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Unter allen Umständen wollen sie dabei bleiben, daß die Schüler auf Hauptschule, Realschule und Gymnasium verteilt werden, obwohl »es international nicht mehr zu vermitteln ist« (so Andreas Schleicher von der OECD). Und in all ihren Reaktionen findet sich kein Wort zur Unterfinanzierung des Bildungswesens in Deutschland. Doris Ahnen (SPD), die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, kann sich »die Fundamentalkritik« der OECD einfach nicht erklären, und die baden-württembergische Ministerin Annette Schavan (stellvertretende Vorsitzende der CDU) findet »Deutungen und Schlüsse ungerecht«. Der Generalsekretär der Kultusministerkonferenz, Erich Thies (CDU), wirft der OECD vor, »deutsche Innenpolitik zu machen«. Die hessische Ministerin Karin Wolff (CDU) warnt deshalb sogleich davor, eine neue Schulformdebatte zu führen. Und Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) pocht darauf, daß die Bundesregierung doch bereits beschlossen habe, im Laufe der nächsten Jahre für Ganztagsschulen vier Milliarden Euro und für Kindertagesstätten 1,5 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung zu stellen – dabei weiß sie genau, daß das nicht mehr als Trippelschrittchen in die richtige Richtung sind. Das Besondere und Brisante an der 519 Seiten starken Analyse der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist, daß sie von einer der Zentralen des global organisierten Kapitalismus stammt. Das 1968 geschaffene OECD-Zentrum für Forschung und Innovation, das die Studie erarbeitet hat (woran auch sieben offizielle deutsche Vertreter mitgewirkt haben), sieht »eine seiner Hauptaufgaben in der Entwicklung und Analyse international vergleichbarer quantitativer Indikatoren«, die den Regierungen Hinweise für Bildungsreformen geben sollen; Ziel sind möglichst hohe »individuelle und gesellschaftliche Erträge aus Investitionen in Bildung« und Förderung des Wirtschaftswachstums. Jetzt erleben wir aber, wie sich unsere Regierenden mit Händen und Füßen gegen den Rat von Experten wehren, die sie selber als ihre Ratgeber eingesetzt haben. Das deutsche Bildungswesen muß von Grund auf reformiert werden, die Bildungsausgaben müssen drastisch erhöht werden, die soziale Selektion muß beendet werden. So läßt sich knapp zusammenfassen, was die OECD uns nahelegt. Einzelne Schönheitsreparaturen helfen ebenso wenig wie etwa Schuldzuweisungen an den Kulturföderalismus und andere Ablenkungsversuche. Das deutsche Bildungswesen insgesamt erweist sich im internationalen Vergleich als schlechter Sonderweg. Die lächerlich geringe Versorgung mit Krippenplätzen; die weit unterdurchschnittliche Versorgung mit Kitaplätzen, für die dann auch noch überwiegend die Eltern zahlen müssen; die hohen Gruppen- und Klassenfrequenzen; die Vernachlässigung des Vorschul- und Schulwesens zugunsten einer überdurchschnittlichen Finanzausstattung der höheren Jahrgänge und der Hochschulen – das sind einige der Faktoren, die permanent zur sozialen Selektion führen. Andere Länder, die ebenfalls eine kapitalistische Gesellschaftsverfassung haben, zum Beispiel die skandinavischen Länder oder Frankreich, mildern oder verringern die Klassenspaltung durch Bildung. Wenn aber Hamburg und Berlin die Elternbeiträge für Krippen und Tagesstätten erhöhen, wenn Hessen, Baden-Württemberg und Hamburg die Klassenfrequenzen anheben, wenn Baden-Württemberg, Berlin und Hamburg die Lehr- und Lernmittelfreiheit reduzieren oder ganz streichen, wenn Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Bremen die Orientierungs- und Förderstufen schließen, dann ist das alles genau das Gegenteil dessen, was die OECD empfiehlt. Bezeichnenderweise ist der deutsche Kita-Betreuungsschlüssel (24 Kinder je Betreuer) im OECD-Vergleich der schlechteste (Durchschnitt 15 : 1). Mit Ausnahme Deutschlands, Österreichs und von Teilen der deutschsprachigen Schweiz haben fast alle OECD-Länder ein einheitliches Schulsystem für alle Kinder eines Jahrgangs bis zu den Klassen acht oder zehn; im Ergebnis verlassen fast überall erheblich mehr Schüler mit Hochschulreife die Schulen. Das deutsche Schulsystem bringt zu wenige Studenten hervor. Die Verringerung der Studienplätze wie in Thüringen und Hamburg oder die Einführung von Studiengebühren oder Studienkonten wie in Rheinland Pfalz oder Nordrhein Westfalen oder die Zusammenlegung von Hochschulen wie in Bayern oder Hamburg können nur kontraproduktiv wirken. In Australien, Schweden, Island, Finnland studiert ein doppelt so großer Teil der Jugendlichen eines Jahrgangs wie bei uns. Das Verdikt der Kultusministerkonfernz, keine Strukturdebatte führen zu wollen, läßt sich nicht mehr halten. Alle OECD-Spitzenländer haben schon vor zwei oder drei Jahrzehnten Einheitsschulsysteme eingeführt, in vielen neuen EU-Bei-trittsländern blieben sie aus realsozialistischer Zeit erhalten; in Deutschland liegen zwar Erfahrungen aus der DDR vor, die aber verdrängt werden, obwohl das damalige enge Netz an Krippen und Tagesstätten, die Einheitlichkeit und innere Differenziertheit der Schulen nicht zu den schlechtesten Erfahrungen zählen. Bildungsinvestitionen sind ein Gradmesser dafür, wie großen Wert die Politik der Jugend, der Innovation und der Zukunft zumißt. Irland steigerte seine Bildungsausgaben innerhalb von fünf Jahren um mehr als 40 Prozent, Australien, Schweden, Dänemark, Mexiko, die Niederlande, Portugal und die USA zwischen 20 und 40 Prozent, während sie in Deutschland bis 2001 stagnierten; seither sind sie sogar gesunken. Die deutschen Machteliten meinen offenbar, auf ihrer Linie bleiben zu können: Eliteförderung für wenige, Sozialpädagogik für den Rest. Und die Global Players kaufen mit Green Card, Trainee-Programmen und Privatunis ihren Nachwuchs weltweit ein. Die OECD-Studie gibt Deutschland – im Gegensatz beispielsweise zu Irland – eine besonders schlechte Note für seine Anstrengungen, durch mehr Bildung die Arbeitsproduktivität zu steigern. Ich könnte mir andere Indikatoren für den gesellschaftlichen Ertrag eines Bildungssystems vorstellen: etwa die Beteiligung von Arbeiter- und Immigrantenkindern, Entwicklung von demokratischem Bewußtsein und Kritikfähigkeit, Selbsttätigkeit der Schüler, das Maß an Mitbestimmung von Schülern und Eltern. Dennoch ist die OECD-Kritik nützlich, für die Verantwortlichen aber geradezu vernichtend, weil das deutsche Bildungssystem selbst nach den Kriterien des internationalen Kapitalismus so grottenschlecht beurteilt wird. Vom »Modell Deutschland« kann keine Rede mehr sein. Bildungspolitisch sind wir ein Entwicklungsland geworden. Übrigens, damit diese Konsequenz ganz klar ist: Wenn Deutschland die Ausgaben der OECD-Spitzenländer erreichen will, müssen die Bildungsausgaben um jährlich 40 Milliarden Euro erhöht werden.
Erschienen in Ossietzky 20/2004 |
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