der Gründe dafür, daß er ständig auf dem Sprung sein mußte, war der, daß er in Wahrheit Levyson hieß, Halbjude war und die Nazizeit nur dank einer Verknüpfung seltsamer Zufälle überlebte. Wußten Sie das? V: Nein, das ist mir neu. Wie aber kam er dann zum Namen Leonard? M: Das ist eine längere Geschichte. Sie beginnt mit Leonards Großvater, dem Konfektionsfabrikanten Markus Levysohn. Der hatte zwei hochmusikalische Söhne, Hugo und Rudolf. Hugo studierte an der Humboldt-Universität, Rudolf absolvierte eine Kaufmannslehre. Vor allem komponierten beide, und zwar mit beträchtlichem Erfolg. Weil jedoch zwei Levysöhne zur selben Zeit sogar den blühenden Berliner Musikalienmarkt des frühen 20. Jahrhunderts überfordert hätten, teilten die beiden aus Verehrung für den Philosophen Leonard Nelson dessen Namen unter sich auf und publizierten pseudonym. Hugo nannte sich fortan Leonard, wandte sich mehr der ernsteren Musik zu, verdiente sich sein Brot teils als Kapellmeister, teils als komponierender und begleitender Pianist im berühmten Kabarett der Claire Walldorf. Hans Leonards Onkel Rudolf wiederum machte im Berlin der zwanziger und ersten dreißiger Jahre mit seiner berühmten »Nelson-Revue« Furore, für die unter anderen Tucholsky und Mehring schrieben. So kam Hugos Sohn, Hans Levysohn, geboren am 12. September 1902, schon als kleiner Junge zum Namen Leonard, wuchs mit ihm auf, wurde überall so angesprochen – nur seine Personaldokumente lauteten noch immer anders. Oder bestenfalls wie sehr viel später seine Fahrerlaubnis: »Hans Levysohn, genannt Leonard«. Mit solch fürchterlichen Papieren mußte dieser Mensch das Dritte Reich überstehen! Dabei kam ihm allerdings ein vielleicht entscheidender Glücksfall zu Hilfe: Irgendwelche dummen Verwaltungsbürokraten hatten ihn in ihren Karteien zweimal erfaßt, zum einen als Hans Levysohn, zum andern als Hans Leonard, ohne jemals darauf zu kommen, daß sie ein und dieselbe Person betrafen. V: Was ihn vermutlich vor Auschwitz bewahrte. M: So war’s wohl. Wiederholt wurde in dem Haus, in welchem Leonard während der NS-Zeit sehr unauffällig und zurückgezogen lebte, ein Hans Levysohn gesucht, den dort aber nicht einmal der NS-Blockwart kannte. Was indes nichts daran änderte, daß er sich bis 1945 unter äußerst prekären existenziellen Bedingungen – zuletzt als Lagerarbeiter in einer Landkartendruckerei – regelrecht durchmogeln und, stets mit dem Schlimmsten rechnend, ständig auf dem Sprung sein mußte. Eines der auffälligsten Relikte aus jener Zeit war, daß er es in Restaurants wenn immer möglich vermied, mit dem Rücken zur Tür zu sitzen. Wenn man so etwas zwölf Jahre lang als Überlebensstrategie hat praktizieren müssen, wird man es nie wieder los, sondern bleibt fast manisch drauf fixiert. Der größte Teil seiner Familie kam in Auschwitz um. V: Wie entwickelte sich, wie lebte Hans Leonard vor 1933? M: Er hätte gern das Abitur gemacht, doch weil sein Vater gerade mal wieder kein Engagement hatte und zum selben Zeitpunkt auch seine Mutter, eine Schauspielerin, arbeitslos war, trat Hans nach Abschluß der zehnten Klasse 1920 erst einmal eine Volontärstelle an, und zwar ausgerechnet bei der Weltbühne. Was freilich alles andere als ein Zufall war, denn Siegfried Jacobsohn und Hugo Leonard hatten einander während ihrer gemeinsamen Berliner Universitätsjahre kennen- und schätzengelernt, was eine Karte von Siegfried Jacobsohn an Hugo Leonard, die ich in Hans Leonards Nachlaß fand, belegt. Jacobsohn wurde also von seinem einstigen Kommilitonen gebeten, zu erproben, was mit dem Jungen anzufangen sei. Jacobsohn riet, den Probanden erst einmal weiter zur Schule, dann auf eine Uni zu schicken, doch dazu reichte das Geld definitiv nicht. Und so vermittelte er ihn schließlich an einen angesehenen Musikverlag, für den Hans bis 1932 erfolgreich tätig und öfter europaweit unterwegs war. Seine Aufgaben waren, Schlager zu popularisieren, Schallplatten zu vermarkten und in großen Städten Konzerte zu organisieren. Sein größter Hit war »Wenn der weiße Flieder wieder blüht«. Er war es, der ihn international