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Drei Jahre später – man schrieb noch Adenauer – machte ich mit meiner Frau einen Sonntagsausflug in die Lüneburger Heide. Wir querten dabei den Truppenübungsplatz Munster, und zu meinem naiven Erschrecken stellte ich fest, daß dort ausnahmslos alle an der Panzerstraße aufgereihten, durch Hinweisschilder gekennzeichneten Biwakplätze der Bundeswehr »ostdeutsche« Namen trugen: »Tilsit«, »Memel«, sogar »Kolberg«. Einer der Rastplätze, kaum 20 Meter neben dem Massengrab von 3000 in Bergen-Belsen ermordeten Sowjetsoldaten gelegen, war mit dem beziehungsvollen Namen »Tannenberg« versehen. Der Mythos Tannenberg hatte einst zum Kern des NS-Geschichtsbildes gehört: Dort war 1410 das Ritterheer des Deutschen Ordens »im Kampf gegen Verrat und grausame Sklavenhorden heldenhaft verblutet«, dort hatten Hindenburg und Ludendorff 1914 »die Russen vernichtend geschlagen«. Anzunehmen, die Namensgebung in unmittelbarer Nachbartschaft des russischen Soldatenfriedhofs sei rein zufällig, bedurfte es eines schon sehr naiven Gemüts. Entsetzt verfaßte ich daraufhin einen Bericht. Es war mein erster wirklich politischer Artikel – und er wurde folgerichtig nirgendwo zum Druck angenommen. Wenn ich diese über vierzig Jahre zurückliegende Geschichte heute noch einmal aufschreibe, so ist das natürlich Schnee von gestern, oder? Ist der Bundeswehr nicht ihr traditionelles Feindbild seit der »Wende«, spätestens seit der EU-Osterweiterung irgendwie abhanden gekommen? Ist nicht der amtliche Eintrag von 1984 im Computer des »Verfassungsschutzes«, der mein Geburtsland mit »PBO« (Polnisch besetzte Ostgebiete) angibt, nur ein historisch längst verjährter sprachlicher Lapsus? Im Spiegel lese ich jetzt, Bahnchef Mehdorn habe unlängst – im September 2004 – mit seiner Führungsmannschaft den Truppenübungsplatz Hammelburg der Bundeswehr besucht und bei dieser Gelegenheit auf dem »Biwakplatz Königsberg« genächtigt. Ein Lump, wer Schlechtes dabei denkt! Nach dem, was in letzter Zeit – nicht erst seit Beginn des Kant-Jahres – den Gazetten zu entnehmen war, ist die Heimholung Kaliningrads doch inzwischen längst nur noch Sache der deutschen Wirtschaft. * Daß das Feindbild der Bundeswehr sich tatsächlich ein wenig geändert hat, läßt sich Heft 30/04 des Spiegel entnehmen. Da wird nämlich die Entwicklung neuartiger deutscher »Aufklärungsdrohnen« geschildert. Die Sache sei für die Bundeswehr außerordentlich interessant. Denn, so erläuterte ein Oberstleutnant: »Der Auftrag (für die Drohnen; D.K.) könnte zum Beispiel lauten, eine Ortschaft auszukundschaften, in der sich Aufständische verschanzt haben. Mit einer Mikrodrohne können Sie die Scharfschützen lokalisieren, noch bevor der Grenadierzug überhaupt ausrückt...« Aufständische. Früher hätte so ein Militär beliebt zu formulieren: »Feind« oder »Gegner«. Wohlgemerkt: In dem Spiegel-Beitrag war nicht von speziellen Kriegssituationen oder Einsatzorten die Rede. Aber natürlich: »Aufständische«. Die Selbstverständlichkeit der Wortwahl sollte aufmerken lassen. Hauptaufgabe der Armee ist also jetzt die Unterdrückung von Aufständen. Kein Freud’scher Versprecher. Realität. Wie auch die Proteste gegen Sozialabbau. Und die Debatten über Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Innern. * Als Drehscheibe zwielichtiger Geldgeschäfte galt bisher weltweit unbestritten die Schweiz, speziell die Zürcher Bahnhofstraße. In einem besonders brisanten Fall wollte man in Zürich nun aber doch nicht mehr mitmischen. So ist denn kurzentschlossen Berlin in die Bresche gesprungen. Geldwäsche in großem Stil: Man holte die Ausstellung exemplarischer Stücke der Sammlung Flick heim ins Reich. Nun ist Beihilfe zur Geldwäsche zwar strafbar (wie auch die Führung von Angriffskriegen), aber wenn der Täter Kanzler ist... Und mal ehrlich: Eleganter als mit der Rede eines Regierungschefs kann Blutgeld nun wirklich nicht gewaschen werden. Kunstfreund Schröder hatte aber wohl mehr den Aufschwung im Auge. Denn daß seine Mitwirkung auf dem Kunstmarkt zu einer immensen Wertsteigerung der zusammengerafften Werke führen wird, steht außer Zweifel. Neben den dunklen solle die Schau auch die hellen Seiten der Geschichte des Hauses Flick zeigen, wünscht sich Flick. Neben? Nicht einmal eine kleine Mahntafel dokumentiert im Ausstellungsbereich die Herkunft des Riesenvermögens der Familie, geschweige