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Horst Köhler, Marktoberhaupt. – Die deutschen Massenmedien rühmen an Ihnen die Fähigkeit, »unbequeme Wahrheiten« auszusprechen – auch jetzt, da Sie dafür werben, sich in Deutschland mit ungleichen Lebensverhältnissen abzufinden und von Nord nach Süd und von West nach Ost das Ziel gleicher Lebensverhältnisse aufzugeben. Insbesondere die Ostdeutschen wollen Sie damit ruhigstellen. Aber welche Wahrheit ist es, an die Sie die BundesbürgerInnen ­gewöhnen wollen? Offenbar die, daß das Grundgesetz (das in Artikel 72 »die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse« im Territorium der Bundesrepublik zum Ziel setzt) in der gesellschaftlichen Praxis seine Geltung verloren hat. Es gelten vielmehr die Regeln dessen, was Sie den »Markt« nennen. Für Sie ist diese Wahrheit gewiß nicht unbequem. Verfassungsfeinde im Präsidentenamt haben kein Berufsverbot zu fürchten.

Joseph Fischer, Weltreisender. – Ihr Partner im Kanzleramt, von der Ungunst der WählerInnen gebeutelt, braucht ein bißchen Zuspruch bei seinen Abbrucharbeiten im Gelände des Sozialstaats. Und da ist Ihnen etwas eingefallen: Die Bundesrepublik müsse den Sozialstandard absenken, um »internationale Wettbewerbsfähigkeit wiederzugewinnen«. Sie sind viel unterwegs. Deswegen bleibt einfach keine Zeit, mal in die Außenhandelsbilanz hineinzuschauen.

Christine Scheel, Fachfrau für Fluchtfragen. – Als Sprecherin der Grünen für Finanzpolitik haben Sie diejenigen zur Ordnung gerufen, die in der SPD über höhere Kapitalbesteuerung wenigstens reden möchten: »Diese Debatte ist schädlich. Wir müssen darauf achten, daß wir durch eine neuerliche Diskussion über höhere Steuersätze nicht die Kapitalflucht anregen.« Keine Sorge. Die Verwalter des großen Kapitals wissen, was sie vom gelegentlichen Aufmucken in der SPD zu halten haben. Und auch, daß auf die Grünen in jedem Falle Verlaß ist.

Kirchensteuerstellen der Finanzämter. – Sie berufen sich auf das Grundgesetz in Verbindung mit der Weimarer Reichsverfassung und der Abgabenordnung, um von denen, die irgendwann bereits die Frage nach der Kirchenzugehörigkeit mit einem klaren und wahrheitsgemäßen »Nein« beantwortet haben, jetzt ein dreifaches »Nein, Nein, Nein« schriftlich einzusammeln. Schön, daß die Finanzämter sonst keine Probleme haben. Wer zahlt eigentlich das Porto und die Personal- und Sachkosten für diese Aktion, womöglich jeder Steuerzahler, auch der nichtkirchenangehörige? Und wenn Sie schon den ganzen Aufwand betreiben, warum schicken Sie nicht gleich ein Werbefaltblatt und eine Beitrittserklärung, dann könnten Sie über die Werbeprämie im Erfolgsfall das Porto finanzieren.

Christina Weiss, Kulturstaatsministerin. – Den Massenbesuch von 17 000 Menschen während der »Langen Nacht der Museen« im ausgeweideten »Palast der Republik« und die anschließende Diskussion, ob man ihn wirklich abreißen soll, haben Sie mit einer Trotzreaktion beantwortet: »Die Entscheidung des Bundestages gilt und ist unangefochten.« Zur selben Zeit wurde im wiederaufgebauten Warschauer Königsschloß eine Ausstellung über die Brutalität der deutschen Wehrmacht eröffnet, die vor 65 Jahren nach der Eroberung von Warschau das Schloß ausgeräubert und dann gesprengt hatte, um jede Erinnerung an den polnischen Staat auszulöschen.

Uwe Geishendorf, Ossietzky-Leser. – In einer Zuschrift zu dem Beitrag »Die Kommunisten sind schuld« in Heft 17/04 haben Sie uns darauf aufmerksam gemacht, daß das Grundprinzip des Kommunismus in seinem ersten Teil lautet: »Jeder nach seinen Fähigkeiten«, nicht »… nach seinen Leistungen«. Danke. Die Dauerbeschallung mit Propaganda für die »Leistungsgesellschaft«, vor allem mit der Parole »Leistung muß sich wieder lohnen«, hatte offenbar unsere Fähigkeiten beeinträchtigt. Gut, daß in solchen Fällen beherzte Leser eingreifen.

David Blieswood, Bild-Autor. – Vor dem deutschlandweiten Kino-Start der Hitler-Schmonzette »Der Untergang« raunzen Sie: »Er ist Pflicht […] Deutschland kann und muß diesen Film aushalten.« Jawohl, Herr Bildschrifttumführer: Ein Volk, ein Reich, ein Film.«

Erschienen in Ossietzky 19/2004