Alte und neue Ernennungen

Lothar Kusche

Der Mensch liebt es, zu irgendwas ernannt zu werden oder einen anderen Menschen zu irgendwas zu ernennen. Einen originellen Titel verlieh sich der originelle Schauspieler Friedrich Gnaß (1892-1958), als er noch unter der Oberleitung des berühmten Gustaf Gründgens im Staatlichen Schauspielhaus am ­Gendarmenmarkt spielte. Damals wie später (als er im Berliner Ensemble ­erfolgreich war) zeigte sich Gnaß einem guten Tropfen nicht abgeneigt, und es durften auch einige Tropfen mehr sein. Am Rand sei erwähnt, wer in seiner Eigenschaft als preußischer Ministerpräsident damals der oberste Theater-Herr war: der Reichsjägermeister und spätere Reichsmarschall Hermann Göring.

Im würdigen Musentempel am Gendarmenmarkt sprach eines Tages, nach der Probe, der Regisseur Jürgen Fehling zu dem leicht angesäuselten Friedrich Gnaß die ernsten Worte: »Falls Sie morgen vormittag hier noch mal so erscheinen, ist meine Geduld zu Ende! Sie haben hier stocknüchtern aufzutreten! Sonst sorge ich für Ihre fristlose Kündigung! Und zwar sofort! Verstanden?!«

»Jawoll.«

Der Künstler Gnaß fand sich am folgenden Morgen ein, pünktlich, aber auch beschwingt und heiter und so weiter. Der Künstler Fehling explodierte dermaßen hörbar, daß die schreckhaften Tauben (ohne zu gurren) vom Dach fielen, und brüllte: »Aus! Und raus! Und...«

»Gestatten Sie mir«, bat Gnaß, »noch eine letzte, wichtige Mitteilung. Auf dem Weg hierher traf ich zufälligerweise den Herrn Ministerpräsidenten Göring, und da...«

»Halten Sie endlich Ihr Maul!«

»Ja, gleich. Und da hat mich der Herr Ministerpräsident ganz plötzlich und überraschend zum Reichs-Steinhäger ernannt!«

Die Karriere des Friedrich Gnaß wurde nicht abgebrochen.

Inzwischen sind viele Ernennungen an uns vorübergegangen.

Neulich wurde Karl Moik zum Professor ernannt. Das kann in Österreich jedem passieren, in schlimmeren Fällen wird man Hofrat. Oder umgekehrt. Karl Moik leitet seit vielen Jahren die Fernsehsendung »Musikantenstadl«, in welcher er keine Musik macht, weil er wahrscheinlich keine Musik machen kann, glücklicherweise. Herr Professor Moik stadlt da vor der Kapelle ein bißchen hin und her, man nennt das Volksmusik, und es wurde schon in der Volksrepublik China aufgeführt, vorsichtshalber nicht vor Chinesen, sondern vor eigens zum Applaudieren eingeflogenen Moik-Fans.

Weiters wurde der TV-Ansager und Korrespondent Ulrich Wickert, dem wir nach seinem langen Studienaufenthalt in Frankreich die Information verdanken, daß Paris nicht nur an der Seine liegt, sondern auch ihm am Herzen, nun endlich zum Professor Wickert ernannt. Das ist schön. »Der Titel«, wünschte Kurt Tucholsky »soll den Träger immer an seine eigene Herrlichkeit gemahnen.«

Mancher Professor braucht gar keinen Titel. Er illuminiert sich mit der eigenen Herrlichkeit. Vielleicht kennen Sie den Professor Hademar Bankhofer, der Mitteleuropa & Umgebung in allen Medien mit seinen verblüffenden Rezepten gegen kalte Füße übersprüht wie Sonnenregen... Professor Hademar Bankhofer? Das Zauberwort Hademar allein könnte doch die Menschheit heilen!

Im Mai 2004 meldeten europäische Nachrichtenagenturen, was Ihnen, geduldiger Leser, entgangen sein könnte: »Bahn-Chef Hartmut Mehdorn ist zum Kommandeur der französischen Ehrenlegion ernannt worden. Frankreichs Präsident Chirac rühmte den Einsatz Mehdorns für die Entwicklung der deutsch-französischen Zusammenarbeit und bezog sich nicht nur auf Mehdorns Tätigkeit als DB-Vorstandsvorsitzender, sondern auch auf seine langjährige Mitarbeit im europäischen Flugzeug-Konsortium Airbus-Industries.«

Oft im Leben kommt es auf den rechten Zeitpunkt an. Der Bahnchef war in eine lästige Korruptionsangelegenheit verwickelt, als man in Paris die ehrende Ernennung beschloß. Um dem Kommandeur Mehdorn und der von ihm kommandierten Ehrenlegion jede Peinlichkeit zu ersparen, stellte die unabhängige Justiz das Verfahren ein.

Nichts verbindet das Verkehrs- und das Rechtswesen so eng wie die Hohe Kunst des Ver-Fahrens.

Erschienen in Ossietzky 19/2004