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Diese Frage wurde erörtert, diese Frage ist entschieden.« Mit diesem überaus freundlichen Hinweis reagierte der Vorsitzende Richter Patrick Robinson, der Nachfolger des als »Herr der Mikrofone« bekanntgewordenen, inzwischen verstorbenen Richard May, auf Slobodan Milosevics scharfen Protest gegen die Entscheidung des Gerichtes, entgegen dem Willen des Angeklagten Pflicht-, also Zwangsverteidiger einzusetzen. Erzürnt hatte den Richter aus Jamaica vor allem, daß der Angeklagte diesen Beschluß als »skandalös, illegal und im Widerspruch zu allen internationalen Konventionen stehend« bezeichnet hatte, obwohl dem Hohen Gericht doch bekanntlich nur an der Verkürzung der Prozeßdauer und damit an der Einsparung von Finanzmitteln – immerhin beträgt das Jahresbudget des Tribunals 270 Millionen Dollar – sowie an der Gesundheit des Herrn Milosevic gelegen ist. Ach ja, die Gesundheit! Seit 40 Monaten befindet sich der frühere Präsident Serbiens und Jugoslawiens als wichtigster Gefangener der NATO hinter den Mauern des Sicherheitstraktes des im Nordosten von Den Haag gelegenen Gefängnisses von Scheveningen; seit 31 Monaten währt der Prozeß vor dem sogenannten Jugoslawientribunal, in dem Chefanklägerin Carla del Ponte bisher vergeblich versuchte, Milosevic Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kroatien und Kosovo und zudem Völkermord in Bosnien-Herzegowina nachzuweisen. In diesem langen Zeitraum wußten der Gerichtspräsident, zufälligerweise ein US-Amerikaner, die Richter und die Ankläger um den ernsten, besorgniserregenden Gesundheitszustand von Milosevic, der an chronisch außerordentlich hohem Blutdruck und an einer lebensbedrohenden Herzkrankheit leidet. Alle Forderungen nach einer adäquaten Therapie, nach zumindest zeitweiliger Freilassung und nach Behandlung in seiner Heimat wurden rigoros abgewiesen. Im Gegenteil, der Prozeß wurde so geführt, daß sich der Gesundheitszustand des Angeklagten ständig verschlechtern mußte. Abgesehen von unvermeidbaren Unterbrechungen des Prozesses wurde die Erkrankung heruntergespielt; es wurden sogar Gerüchte verbreitet, Milosevic simuliere nur oder nehme die ihm verordnete Medizin nicht ein. Doch plötzlich, kurz bevor der Prozeß in seine entscheidende Phase, in die »zweite Halbzeit« trat, in der der Expräsident auf die Anklage antworten will und die Zeugen der Verteidigung – mehr als 1500 sind in Aussicht genommen – zu Wort kommen sollen, bekundete das Gericht außerordentliches Interesse am Gesundheitszustand des Angeklagten. Carla del Ponte zeigte sich nach einem Besuch der »Mutter des Tribunals«, der ehemaligen US-Außenministerin Madelaine Albright, in Den Haag ernsthaft beunruhigt: Es sei möglich, »daß sich der Angeklagte nicht genügend gut fühlen wird, um sich in Übereinstimmung mit dem vorgesehenen Prozeßablauf«, der vorsehe, daß er seine Beweise an 150 Arbeitstagen dreimal in der Woche vorlegt, »selbst zu verteidigen«. Diese tiefe Besorgnis hat nun erwartungsgemäß auch das Gericht ergriffen und zu dem Pflichtverteidiger-Beschluß geführt. In seiner menschlich anrührenden Sorge um die Gesundheit Milosevics stößt sich das Gericht nicht einmal daran, daß die Einsetzung eines Pflichtverteidigers entgegen dem Willen eines Angeklagten gegen den Internationalen Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte, gegen alle Grundprinzipien einer demokratischen Rechtspflege und selbst gegen das