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Der Oper droht die Nachbarschaft zum Museum.« Selten kann ich einer Aussage so vorbehaltlos zustimmen wie dieser von Siegfried Matthus in einem von ihm herausgegebenen Sammelband von Opernlibretti der Gegenwart (»Opern des 21. Jahrhunderts«) aus der Opernwerkstatt der Kammeroper Rheinsberg. Auch an diesem Ort bildeten bislang die Opern des gescholtenen Kanons die Achse, Mozart vor allem. Ausgenommen blieben Wagner und Strauß (von dem lediglich »Ariadne auf Naxos« aufgeführt wurde). Dazu kamen einige ausgegrabene Werke von Graun, Händel, E.T.A. Hoffmann (»Undine«), Paisiello, Salieri. Aus dem 20. Jahrhundert wurden Opern von Orff oder Britten gespielt, klassische Moderne. Sein eigenes Werk stellte Matthus bescheiden in den Hintergrund: Zur Eröffnung der Kammeroper gab es »Die Weise von Liebe und Tod des Cornet Christoph Rilke«, später »Die Heimkehr des Odysseus« und zur Eröffnung des wiedererbauten Rheinsberger Schloßtheaters 1999/2000 »Kronprinz Friedrich«. In diesem, dem 14. Jahr der Kammeroper, hat sich das geändert. Szenen aus sechs Matthus-Opern (von »Lazarillo vom Tormes«, seiner ersten, über den »Cornet«, dessen berühmtestes Motiv zum Festspiel-Signal geworden ist, bis zur »Unendlichen Geschichte«, die erst 2004 ihre Uraufführung hatte) wurden konzertant dargeboten. Es sangen die besten jungen Sänger der letzten Jahre, musikalisch geleitet von Ingo Ingensand, einstudiert von Olav Krüger. Die Arie des Stolzen Spaniers aus »Lazarillo«, von Hubert Wild gesungen, erinnerte mich an Mozarts Figaro. Als Catherine Veillerobe und Aris Argiris Judith und Holofernes aus der Oper »Judith« nach Hebbel sangen, mußte ich an Argiris’ außergewöhnlichen Don Giovanni denken. Im komischen »Farinelli oder Die Macht des Gesanges« kamen Marie Thérèse von Seyfried, Lars Fosser, Carolin Masur und andere hinzu – ein prächtiges internationales Ensemble. Das war schön und gedankenvoll zugleich. Hier konnten sich die Tugenden des Komponisten voll entfalten; er hat sie und sich an diesem Abend auch beispielhaft vorgestellt. Zu rühmen sind als erstes die literarische Qualität und die dramatisch-theatra-lische Wirksamkeit seiner Libretti, die er vielfach selbst verfaßt hat. Die Stoffe hat er meist der hebräischen Bibel oder bedeutenden Werken der europäischen Literatur entnommen. Seine Leitthemen sind Zerstörung und Bewahrung menschlicher Würde in den Konflikten der Kräfte und Zeiten. Nicht minder beherrscht der Theatermann Matthus, oft begleitet von guten Regisseuren wie Götz Friedrich oder Harry Kupfer, seine musikalischen Mittel: von Volksliedern und großen alten Formen wie der Passacaglia bis zu moderner Reihentechnik, von der Instrumentierung (14 Flöten in der Friedrich-Oper) bis zur Behandlung der Stimmen. Diese Opern und ihre Partien sind sangbar. Eine besonders wichtige Art seines musikalischen Umgangs mit den Figuren sind die »Gedankenstimmen«. Mit Recht hieß dieser Abend moderner Opernmusik »Die Macht des Gesanges«. So viel zum Komponisten und Theaterleiter. Doch da gibt es noch den Lehrer und Förderer – nicht nur den der Sänger. 2001 gründete er seine »Komponisten-Werkstatt«, aus der inzwischen sechs Opern junger Tonsetzer hervorgegangen sind. Alex Nowitz (Komponist) und Ralph Hammerthaler (Librettist) schufen »Die Bestmannoper«, die sich mit Eichmann und seinem unentdeckt gebliebenen Gehilfen Alois Brunner befaßt. Wer hätte gedacht, daß solche Massenmörder auf die Opernbühne gebracht werden könnten. Das braucht Zeit, braucht Abstand. Ihre Haltungen und Handlungen textlich, szenisch, gar musikalisch zu gestalten, ist äußerst schwierig. Bloße Dissonanzen reichen dazu nicht aus. Hier ist es letztlich noch nicht gelungen. Ein diffuses Finale. Ratlosigkeit. Aber ich muß mich mit meinem Urteil zurückhalten, da ich nur ein Teilstück hören konnte, ohne Partitur. Thematischen Mut und Anspruch zeigen auch Thomas Barthel (Komponist) und Paula Köhler (Librettistin) in der Oper »Der Patient«, zu der sie klinisch-medizinische, sozial determinierte Fallstudien verarbeitet haben. Wenig überzeugend, weil klein im Ansatz trotz großer Vorlagen (von Alexander Blok, Jakob Michael Reinhold Lenz, William Blake, Dante, Sarah Kane u.a.), ist das musikalische Spiel »Mein Gesicht – Colombine« von Gordon Krampe. Halbwegs komisch, letztlich aber banal-traurig »Die geplatzte Show« von Milica Paranosic – ein wenig von Leoncavallos »Bajazzo«: Da sind sie alle tot. Zu kurz gegriffen und als gesellschaftliches Modell unbrauchbar die gruselige Geschichte eines 17fachen Mörders in »Vielleicht war ich ein Azteke« von Michael B. Weiß. Human im besten Sinne dagegen »Polarlicht« von Mark Moebius nach Juri Rytschëu: Der westlich-überhebliche Held John MacLennan wird nach einer schweren Havarie im eisigen Nordmeer zu einer tschuktschischen Schamanin gebracht, die ihn heilt. Er erlebt eine nie gekannte Solidarität dieses kleinen Volkes am Rande der zivilisierten Welt und kehrt nicht mehr in seine alte Welt zurück. Er wird ein »echter Mensch«. Ein kühner Entwurf des Möglichen. Nur zu! Auch klanglich drang da etwas in mich ein. Ich wünsche Aufführungen – gegen das Museum Oper. Ich wünsche Zeittheater.
Erschienen in Ossietzky 19/2004 |
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