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Mit der Erklärung, daß sein Fahrer aufgehalten worden sei, er aber rechtzeitig zur Behandlung seines kranken Beins in der City sein müsse, pumpt er mich um das Fahrgeld an und fragt, nachdem wir ihm noch einen Cognac spendiert haben, ob ich nicht ein deutsches politisches Magazin für ihn hätte. Ich schenke ihm ein Heft Ossietzky. Er kannte die Weltbühne. Als wir zu unserem Flug aufbrechen, sitzt er immer noch da. Strandgut des neuen Rußland? Sotschi. In dem Kurort am Schwarzen Meer ist von der neuen Armut wenig zu sehen. Zwar sind die Sanatorien und Hotels nicht mehr wie zu Sowjetzeiten den Werktätigen vorbehalten, aber auch solche Feriengäste gibt es noch. An den Stränden tummeln sich jedoch eher die »neuen Russen«, die Reichen, für die auch neue komfortable Hotels gebaut worden sind. Internationale Gäste wurden allerdings noch kaum angelockt. Immerhin trafen sich in dem Erholungsresort erst kürzlich Schröder und Chirac mit Putin, der hier gern Urlaub macht. In der Nähe besaß auch Stalin eine nun als Touristenattraktion vorgezeigte Datsche. Die Vergangenheit bleibt weiter lebendig. Ein Denkmal und ein Museum erinnern an Nikolai Alexejewitsch Ostrowski, der zuletzt, erblindet und gelähmt, bis zu seinem Tode 1936 in Sotschi lebte. Sein Buch »Wie der Stahl gehärtet wurde« gehörte zur Pflichtlektüre in DDR-Schulen. Und in einer der vielen Grünanlagen behauptet – wie auch in anderen Orten des Landes – ehern eine Lenin-Statue ihren Platz, während in den Kinos »Good bye Lenin« läuft. Zwei Straßen heißen unverändert nach dem kommunistischen Jugendverband Komsomol und der Kinderorganisation, den Pionieren. In anderen Städten hat man Hauptstraßen die alten, vorrevolutionären Namen zurückgegeben. Statt Coca Cola trinken viele wieder Kwas. Das sieht genau so aus, schmeckt aber anders. Die kleinen gelben Kübelwagen mit dem russischen Nationalgetränk – neben Wodka – sind in Sotschi allenthalben anzutreffen. Vor dem Winter-Theater, einem klassizistischen Bau aus der Stalinzeit, Schauplatz des Filmfestivals, das mich alljährlich hierherführt, begrüßen Tausende begeistert ihre heimischen Kinostars. Drinnen gibt’s nostalgischen Beifall, wenn auf der Leinwand eingangs das Markenzeichen des Traditionsstudios Mosfilm erscheint, die Muchina-Skulptur von Arbeiter und Bäuerin mit Hammer und Sichel. Besonders akklamiert werden auch neue patriotische Filme, zum Beispiel ein nach herkömmlichen Mustern gestricktes heroisches U-Boot-Drama, das aktuell die Kursk-Katastrophe assoziieren läßt. Nicht weit von Sotschi die georgische Krisenregion Abchasien. Die gleich hinter der Grenze liegenden Seebäder Gagra und Pizunda waren zu Sowjetzeiten ähnlich gefragte Ferienziele wie Sotschi. Heute gelangt man dorthin nur mit einem Visum. Vor vielen Jahren hatte ich in Tbilissi eine erste Begegnung mit grusinischem Nationalismus, aber auch Antisemitismus. Der perfekt Deutsch sprechende Sekretär des Filmministers fragte mich bei einem Stadtbummel: »Weißt Du eigentlich, daß der Sascha Jude ist?