denn, daß die Dynastie selbst jemals auch nur einen Anlauf unternommen hätte, in einer repräsentativen Schau die Verbrechen des Hauses Flick darzustellen. Also nicht neben, sondern statt. Weißwäsche eben. Kanzler Schröder wirkte stolz und zufrieden, als ihm Steuerflüchtling Flick gütig zulächelte. * Auch auf filmischem Gebiet scheint die künstlerische Auswertung des Verbrechens den wirtschaftlichen Aufschwung zu beflügeln: Das Hitler-Drama »Der Untergang« dürfte sich – nicht zuletzt dank bisher in diesem Ausmaß kaum bekannter, (möglicherweise) unbezahlter Werbehilfe sonstiger Medien (s. Ossietzky 18/04) – zum seit langem größten deutschen Filmgeschäft entwickeln. Produzent und Akteure erhalten viel Anerkennung dafür, daß ihr Werk ebenfalls die ein wenig helleren Seiten eines letztlich irgendwie tragischen Helden zeigt: Auf seine Umgebung hat der Diktator gelegentlich menschlich und fürsorglich gewirkt. Gut war Hitler bekanntermaßen auch zu seinen Schäferhunden. – Gekonnt die Anwendung des Brecht’schen Verfremdungseffekts: Der Führer spricht und schreit im Film streckenweise mit dezentem, jedoch unüberhörbarem schweizerisch-alemannischen Unterton. * Zwischentöne auch in der Berichterstattung über die Landtagswahlen. In Brandenburg hat die PDS nur 4,7 Prozent dazugewonnen und ist folglich Verlierer; die SPD jedoch hat lediglich 7,4 Prozent verloren und befindet sich folglich im Aufwind. Früher erzählten wir uns gern einen Witz über bundesdeutsche Sportberichte: Bei einem Leichtathletik-Länderkampf zwischen damals noch beiden deutschen Staaten geht der DDR-Läufer Schulze mit weitem Vorsprung vor seinem Westkonkurrenten Meier über die Ziellinie. Kommentar: »Bester Deutscher wurde Meier mit einem hervorragenden zweiten Platz. Der Chemnitzer Schulze lief als Vorletzter ein.« In Sachsen war die SPD ohnehin siegessicher in den Wahlkampf gegangen. Sie hatte im Landtag ja 12,5 Prozent. Ein Absturz wie bei der voraufgegangenen Landtagswahl im Saarland mit einem desaströsen Verlust von 13 Prozent war also völlig ausgeschlossen. Sie büßte nur mal gerade nicht ganz drei Prozent der Stimmen ein, zog einstellig fast mit der NPD gleich und war damit auf der Siegerseite, nämlich Regierungspartei. Vielen Pressekommentaren zufolge sind die Wahlergebnisse große Achtungs-erfolge für das unbeirrbare Festhalten des Kanzlers an seiner Agenda 2010. * Die Umsetzung von Hartz IV soll den Bundeshaushalt um rund sechs Milliarden Euro entlasten. Gleichzeitig wird die Senkung des Spitzensteuersatzes den Staatssäckel etwas über sechs Milliarden Euro kosten. Welch ungeheurer Verwaltungsaufwand wird für diese sozial unabdingbare Umschichtung doch wieder nötig sein. Wäre es nicht einfacher und vor allem kostendämpfender, wenn Arbeitslose und Rentner ihr Scherflein gleich direkt an die Bestverdiener überwiesen? Gemeinsam sind wir stärker: So könnten beispielsweise schon 60 000 ALG-2-Bezieher mit einem kleinen Beitrag von je 50 Euro die Patenschaft für Herrn Esser übernehmen, dessen persönliche Steuerersparnis allein bei der Mannesmann-Abfindung überschlägig drei Millionen Euro betragen dürfte. Für Vodafone wäre freilich eine noch etwas größere Solidargemeinschaft nötig. Kanzler Schröder geht hier wohl mit gutem Beispiel voran. Er hat nämlich die »Mitnehmermentalität« der Deutschen beklagt, die allzu häufig Sozialleistungen beanspruchten, die sie gar nicht nötig hätten. Da wird er vermutlich demnächst öffentlich auf drei seiner vier Renten verzichten, deren jede einzelne – Landtags- und Bundestagsabgeordneten-Pension sowie Kanzler- und Ministerpräsidenten-Ruhegelder – ein Vielfaches der Durchschnittsrente betragen dürfte. Man muß doch nicht alles mitnehmen, Gerd! Hartzliches Beileid. * In Königs Wusterhausen habe ich unlängst den alten und neuen Ministerpräsidenten Platzeck am Rande eines SPD-Wahlveranstaltung höflich gefragt, ob er schon Unterlagen über Hartz V und Hartz VI besitze. »Nein, so etwas ist nicht vorgesehen,« antwortete mir der gute Mann. »Aber nach aller Erfahrung werden Sie doch nicht Schluß machen, bevor der Arbeitgeber-Anteil völlig abgeschafft ist?« Da belehrte mich schnell ein Wahlkampf-Assistent: »Es gibt auch Länder, da gibt es überhaupt keinen Arbeitgeber-Beitrag.« Der bewundernde Tonfall war deutlich herauszuhören.
Erschienen in Ossietzky 20/2004 |
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