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durchschnittlich 150 Blutbilder täglich ausgewertet werden, das Spital
hat eine hohe Ambulanzfrequenz. Die Ärzte ordneten ein Blutbild nur an,
wenn es wirklich unumgänglich ist. So zeigen fast alle Blutbilder abnorme
Ergebnisse. Und sie erzählt mir noch etwas, das mich erschüttert:
Oft sehe sie Hämoglobinwerte von Ein Vater von zwei kranken Kindern erzählt mir, daß eine seiner Töchter operiert werden soll. Aber sie wurde auf eine lange Liste gesetzt, denn es gibt nicht genug Narkosemittel in der Stadt. Diese wurden rationiert, und jedem Chirurgen wurde nur eine Operation pro Woche zugesagt. Das ist schlimmer, als es je war, und ich kann es den Leuten nicht verdenken, daß sie nostalgische Gefühle für die Zeit vor dem Krieg entwickeln. Zwei Entführungen gab es heute in unmittelbarer Umgebung. Ein junger Mann, dessen Vater ein Hotel besitzt, wurde mit seinem Fahrrad gestoppt und entführt. Er ist Christ. Bis jetzt gibt es keine Forderungen. Ein anderer, Vater zweier Kinder, wurde ebenfalls heute entführt, und es wurden 10 000 Dollar Lösegeld verlangt. Als ich dann spätabends schon im Bett liege, höre ich auf der Straße Gewehrsalven. Dr. Jenan, die Leiterin der Kinderkrebsstation, meint: »Der Krieg ist noch nicht zu Ende, für uns Iraker geht der Krieg weiter. Wir wagen uns kaum mehr auf die Straße, wir haben Angst vor den Terroristen, wir haben Angst vor den Entführern, wir haben Angst vor den Kriminellen, wir haben Angst vor den Dieben.« Und sie hat Angst, daß ich als Geisel genommen werden könnte. Ihre e-mail, in der sie mich gebeten hatte, jetzt nicht zu kommen, habe ich nie erhalten. Wie zur Bestätigung dieser Ängste hören wir kurze Zeit später die Nachricht, daß zwei junge Frauen, sie waren Christinnen, von Unbekannten vor ihrem Haus erschossen wurden, als sie eben aus dem Taxi stiegen. Die beiden Schwestern hatten für ein US-Unternehmen am Flughafen von Basra gearbeitet. Die Köchin des Erzbischofs, in dessen Haus wir wohnen, beginnt zu weinen. Auch ihr Mann arbeitet auf dem Flughafengelände, aber: »Ist das ein Verbrechen? Was sollen wir denn tun? Wir müssen arbeiten, wir müssen unsere Kinder ernähren!« Endlich kommt der Anruf: Unser LKW ist angekommen. In dieser Nacht stören mich nicht einmal mehr die Hubschrauber, die um das Stadtviertel kreisen. Als wir am nächsten Morgen zum Spital kommen, wartet der Fahrer des LKW schon auf uns. Es beginnen lange Verhandlungen, bei welchem Tor des Spitals entladen werden soll. Eines der Tore auf der Rückseite ist versperrt, und niemand weiß, wer den Schlüssel hat. »Der Irak ist ebenso verloren wie dieser Schlüssel«, meint Dr. Mohammed. Fünf Polizisten umgeben uns, einer mit einer Maschinenpistole, als endlich die Plombe des Lastwagens aufgebrochen wird und die Entladung beginnen kann. 24 Paletten mit einem Gesamtgewicht von fast sechs Tonnen sind abzuladen, alles mit den Händen, denn es gibt keinen Hubstapler. Fünf Arbeiter wurden dafür bestimmt. In der sengenden Hitze ist das wahrlich kein Vergnügen. Wir stehen dabei, beaufsichtigen das Ganze und leiden ebenfalls unter der Hitze, auch wenn wir nicht arbeiten müssen. Die Hitze des Bodens durchdringt selbst die Schuhsohlen. Ich frage die Polizisten – alles sehr junge Männer – ob sie diesen Beruf auch schon früher ausgeübt hätten. Alle verneinen. Welche Ausbildung sie denn erhalten hätten? Eine dreißigtägige Schulung hätten sie gehabt. Ob das denn genüge, um Polizist zu sein? Nein, aber es sei ein wichtiger Beruf. Ob sie wohl Angst hätten, da so viele Polizisten in Ausübung dieses Dienstes sterben? Nein, sie hätten keine Angst, in einer sehr kritischen Zeit trügen sie dazu bei, einen Rechtsstaat zu schaffen. Nicht alle Polizisten denken so. Die Amerikaner akzeptierten jeden, der sich beworben hatte, der einzige Ausschlußgrund war eine frühere Mitgliedschaft bei der Baath-Partei. Selbst 16jährige wurden genommen, Kenntnisse wurden nicht verlangt. Am Abend kehren wir sehr zufrieden in das Bischofshaus zurück, wir wissen alle unsere Hilfsgüter in Sicherheit. Unsere Freude wird bald durch den Tagesbericht des Bischofs getrübt: Heute sind mehr als 90 Iraker bei einer Serie von Anschlägen und Kämpfen gestorben, mehr als 300 Menschen wurden verletzt, in Mossul wurden sieben Polizeistationen überfallen. Plötzlich wird es dunkel im Haus, nach einigen Minuten hören wir zwar den ohrenbetäubenden Lärm des Generators, trotzdem gibt es keinen Strom. Binnen kurzem ist es unerträglich heiß in den Zimmern, und wir warten bei Kerzenschein, ob es heute wohl noch