« Sascha war unser Delegationsleiter, ein sympathischer junger Filmstudent, den das georgische Empfangskomitee schon auf dem Flughafen geschnitten hatte. Russe und Jude war in den Augen meines Begleiters ein doppelter Makel. Eine andere Delegationsreise führte mich in das Georgien benachbarte Ordschonikidse. Die Hauptstadt der Nordossetischen Autonomen Sowjetrepublik trug damals den Namen eines der engsten Mitarbeiter Stalins, der 1920/21 die Herrschaft der Bolschewiki in Georgien und Armenien aufgerichtet hatte. Heute heißt sie wieder wie bis 1931 Wladikawkas und geriet erst kürzlich als möglicher Ausgangspunkt für den Terroristenanschlag im unweit gelegenen Beslan mit in die Hiobsbotschaft. In meiner Erinnerung an friedliche Zeiten ist vor allem eine Fahrt durch wildromantische Kaukasustäler geblieben und eines jener üblichen Bankette mit viel Wodka und Trinksprüchen. Dabei saß neben mir der Fahrer des Filmministers, von dem sich herausstellte, daß er mit Vornamen Thälmann hieß, was mir deutlich machte, daß internationale Solidarität einmal mehr bedeutete als ein wohlfeiles Schlagwort. Geboren war mein Nachbar in der Zeit einer Kampagne für die Freilassung des von Nazis inhaftierten KPD-Chefs. Daß solche Namensgebungen damals keine Ausnahmen waren, beweist der berühmte russische Filmregisseur Marlen Chuzijew, dessen Vorname sich aus den Kürzeln für Marx und Lenin zusammensetzt. Moskau. Auch hier während des sich an Sotschi anschließenden Filmfestivals wieder Erinnerungen. Ich umrunde noch einmal den riesigen Komplex des 1967 am Ufer der Moskwa gebauten Hotels »Rossija«, in dem seither mehr als zehn Millionen Gäste übernachteten. Zu ihnen gehörten bis Anfang der neunziger Jahre auch die Teilnehmer des Moskauer Filmfestivals, für das im gleichen Gebäude ein großer Kinosaal zur Verfügung stand. Jetzt unterschrieb Anfang August der Bürgermeister der russischen Hauptstadt, Jurij Luschkow, einen Beschluß zum Abriß des »Rossija« mit seinen 3170 Zimmern. An seiner Stelle sollen Tiefgaragen sowie ein Geschäftszentrum mit Hotelbetrieb entstehen. Ich schlendere über den nahegelegenen Roten Platz. Vor dem Lenin-Mausoleum, zu dessen Besuch früher lange Menschenschlangen anstanden, steht ein gelangweilter einsamer Posten. Die ultranationalistische Liberaldemokratische Partei hat neulich in einem Brief an die Regierung um die Erlaubnis gebeten, eine Versammlung im Mausoleum abzuhalten, bei der auch die Entfernung des Leichnams des »Führers des Weltproletariats« durch die LDPDR-Fraktion diskutiert werden soll. Von einer anderen PR-Aktion des skandalumwitterten Parteiführers Wladimir Schirinowski erfuhr ich aus der Moskauer Deutschen Zeitung. Demnach präsentierte er sich im Mai auf einer Pressekonferenz in Berlin bereits als Bewerber für den russischen Präsidentenposten 2016. Wenn auch Lenin, der einbalsamierte, kaum noch Beachtung findet, ziert er doch wie Stalin, Che und das alte sowjetische Staatswappen T-Shirts, die in den zahllosen Kiosken der Metro-Unterführungen feilgeboten werden. Das traditionsreiche Kaufhaus GUM vis à vis vom Kreml ist dagegen von westlichen Edelboutiquen in Beschlag genommen, die auch sonst im Straßenbild neben entsprechender Reklame die globale Invasion des Kapitalismus bezeugen. Natürlich fehlt wie in allen anderen Städten nicht das unvermeidliche McDonalds. Moskau boomt. Zu den bereits in die Höhe geschossenen Wohnvierteln an der Peripherie sollen bis 2015 fast 200 neue Hochhäuser entstehen, größtenteils 30stöckige Gebäude mit einem 60 bis 70 Etagen hohen Wolkenkratzer als Krönung. Zu den Schattenseiten des »Fortschritts« gehört eine wachsende Fremdenfeindlichkeit, die sich auch gegen die hunderttausende in Rußland Arbeit suchenden Migranten aus ärmeren früheren Sowjetrepubliken richtet. Ein informeller Führer der etwa 1500 Moskauer Skinheads – im ganzen Land sind es etwa 50 000 – proklamierte schon einen »rassischen heiligen Krieg«. Am auffälligsten aber ist der