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Es gab sogar einmal einen Intendanten, der sich im Zustand der Erregung selber Briefe schrieb: Joachim Herz, einst Chef der Komischen Oper Berlin, verzeiht mir sicher diese kleine Indiskretion. Man kennt die Briefe Brechts, die er oft noch nachts an Schauspieler schrieb, wenn ihm etwas besonders gefallen oder besonders mißfallen hatte. Den kürzesten Theaterbrief schrieb wahrscheinlich Heiner Müller. Er betraf einen Kollegen und lautete: »Ein deppertes Stück von Deppen über Deppen für Deppen.« Jedenfalls gehörten Theaterbriefe zum Theater, weil es sich nicht auf die Bühne beschränkte, sondern auch hinter der Bühne weiterlebte und im Zuschauerraum nicht nur Quoten sah. Am 18. September hatte in Cottbus »Leben und Tod König Richard des Dritten« von Shakespeare in meiner Übersetzung und Bearbeitung Premiere. Wolf Bunge führte Regie, Toto entwarf Bühnenbild und Kostüme, Hans Petitih komponierte die Musik und spielte sie auch selbst auf Posaune und Harmonium. Nach der Aufführung verspürte ich Lust, wieder mal einen Theaterbrief zu schreiben: An das Ensemble »Tod und Leben Richard des Dritten« am Staatstheater Cottbus. Liebe Kollegen, ich möchte mich bei Euch für eine bewegende Aufführung bedanken. Und das nicht nur als Übersetzer des dritten Richard, sondern als Zuschauer. Als Zuschauer mag ich eigentlich die nicht endenwollenden Shakespeare-Events mancher Regisseure gar nicht (Shakespeare soll, heißt es, im Globe selten über zwei Stunden gespielt haben), aber bei Eurem »Richard« wurde mir die Zeit nicht lang, im Gegenteil, sie wurde Ereignis. Ein Ereignis, das mitnahm, erregte, belustigte, erschreckte, erstaunte, vor allem fesselte, dabei aber zugleich eigene Gedanken freisetzte. Wohltuend, daß die Giganten des Hundertjährigen Krieges nicht salopp, wie’s der Brauch, in Kollektionen von JOOP! oder Lagerfeld stecken. Sie sind historisch, aber ohne historischen Naturalismus. Und dann die erstaunliche Konkretheit der Vorgänge und Figuren! (Man müßte sie gerechterweise alle einzeln beschreiben.) Hier aber werden die Zuschauer nicht festgenagelt, im Gegenteil, Konkretheit schafft einen freien Kopf und macht Lust zu eigener Phantasie. Gleichsam im Geist kann man während des Spiels die Geschichte um den blutigen Richard für sich weiterfabulieren. Anderes, Eigenes Widersprüchliches hinzudenken. Man bleibt die dreieinhalb Stunden aktiv. Hingerissen, aber nicht berauscht. Es sind gerade die genauen Details des Spiels, die Ausflüge zu eigenen Meinungen und Gedanken erlauben. Ja, der Zuschauer wird mehr und mehr zum Miterzähler. Gibt es Schöneres im Theater? Kurz: Shakespeare war, fand ich jedenfalls, sehr anwesend an diesem Abend. Hier wurde William eben nicht, wie es heute bei Regisseuren Brauch ist, »verdüstert« oder »geschwärzt«, angeblich um ihn aktueller zu machen und passender zum »Trübsinn« unserer Tage (was letzten Endes Anpassung an den »Trübsinn« ist, mit dem man sich – wenn auch maulend – abfindet). Bei Euch fand ich Tragik und Humor dicht beieinander, jenes Markenzeichen der großen Elisabethaner, das auch heute noch dem Theater Poesie und Impulse bietet: Der »Trübsinn« unserer Tage wird nicht nur bejammert, er wird »zum Tanzen gebracht, indem man ihm seine eigene Melodie vorspielt«. So etwas benötigt Schauspielkunst, die wie der Humor auf unseren Bühnen im Schwinden begriffen ist. In Cottbus war – nicht das erste Mal – zu sehen, wie Ihr Euch um Schauspielkunst bemüht. Durch jenen vertrackten Humor, der bei Shakespeare bis zum Blödeln reicht, werden selbst Tragödien ernsthafter, da angriffslustiger. Die Konflikte um den blutigen Richard, die bei Euch mit Leichtigkeit und Eleganz daherkommen, erreichen so wirkliche Tiefe und Gewicht, das heißt künstlerische Eindringlichkeit, kurz: Sie werden zum Genuß. Witz ist hier nicht Verharmlosung, eher poetische Verschärfung der Kritik. Das ist – wie ich bei Eurem »Richard« bestätigt fand – nicht nur aufklärerischer, also Erkenntnisse fördernd, es ist vor allem unterhaltsamer als jener bleiern-gedankenschwere Trüb- und Tiefsinn manch heutiger Shakespeare-Auslegungen. Und wesentlich lustiger auch als jene Arroganz der Gegenwart, mit der man sich lustigmacht über Figuren in diesen Stücken, weil sie an die Wahrheit von Flüchen und Geistern glauben. Die auf dem Theater heute beliebte Veralberung, womit man den »alten« Shakespeare für »moderne« Zuschauer »performativer« machen will, ist eigentlich Zeichen künstlerischen wie politischen Unvermögens. Und noch etwas kam mir, Euere Aufführung sehend, in den Sinn: Heiner Müller und seine kühne Behauptung, es sei Shakespeare, der unsre Stücke schreibt. Wenn zum Beispiel Richard und Buckingham – schwere Eisenplatten schlagend – einen feindlichen Überfall vortäuschen, um für die längst erfolgte Hinrichtung des widerborstigen Hastings nachträglich einen Grund zu liefern: wer denkt da nicht sofort an jene Busch-Krieger, die wegen angeblicher Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen einen Krieg anzetteln, um dann Massenvernichtungswaffen, die es nicht gibt, also den Kriegsgrund mit Waffengewalt zu suchen. Aber auch Sätze wie »Wer Macht ergreift, der wird von Macht zerdrückt« läßt manche heutige Erinnerung wachwerden. Also nochmals: Vielen Dank für einen großartigen Theaterabend.
Erschienen in Ossietzky 20/2004 |
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