Ami goes home

Bernd C. Hesslein

Ach, wie war es ehedem mit der NATO so bequem. Der Große Bruder aus ­Washington hielt Adenauers Rhein-Republik besetzt und machte sie zugleich zum Verbündeten im Kalten Krieg. Die Bundesrepublik Deutschland war fast vier Jahrzehnte ein hochgerüsteter Besatzungsstaat, wie die Deutsche Demokratische Republik unter der siegreichen Sowjetunion einer war. Das geteilte Land hatte sich auf Dauer eingerichtet im Gegeneinander seiner Schutzmächte.

Für die Bonner Republik waren es goldene Jahre im NATO-Sanktuarium. Man fühlte sich auf der richtigen Seite und stellte eine Fünfhunderttausend-Mann-Armee, über die man keine Befehlsgewalt besaß. Es gab blühende Garnisonstädte und eine sich ausdehnende Rüstungsindustrie, die auch bald Waffen für alle Welt herstellte. Der Frieden in der westlichen Hemisphäre beruhte auf dem Bluff mit der atomaren Abschreckung. Hätte nur einer der Dutzende von Fehlalarmen der Frühwarnsysteme den Vergeltungsschlag ausgelöst, Mitteleuropa wäre im atomaren Feuer verglüht.

Seit 14 Jahren ist der Scheinkrieg zwischen West und Ost vorbei, und der Friede ist der Ernstfall, wie Gustav Heinemann, der vergessene Bundespräsident, in den siebziger Jahren schon mahnte. Die Politik wie die Gesellschaft tun sich schwer damit. Die USA, mit dem Irak-Abenteuer an die Grenzer ihrer Vormacht-Ambitionen gestoßen, räumen weltweit ihre Garnisonen, vor allem in Deutschland. Und auch die Bundeswehr wird um die Hälfte ihres einstigen Umfangs reduziert werden, was immer noch zu wenig ist. Dabei wird deutlich, in welchem Ausmaß Wirtschaft und Wohlstand der Republik über die Militärhaushalte alimentiert worden sind. Friedensdividende kann man das wohl nicht nennen.

Aus Mangel an Bedrohungen, dem Wachstumshormon für Aufrüstung und Militärumfang, hat Wehrminister Peter Struck (SPD) die Verteidigung der Bundesrepublik an den Hindukusch verlegt. Doch es sind politische und soziale Aufgaben, einschließlich der Terrorbekämpfung, die dort wie überall in der Welt anstehen. Das Militär mit seiner zunehmenden Massenvernichtungsfähigkeit und seiner Cyber-Space-Mentalität ist dazu nicht in der Lage. Das gilt zuvörderst für das eigene Land. Wenn seine Politiker nicht mehr fähig sind, Krisenintervention gegen eine amoklaufende Wirtschaft wirksam zu organisieren, dann ist jede Militärausgabe eine Verschwendung und jede bewaffnete Aktion außerhalb des Landes eine Ablenkung von der eigentlichen Aufgabe. Die von allen Parteien pathetisch reklamierte »größer gewordene Verantwortung in der Welt« bleibt eine Redensart, wenn die mit dem parlamentarischen Mandat übernommene zu Hause nicht ausgeübt wird.

Wenn nun aus »Ami go home!«, dem wirkungslos gebliebenen Kampfruf der 68er, ein »Ami goes home« wird, so ist das keineswegs ein Rückzug der USA in die »splendid isolation«. Die Abhängigkeit und die Bevormundungen des »Alten Europas« durch den stolpernden Hegemon USA werden bleiben, wie immer die neue Stützpunkt-Politik aussieht, ob unter Bush oder Kerry. Es sei denn, die ­NATO-Mitglieder verabschieden sich von dem verdrehten Bild des US-amerikanischen Weltpolizisten und lassen sich auf eine weltweite Terror-Bekämpfung, die nur antiquierten Weltmachtträumen dient, nicht ein. Für die Bundesrepublik, vor allem für ihren Außenminister Fischer, heißt das, die UNO und ihren Generalsekretär zu unterstützen und zu stärken, statt sich im Weißen Haus einen weißen Fuß zu machen.

Eines ständigen Sitzes im Weltsicherheitsrat bedarf es dazu nicht.

Erschienen in Ossietzky 20/2004