wachsende Einfluß der orthodoxen Kirche, die ein ideologisches Vakuum nach dem Zusammenbruch des Kommunismus ausfüllt. Die neue Macht der Popen zeigte auch der seit Juni laufende Prozeß gegen den Direktor des Sacharow-Museums, Jurij Samodurow, und zwei weitere Angeklagte wegen »Aufhetzung zu religiösem Haß«; dieses Verbrechens sollen sie sich mit einer Kunstausstellung schuldig gemacht haben. Die fand im Januar 2003 unter dem Motto »Vorsicht, Religion« mit 42 Werken vorwiegend russischer, aber auch kubanischer, japanischer und US-amerikanischer Künstler statt. Ein Jesus auf dem Coca-Cola-Logo sollte beispielsweise zum Nachdenken über die Kommerzialisierung von Religion anregen. Eine Duma-Resolution verdammte die Ausstellung. Vandalistisch beschädigten sechs Kirchenanhänger Ausstellungsstücke, wurden aber freigesprochen; vom Gericht herbeigezogene Experten, die vor noch nicht allzu langer Zeit im Sowjetsystem aufgestiegene geschworene Atheisten waren, nahmen wie die Duma den orthodoxen Standpunkt ein. Vor einer der vielen Kirchen beobachte ich Männer und Frauen jeden Alters, die sich tief verneigen und mehrfach bekreuzigen. Kiew. Ausgangspunkt einer Dnjepr-Flußkreuzfahrt, meiner ersten Begegnung mit der Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit. Nach fast einem ganzen Monat Rußland nun noch drei Wochen für mehr als 1000 Kilometer. Mit der Hauptstadt verbinden sich noch Erinnerungen aus den siebziger Jahren. Damals kostetete es mich einige Hartnäckigkeit, bis ich vor dem Mahnmal von Babij Jar Blumen niederlegen konnte, jenem Ort grausamster Judenvernichtung, dem Jewgenij Jewtuschenko ein seinerzeit aufsehenerregendes Gedicht gewidmet hatte. Der Gedanke an die Greueltaten der Deutschen begleitet mich auf der ganzen Fahrt, die bis zuletzt durch ein Gebiet führt, das einmal von der Wehrmacht besetzt war, ehe die Rote Armee es befreite und den Welteroberungswahnsinn des »Führers« in seinem inzwischen zum Filmschauplatz gewordenen Bunker der Reichskanzlei enden ließ. Das Gedenken an den Großen Vaterländischen Krieg hat in der Sowjetunion stets die Erinnerung an die Judenmorde überdeckt. Odessa. In dieser 1795 von Katharina II. gegründeten Stadt an der Dnjeprmündung waren Ende des 19. Jahrhunderts rund ein Viertel der ethnisch bunt gemischten Bevölkerung Juden. 90 000 waren es, als Odessa nach zweimonatiger Belagerung am 16. Oktober 1941 von Deutschen und Rumänen erobert wurde. 19 000 wurden bereits eine Woche nach der Besetzung im Hafen ermordet. Die meisten Übrigen kamen in Ghettos und rumänischen Lagern ums Leben. Trotz dieses Aderlasses ist der Mythos Odessa, das als »Klein-Paris« keiner anderen sowjetischen Stadt glich, lebendig geblieben, dank Isaak Babel und anderen Schriftstellern und in der Erinnerung vieler Auswanderer. Etwas davon ist auch heute noch zu spüren, in den vielen Cafés und dem von Einheimischen, Touristen und Händlern belebten Boulevard Deribassowskaja mit dem anschließenden Stadtgarten, wo musiziert wird und Maler ihre Bilder ausstellen. Das von Eisenstein im »Panzerkreuzer Potemkin« verewigte Wahrzeichen der Stadt, die berühmte Treppe mit ihren 192 Stufen, endet jetzt nicht mehr direkt im Hafen, sondern ist durch eine breite Verkehrsstraße und Bahnlinie unschön in den Hintergrund gerückt. In der Sowjetunion war die Reederei von Odessa mit 318 Schiffen und 25 000 Seeleuten die größte der Welt. 1992 wurde sie privatisiert, und viele Schiffe wurden zu Schleuderpreisen ins Ausland verkauft. Was man nicht sieht: Odessa ist