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Doch der besitzenden Klasse und ihren Man-agern, von denen, in Abweichung vom Grundgesetz, alle Staatsgewalt realiter ausgeht, reicht es noch nicht. Schlagt mehr kaputt, damit der Aufschwung kommt! Schafft mehr Armut, damit die Wirtschaft anspringt! Schnürt den Leuten die Kehle ab, damit sie leichter atmen können! Die einzige Logik, die hinter dem Irrsinn hervorspießt: Wir wissen, daß wir mit diesem System der Eigentumsverteilung, der Organisierung der Produktion und des gesellschaftlichen Zusammenhangs insgesamt am Ende sind, also gilt es noch zu raffen, was zu raffen ist, die zu enteignen, die sich nicht wehren können, immer neue Tricks zu erfinden, um Geld zu ergattern und es in die eigenen Taschen zu leiten. Panik herrscht: Der Kuchen wächst nicht mehr, und die Leute merken es, und niemand glaubt mehr, daß es uns und unsern Kindern, wenn wir nur ordentlich parieren, morgen allen besser geht. Bei den Kundgebungen und Demonstrationen trifft man auf Menschen, die man sonst bei Straßenprotesten noch nie sah. Was haben sich Gewerkschaften schon bemüht, stilvolle Arbeitslosenproteste zu inszenieren, und am Ende kamen nur ihre eigenen Funktionäre. Und jetzt sind sie da, die Betroffenen – die betroffen sind von den Maßnahmen des Staates, nicht die üblichen in Betroffenheit Machenden –, ihre Angehörigen und jene, die Angst haben, daß es morgen auch sie erwischen wird. An Offenen Mikrofonen sagen sie, was sie erleben und denken. Sie tragen von ungeübten Händen beschriftete Plakate. Doch »die Politik« zeigt sich unbeeindruckt. Die Herrschenden haben sich vorgenommen, dies alles auszusitzen. Bald wird es abends ganz finster sein, und es wird regnen und stürmen, und statt immer mehr werden sich immer weniger Menschen zum Protest einfinden und werden sich allein und im Stich gelassen fühlen und resignieren. Vielleicht werden sie bei nächster Gelegenheit braun wählen, in der Annahme, daß ein paar Nazis im Landtag die sogenannten Eliten in Medien und Politik stärker nerven als zigtausende Protestierende auf den Straßen. Im Stich gelassen können sich die Demonstranten – und die vielen, die wie sie denken, von den gleichen Ängsten, dem gleichen Zorn umgetrieben werden – ganz besonders von den Intellektuellen fühlen. Wo sind die engagierten Sozialwissenschaftler und Philosophen, die doch jetzt die Aufgabe hätten, sich mitten hinein ins Getümmel zu begeben, ihre Gedanken im demokratischen Gespräch zu testen und weiterzuentwickeln, mit den Menschen und unter ihnen theoretische Arbeit zu leisten? Wo sind sie? Wo zeigen sie sich? Ich weiß, es gibt einzelne, auch bei Attac. Aber es ist zu wenig, kaum mehr als Sandkastenspielerei. Die sprachlichen Ebenen finden nicht zusammen. Die aber, die eine gemeinsame Sprache erfinden könnten, fehlen fast völlig. Es sind die sogenannten Kulturschaffenden, die Schriftsteller und Dichter, die Theaterleute und Filmemacher, die bildenden Künstler, die sich heute doch nicht auf die Herstellung feinziselierter Grafikblätter und marmorner Standbilder beschränken, sondern mit modernen technischen Mitteln Realitäten reflektieren und deren Wahrnehmung eingreifend verändern können. Wo sind sie nur alle? Keine Zeit? Zu sehr damit beschäftigt, irgendwie an Mittel zu kommen für ihre Arbeit: mit dem Anzapfen immer kärglicher gefüllter öffentlicher Fördertöpfe, der Jagd nach Stipendien, Sponsoren, Aufträgen. In Zeiten gesellschaftlicher Auseinandersetzungen – im Kaiserreich, in der Weimarer Republik – gab es Zeitschriften, in denen und um die sich eine literarische Elite sammelte, wie etwa Franz Pfempferts Aktion. Es gab künstlerische und literarische Bewegungen mit dem Ziel, Gesellschaft zu verändern. Sie hatten keine Angst vor großen Worten und hohen Ansprüchen. Na schön, könnte man sagen, aber hat es die Katastrophen verhindert: Krieg, Faschismus, wieder Krieg? Nein. Aber diese Intellektuellen haben ein Erbe hinterlassen, auf das man sich später besinnen und an dem man anknüpfen konnte, weil es nicht im geistig-moralischen Fiasko mit untergegangen war. Wo stecken sie heute, die Dichter und Denker? Liegt, daß ich nichts höre von ihnen, nur daran, daß ich