Strom geben wird. Die US-Luftwaffe hat heute bei mehreren Angriffen im ganzen Land insgesamt 14 Bomben abgeworfen. Dr. Jenan hat recht: Der Krieg geht weiter… Am gleichen Tag sagt US-Präsident George W. Bush in einem Interview, die Welt sei »wegen der Entscheidungen, die ich gemeinsam mit anderen getroffen habe«, in einer besseren Lage. Die Politik seiner Regierung sei es, »Frieden und Sicherheit zu verbreiten«. Dazu erübrigt sich jeder Kommentar, wenn man den Irak in diesen Tagen hautnah erlebt und mit ansieht, wie sehr die Menschen unter der schlechten Sicherheitslage leiden, ohnmächtig in eine düstere Zukunft blickend. Die meisten Iraker, mit denen wir sprechen, haben jeden Optimismus verloren. Die nunmehr behauptete »Souveränität« Iraks ist ein schlechter Witz, solange die Besatzungstruppen im Land bleiben, deren Zahl sogar noch erhöht wird, und solange die weitere politische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes durch Erlasse bestimmt wird, die noch der bisherige US-Statthalter, Paul Bremer, formuliert hat. Wie souverän kann ein Land unter Besatzung sein? Es ist zu fürchten, dass auch diese irakische Übergangsregierung nicht ausreichend Rückhalt in der Bevölkerung finden wird. In seiner Abschiedsrede sagte Bremer: »Ich bin froh über das, was erreicht worden ist, und überzeugt, daß die irakische Zukunft voller Hoffnung ist.« Wenn Bremer über das Chaos, das er hinterläßt, froh ist, dann spricht das für sich selbst; und wo er die Hoffnung für die Zukunft hernimmt, ist mir unbegreiflich. Von den Irakern jedenfalls nicht. Etwas hat er vergessen hinzuzufügen: Von 20,5 Milliarden Dollar an Staatsgeldern, die vor allem aus Öleinnahmen stammen, hat die US-Zivilverwaltung 17,6 Milliarden bereits gebunden oder ausgegeben. Es gibt keine Transparenz, was mit diesem Geld geschah. Ganze 2,9 Milliarden sind noch für die irakische Übergangsregierung übrig. Viel ist das nicht für den Wiederaufbau des Landes. Ein Foto, das vor wenigen Wochen um die Welt ging, zeigt einen irakischen Gefangenen im Gefängnis von Abu Ghraib, an elektrische Leitungen gebunden, auf einem Podest stehend. Dieses Bild ist für mich Sinnbild für das gequälte, geschundene und getretene irakische Volk. Ein Volk, das in einer Generation drei Kriege erlebte und zwölf Jahre Sanktionen, ein Volk, das dafür büßen muß, daß es auf einem Meer von Erdöl schwimmt, und das dafür zerrieben wird als Spielball der Mächtigen. Ein Volk, dem Demokratie versprochen wurde und das nun neben Besatzung das Chaos erlebt. Die Lage im Irak ist desolat, und für die meisten Iraker, die nach dem Sturz des diktatorischen Regimes Hoffnung geschöpft haben, ist nur mehr die Verzweiflung geblieben. Ich weiß nicht, welches Verbrechen der Mann auf dem Bild begangen hat und warum er im Gefängnis war, aber so, wie hier abgebildet ist, verkörpert er die ganze Tragödie dieses Volkes. Ein Volk, das eine reiche Kultur besitzt, ein Volk mit äußerst liebenswerten und begabten Menschen, es könnte in einem irdischen Paradies leben, wenn nicht … Auch wir blicken sorgenvoll in die Zukunft, denn zur Zeit erhalten wir kaum mehr Spenden für die kranken Kinder in Basra. Wir haben vieles erreicht, wir konnten vielen helfen, aber jetzt kommt es darauf an, , mit dieser Unterstützung fortzufahren, solange es notwendig ist. Wir haben bewiesen, daß es auch in dieser schwierigen und gefährlichen Zeit möglich ist, im Irak direkt zu helfen. Wir haben fast sechs Tonnen Hilfsgüter aus Österreich gebracht, wir haben 2,5 Tonnen in Bagdad eingekauft. Um die ordnungsgemäße Verwendung zu sichern, haben wir uns fast zwei Wochen im Irak aufgehalten. Dieser Hilfstransport war nicht leicht zu organisieren und durchzuführen. Die Bedingungen waren schwierig, aber wir sehen auch den Erfolg und die Früchte unserer Arbeit. Im Herbst werden wir die Wasseraufbereitungsanlage im Spital in Basra installieren, und in einigen Monaten sollten wir wieder eine Hilfslieferung nach Basra bringen. Drei Patienten warten auf grünes Licht von uns, um zur Behandlung nach Österreich zu kommen (ihre medizinische Behandlung ist gesichert). Acht junge Mädchen mit Gesichtsverletzungen setzen ihre Hoffnung in uns. Unsere Geldmittel sind fast erschöpft, und wenn Aladins Wunderlampe nicht erlöschen soll, braucht sie dringend Brennstoff. Spenden sind erbeten auf das Konto bei der Hypo Vereinsbank AG München (BLZ 700 202 70), Konto Nr. 665 821 595 (»Kinder im Irak«). Näheres ist auf der Website www.saar.at/aladin zu erfahren.
Erschienen in Ossietzky 19/2004 |
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