bekanntmachte, und seinen größten Durchbruch erzielte er in London, wo er Englands größte Konzerthalle mietete und ausverkaufte. Die Erfahrungen, die er auf seinen Tourneen sammeln konnte, die Weltläufigkeit, die er durch sie erwarb, waren für seine Tätigkeit nach 1945 von großem Nutzen. Dasselbe gilt für die Prägungen durch sein musisches Elternhaus, in dem bekannte Berliner Musiker, Schauspieler und Autoren wie Kurt Tucholsky verkehrten. Leonards beachtliches Gespür für die Sensibilität von Künstlern, seine große Menschenkenntnis überhaupt, dürfte ihm aus jenen frühen Begegnungen erwachsen sein. Was wiederum erklärt, weshalb er sich speziell bei den Theaterleuten der DDR großer Beliebtheit erfreute. So fuhr er vor allem in den ersten Nachkriegsjahren fast zu allen Premieren, ließ kaum je eine aus. Und wenn es nottat, wußte er sich auch für einzelne Künstlerpersönlichkeiten wirksam zu engagieren, wie beispielsweise für die große Tänzerin Palucca. Als in den frühen fünfziger Jahren irgendein einflußreicher kulturpolitischer Knallkopf öffentlich verkündete, der Ausdruckstanz, den in Dresden die Palucca pflegte, sei weiter nichts als ein bürgerliches Relikt und daher vom sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat nicht länger zu fördern, konnte er einfach nicht anders, als in der Weltbühne sehr resolut für sie Partei zu ergreifen. V: Ich erinnere mich. Die Zeitschrift führte damals eine sich über Monate hinziehende regelrechte Kampagne zur Rettung der nach dem Krieg unter großen Opfern und Mühen wieder aufgebauten weltberühmten Palucca-Schule. M: In ihrer Verzweiflung hatte sich die Palucca damals an Leonard gewandt und sofort bei ihm Gehör gefunden. Gemeinsam mit Brecht, Friedrich Wolf und weiterer Verstärkung aus der Akademie der Künste trug die Weltbühne in der Folge ihr Teil bei, um die Liquidation der Palucca-Schule zu verhindern. V: Noch einmal zurück zu Leonards zwei Namen. Wie ging es nach 1945 damit weiter? M: Obschon die Anträge zu einer nunmehr ganz offiziellen und legalisierten Namensänderung bei der Berliner Rechtsanwältin Genz bereits seit 1947 fertig ausgearbeitet lagen, schob Leonard die damit verbundenen Behördengänge immer wieder vor sich her. So kam es, daß 1966 sein Totenschein entsprechend seinen noch immer unveränderten Personalpapieren ausgestellt wurde, was zwangsläufig zu Komplikationen führte, als das für ihn zuständige Berlin-Pankower Standesamt nach seiner Geburtsurkunde fragte. Die mußte nun mühsam und sehr umständlich aus dem Westberliner Bezirk Charlottenburg besorgt werden. Danach erst konnte Rechtsanwältin Genz den Antrag auf Namensänderung endlich stellen, eine Geburtsurkunde des Knaben Hans Leonard anfertigen lassen und so die Voraussetzungen dafür schaffen, daß alle weiteren, einen Todesfall preußisch-ordentlich legitimierenden Papiere beschafft werden konnten. Hans Leonards traumatische Faschismuserfahrung und sein dadurch bedingter unüberwindlicher Horror vor dem eigenen Geburtsnamen war letztlich auch der Grund dafür, weshalb die Weltbühne niemals ins Handelsregister eingetragen wurde. Da hätte er ja, weil er, rechtlich gesehen, noch immer Levysohn hieß, unvermeidlich so unterschreiben müssen. Nicht einmal die Autoren, die ihm am nächsten standen, wußten, wie er tatsächlich hieß. Der Parteiapparat führte weder eine Kaderakte über ihn, noch verfügte er über seinen Lebenslauf. Eine Einmaligkeit, die sich wohl auch daraus ergab, daß Leonard und Maud von Ossietzky die Weltbühne ab 1946 auf Grund einer sowjetischen Lizenz, ausgestellt von der Militäradministration in Berlin-Karlshorst, herausgaben und er dort natürlich alle dafür erforderlichen Fragebögen und sonstigen Unterlagen eingereicht hatte. Die, als Karlshorst seine medienpolitischen Kompetenzen an die DDR abgab, anscheinend, wie so vieles andere auch, verlorengingen, so daß Leonard vom Zentralkomitee kadermäßig nie ordnungsgemäß »erfaßt« wurde. So kam es, daß wir für den Apparat eigentlich gar nicht richtig existierten, was zweifellos mit dazu beitrug, daß die Weltbühne eine gewisse Narrenfreiheit