Statut des Tribunals verstößt, wie auch in einer Petition von mehr als 90 namhaften Rechtsanwälten und Rechts-professoren aus vielen Staaten an die Vereinten Nationen und an das Haager Gericht detailliert nachgewiesen wird. Die Unterzeichner der Petition, zu denen aus Deutschland Professor Norman Paech und Friedrich Wolf gehören, stellen fest: »Die vorgesehene Bestellung eines Zwangsverteidigers stellt eine unerhörte Verletzung international anerkannter Rechte vor Gericht dar und wird allein dazu dienen, die lebensbedrohende Krankheit von Herrn Milosevic zu verschlimmern und das Verfahren weiter zu diskreditieren.« Doch in Den Haag gilt wie bisher: Der Zweck des Prozesses heiligt die (Un)Rechtsmittel, und er besteht nach wie vor darin, den Präsidenten, der es gewagt hatte, dem Westen, der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds die Stirn zu bieten, exemplarisch zu bestrafen und die NATO-Aggression gegen Jugoslawien zu rechtfertigen. Mit seiner souveränen Selbstverteidigung hat Milosevic, gelernter Jurist, diese Absicht bisher durchkreuzt. Auch in seiner vierstündigen Rede, mit der er seine Verteidigung einleitete, wies er anhand von Tatsachen nach, daß »die Anklage eine Ansammlung skrupelloser Lügen, eine Verzerrung des Rechts und eine Umschreibung der Geschichte darstellt«. In einem Punkt allerdings stimmte er den Anklägern zu, die ihm an 300 Verhandlungstagen keinerlei individuelle Schuld hatten nachweisen können und deshalb den nebulösen Schuldvorwurf einer »gemeinsamen kriminellen Unternehmung« eingeführt hatten. Diese »gemeinsame kriminelle Unternehmung« habe, so Milosevic, »tatsächlich bestanden, aber nicht in Belgrad, sondern durch das Zusammenwirken Deutschlands und des Vatikans mit Unterstützung und Hilfe Amerikas«. Diese und andere Feststellungen zur Rolle des Westens bei der Zerschlagung Jugoslawiens veranlaßten den Stellvertreter Carla del Pontes, Geoffrey Nice – wir erinnern uns: Das ist jener Brite, der an den ersten Verhandlungstagen mit theatralischem Gestus und nahezu tränenerstickter Stimme eine via Fernsehen weltweit übertragene Dia-Show über angeblich von Milosevic zu verantwortende Greueltaten zelebriert hatte – zu einer ungewöhnlich offenherzigen Argumentation für die Notwendigkeit, die Selbstverteidigung zu beenden und Pflichtverteidiger zu benennen. Ihr Kern bestand in der Erklärung, daß die Verteidigung Milosevics nicht dem Gericht gelte, sondern einer breiten Öffentlichkeit, an die sich dieser wende. Deshalb sei er selbst schuld für die Lage, in der sich befinde. Ein ähnliches, ebenfalls unfreiwilliges Eingeständnis des wahren Grundes für den Beschluß des Tribunals, Pflichtverteidiger einzusetzen, entschlüpfte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in ihrem Bericht über die Rede Milosevics zum Auftakt seiner Verteidigung. Mit dieser »Eröffnungserklärung« habe Milosevic »nur eine erste Kostprobe seiner Verteidigungsstrategie abgelegt. Milosevic verteidigt sich nicht. Er greift an, auf breiter Front.« Das muß verhindert werden, was aber mit den bisherigen Verhandlungstricks nicht gelungen ist. Deshalb greift das Gericht zu einem weiteren Mittel der Notwehr, um die NATO vor den Angriffen des Expräsidenten zu schützen. Armes Tribunal! Wenn sein jüngster Beschluß auch noch keine Bankrotterklärung ist, ein Akt der Selbstentlarvung ist es allemal.
Erschienen in Ossietzky 19/2004 |
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