übrigens die von Aids am schwersten betroffene Stadt der Ukraine, mit etwa 150 000 Infizierten. Sewastopol. Als Kriegshafen blieb die lebendige Stadt zu Sowjetzeiten gesperrt. Dann wurde die Schwarzmeerflotte zwischen Rußland und der Ukraine geteilt. Deshalb weht von manchen Gebäuden auch die russische Trikolore. Sonst sieht man in der Stadt an fast jeder Ecke martialisch erhobene Fäuste und himmelstrebende Obelisken: 1500 Militärdenkmäler erinnern an die 349 Tage lange Belagerung während des Krimkrieges und den 250 Tage währenden Widerstand im Zweiten Weltkrieg. Jalta. In dem bekanntesten Ferienort der Krim fand im Februar 1945 die be-rühmte Konferenz statt, bei der Stalin, Roosevelt und Churchill die Nachkriegsordnung festlegten. Lange war man sich nicht über den Tagungsort einig gewesen. Amerikaner und Briten wollten nach Odessa, nicht ins Schloß des von den Bolschewiken umgebrachten letzten Zaren. Nun kann man doch in dessen Liwandija-Palast den runden Tisch bewundern, an dem die Großen Drei über das Schicksal Europas entschieden. Nebenan Schlaf- und Eßzimmer Roosevelts, der auf den Fotos schon deutlich vom nahen Tod gezeichnet wirkt. Seinerzeit brauchten die von 200 KGB-Leuten abgeschirmten 2500 Konferenzteilnehmer sieben Passierscheine, um ins Allerheiligste zu gelangen. Heute führt der Weg durch eine lange Reihe von Buden mit dem üblichen Touristen-Krimskrams. Ganz aktuell bietet eine Händlerin Coca-Cola-Becher mit einem Olympia-Logo von Athen feil. Bei einem Fotografen können sich weibliche Kunden in Kostümen aus der Zarenzeit ablichten lassen. Natürlich sind nun auch die Zarengemächer zu besichtigen mit vielen Fotos der Familie. Ein langes Poster Nikolais II. bedeckt einen Teil der blendend weißen Schloßfassade. Zaren sind wieder »in«. Auch im russischen Fernsehen. Da gab es eine Serie »Geheimnisse von Palastrevolutionen im 18. Jahrhundert« und eine Trilogie über Zaren jener Zeit. Im patriotischen Trend liegen aber auch alte Sowjetfilme. Gleichzeitig kopiert eine neue Serie des Senders NTV das populäre US-Vorbild »Sex in the City«. Protagonistinnen sind Vera, eine Psychologin, die mit ihrer Mutter und halbwüchsigen Tochter zusammenlebt, Alla, eine Rechtsanwältin, Sonja, mehrfache Witwe, und Julia, die vom Geld ihrer Eltern lebt. Obwohl nahe an heutiger russischer (Großstadt-)Wirklichkeit ist die positive Darstellung eines Single-Daseins doch ziemlich neu für eine Gesellschaft, in der man von Frauen immer noch selbstverständlich erwartet, daß sie heiraten. In den Kinos dominiert wie bei uns Hollywood, und in Kiosken sind die neuesten US-Produktionen als Raubkopien auf DVD billig zu haben. Trotzdem holt der heimische Film auf. Timur Bekmambetows »Nachtwache«, eine krude Mischung aus Fantasy, Science Fiction, Vampir- und Katastrophenfilm, ließ in den letzten Wochen an Publikumszuspruch »Troja« und den »Herr der Ringe« weit hinter sich. Ukraine. Hinter der freundlichen Fassade des Landes verbirgt sich viel Armut. 40 Prozent sind arbeitslos, davon zwei Drittel Frauen. Jeder fünfte Ukrainer arbeitet im Ausland. Nach der Unabhängigkeit entwickelten sich Korruption, Schattenwirtschaft, Kapitalflucht. An der Spitze von 300 Millionären steht Präsident Leonid Kutschma, der alle Massenmedien unter Kontrolle hält. Nach der Präsidentschaftswahl im Oktober muß er abtreten; von dem als Favorit geltenden Kandidaten Viktor Juschtschenko ist Änderung kaum zu erwarten.
Erschienen in Ossietzky 19/2004 |
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