überhaupt wenig von dem lese, was heute in Deutschland geschrieben und zu Büchern gebunden wird? Die Versuche bleiben meist im Ansatz stecken: Es interessiert mich zu wenig, es ist mir zu selbstverliebt, die Prosahelden gehen mich nichts an, die Lyrik gibt sich hermetisch. Liegt es nur am konzernbeherrschten Markt, daß Aufregenderes einfach nicht hochkommen kann? Nur eben Bestsellerie. Oder gibt die deutsche Sprache einfach nichts mehr her? Haben Faschismus und Kalter Krieg die sprachliche Substanz so stark zersetzt, daß es kaum noch möglich ist, ein Wort zu benutzen, mit dem einmal übers Banalste, Gewöhnlichste hinaus Gefühle angesprochen und Ideen benannt worden sind? Gibt es etwa keine Sehnsucht mehr nach Anerkennung und Würde, kein Bedürfnis nach Gemeinschaft und Hingabe ohne vordergründige eigene materielle Interessen, nach Schönheit und Glück, nach Frieden und Harmonie trotz aller nötigen Auseinandersetzungen, nach Großzügigkeit, Verstehen und Verzeihen, nach menschlicher Geschwisterlichkeit als den Zielen, worum gerade jetzt gekämpft werden muß? Flugblätter, Losungen und Kundgebungsreden kommen, wenn sie nicht schon im sektenhaften Machtgerangel und Profilierungsdünkel versumpfen, kaum über die vorgegebenen utilitaristischen, funktionalistischen und ökonomistischen Muster hinaus. Keine Visionen, nichts, was begeistern, den Blick weiten, das Herz wärmen, zu neuem Denken und phantasievollem Handeln inspirieren könnte. Es geht doch nicht um »soziale Fragen«, sondern um das Leben von wirklichen Menschen, um eine gute oder miserable Zukunft für Millionen. Und niemand kann es ausreichend artikulieren. Wo bleibt Ihr, die Ihr dazu helfen können solltet? Es gab doch einen Hölderlin, einen Pablo Neruda, einen Nazim Hikmet, es gibt noch Ernesto Cardenal, Dichter, die aussprechen, was vielen auf der Seele liegt; die nicht anders können, weil sie sich sonst nicht mehr ins Gesicht schauen könnten. Anderswo gibt es sie. Warum nicht hier? Wir brauchen freilich nicht die übliche knirschende Kundgebungslyrik, gereimte Phrasen, ungereimtes Pathos ohne menschliche Substanz. Derlei hört man gelegentlich, und es ist so mies, das es jede gute Sache verdirbt. Könnte es nicht statt dessen auch reflektierendes Begleiten, solidarische Einrede, notwendige und doch schmerzende Infragestellung, kritische Herausforderung sein? Wann sagt Ihr es und wo? Aber nein, Euch hat es offenbar die Sprache verschlagen. Soll eine Gesellschaft eine Kultur fördern, die nichts zu sagen hat, wenn es darauf ankommt? Oder sind es die Förderungs- und Sponsoringbrosamen von den Tischen der wirtschaftlich und politisch Mächtigen, die den Geist lähmen und das Gewissen kirre machen? Seid Ihr damit zufrieden, als kultureller Zierat der herrschenden Verhältnisse und ihrer erlauchten Protagonisten zu dienen? Was ist los? Wo seid Ihr Intellektuellen? Ihr Künstler? Laßt von Euch hören.
Der Theologe Hans Jochen Vogel (Chemnitz) ist Mitherausgeber der Zeitung gegen den Krieg.
Ein Opfer der Agenda 2010Eckart Spoo Als ich 1970 zum Bundesvorsitzenden der Deutschen Journalisten-Union in der Industriegewerkschaft Druck und Papier gewählt worden war, wünschte ich Hans Büttner, den ich aus der ehrenamtlichen Gewerkschaftsarbeit kannte und schätzte, als Bundesgeschäftsführer. Er erhielt und übernahm diese Aufgabe und erfüllte sie. Später wurde er DGB-Kreisvorsitzender in Ingolstadt, schließlich SPD-Bundestagsabgeordneter. Als Sozialdemokrat, so meinte er, müsse und könne er im Parlament für soziale Gerechtigkeit wirken. Zu etlichen unsozialen und unfriedlichen Beschlüssen gab er seine Stimme mit Skrupeln. In den letzten Monaten schrieb er, zunehmend verbittert, mahnende und bittende Briefe an seinen Fraktions- und Parteivorsitzenden Franz Müntefering und an Bundeskanzler Gerhard Schröder. Der Konflikt zwischen seiner Loyalität (Mehrheitsbeschlüsse der Fraktion mußten befolgt werden) und seinem sozialen Engagement zerriß ihn. So erlebten es seine Frau und andere, die ihn gut kannten. Er starb am 18. September nach heftigen Herzattacken. Politiker wie ihn gibt es nicht mehr viele in der SPD.
Erschienen in Ossietzky 20/2004 |
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