genoß. Leonard versuchte auch nie, beim Zentralkomitee gut Wetter für sich oder für die Zeitschrift zu machen, was durchzusetzen oder sonstwie aufzufallen. Dabei war Leonard Parteimitglied, Genosse. Allerdings einer, der Doktrinen nicht besonders mochte. Ich bin mir ziemlich sicher, daß er kaum je Theorie gebüffelt hat. Und genau weiß ich, daß er die ellenlangen ND-Verlautbarungen über den Verlauf von Parteitagen und so weiter stets überblätterte. Umso genauer studierte er, was die Westpresse über solche Anlässe berichtete. Deren Berichterstatter, meinte er, würden für Neuigkeiten bezahlt, und wenn es welche gebe, fänden sie das heraus… Weil er nicht am Buchstaben klebte, gelang es ihm, wenn Gefahr drohte, auch immer wieder, rechtzeitig die Kurve zu kriegen. Was ihm nach seinem Tode denn auch sehr nachgerühmt wurde, gerade von erfahrenen Genossen, die sich nicht selten gefragt hatten, wieso Hans Leonard, der doch nie an Chefredakteurs- und Journalistenkonferenzen teilnahm, dennoch über ein derart erstaunlich sicheres Gespür für erst noch auf uns zukommende politische Ereignisse und Entwicklungen verfügte. V: Ein Gespür, das auch ich wiederholt an ihm bewundert habe und das zweifellos mit dazu beigetragen hat, daß er, so weit ich weiß, der einzige Chefredakteur einer politischen DDR-Zeitschrift war, der sich ab 1946 bis zu seinem Tod auf seinem Posten hielt. Aber wie eigentlich kam er 1946 denn überhaupt dazu, die Weltbühne zu beleben? M: In den letzten Kriegsjahren lernte er Maud von Ossietzky kennen. Carl von Ossietzkys Witwe wohnte im selben Berliner Stadtbezirk wie er, und obwohl er selber extrem gefährdet war, kümmerte er sich um sie. Nach der Befreiung im Mai 1945 zählte er dann zu den Aktivisten der ersten Stunde. Zusammen mit Karl Grünberg und anderen baute er die Verwaltung des Stadtbezirks Pankow wieder auf. Zuerst als Leiter der Rationierungskartenstelle, dann bis zum 31. März 1946 als Leiter des Gesundheitsamtes. Der Bitte Maud von Ossietzkys folgend, bereitete er daneben die Neugründung des »Von Ossietzky Verlages« vor und realisierte sie, beraten von Erich Weinert, im Januar 1946. Dabei stützte er sich auf seine Partei; seit Juni 1945 war er Mitglied der KPD, später der SED. Ein weiterer guter Freund und Förderer der ersten Jahre, in denen es galt, die Zeitschrift möglichst geschickt und behutsam um unzählige Klippen herum zu steuern, war Wilhelm Pieck. Auch hier spielte der Umstand, daß beide im selben Stadtbezirk wohnten, eine nicht geringe Rolle. Und ebenso die Tatsache, daß damals auch Menschen in höchsten Funktionen noch ohne drei Bewacher um sie rum durch die Straßen gingen und auf ihren Spaziergängen ansprechbar waren. V: Genau das habe ich selber 1951 mit Wilhelm Pieck erlebt! M: Dann können Sie sich ja vorstellen, wie dieser dicke, fröhliche Wilhelm Pieck an Wochenenden gelegentlich durch Pankow spazierte und, wenn er dabei dem ihm bestens bekannten Leonard begegnete, mit ihm nicht nur übers Wetter redete. Eine schöne, für jene Zeit typische Story vermeldet, daß auf einem dieser begegnungsreichen amtlichen Spaziergänge Pieck zu Leonard gesagt haben soll: »Hans, du schickst mir immer die Weltbühne gratis, hast du so viel Geld? Eine Zeitschrift zu machen kostet doch allerhand Moneten, und ich habe genug davon, um mir ein Abonnement leisten zu können!« Von da an gab es den bezahlenden Abonnenten Wilhelm Pieck, dem das Heftchen allerdings, damit er es gleich nach Erscheinen bekam, per Boten ins sogenannte Städtchen in Pankow-Niederschönhausen gebracht wurde. Und dann hat er auch noch ein Patenschaftsabonnement für einen westdeutschen Leser übernommen. Unter den gut verdienenden hohen Funktionären blieb er übrigens, wie ich hier hinzufügen muß, der Einzige, der sein Abonnement bezahlte. Alle andern erwarteten von uns mit größter Selbstverständlichkeit Gratisexemplare. V: Auch Albert Norden? M: Der bekam, wie Alexander Abusch, die Weltbühne gratis, weil sein Name in ihrer Autorenliste stand.
Erschienen in Ossietzky 20/2004 |
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