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Kulturpolitische Selbstkastration
Daniel Holldorf
Am 30. August hielten der brandenburgische Ministerpräsident Platzeck
und sein Kabinettskollege Birthler in Prenzlau mild-landesväterliche Wahlkampfreden.
Sowohl der Beifall als auch die Buhrufe hielten sich in Grenzen, wofür
die beiden vor allem dem Uckermark-Kurier danken sollten, der seinen ganzseitigen
Bericht über die katastrophale Schieflage des Haushalts der uckermärkischen
Kreishauptstadt und die sich daraus ergebenden einschneidenden Sparmaßnahmen
freundlicherweise erst am nächsten Tag erscheinen ließ.
Das Defizit, mit dem die Stadtverordneten für 2005 rechnen müssen,
dürfte zwei Millionen Euro erreichen, wenn nicht gar erheblich überschreiten.
Verursacht wurde es zum Teil durch eine massiv erhöhte Beteiligung des
Kreises an den kommunalen Steuereinnahmen, zum Teil aber auch, wie die Regionalzeitung
jetzt erläutert, durch das »erdrutschartige Wegbrechen« der
Gewinnbeteiligungen der Stadt an einer Müllabfuhr-Firma und einem Stromkonzern.
Zwangseinsparungen werden mit am härtesten das Dominikanerkloster treffen,
das Kulturzentrum der Stadt, dessen Zuschußbedarf sich derzeit auf jährlich
900 000 Euro beläuft. Kulturamtsleiter Eckart Blohm dringt nun darauf,
daß »klar und mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen« gesagt
wird, wieviel Kultur sich die Hauptstadt der Uckermark künftig noch leisten
wolle und vor allem könne.
Einem »Konzeptentwurf« zufolge, den die Stadtverwaltung ihren Parlamentariern
zu unterbreiten beabsichtigt, wird sich das »Können« in alarmierend
engen Grenzen halten. So soll noch in diesem Jahr einem im Dominikanerkloster
tätigen Museologen gekündigt, die Stelle einer Sachgebietsleiterin
der ebendort beheimateten Stadtbibliothek ab 1. Januar 2005 um 25 Prozent
reduziert, die Dedelower Zweigstelle der Bibliothek geschlossen und die Planstelle »Veranstaltungskoordination« ab
2007 aufgehoben werden. Letztere Maßnahme werde, so der Kulturamtsleiter,
dazu führen, daß das Prenzlauer Dominikanerkloster einen Großteil
seiner »unabhängigen eigenen Handlungsfähigkeit im Veranstaltungsbereich« verliere.
Ferner wird die Stadt das Prenzlauer Musikleben um 50 000 Euro jährlich ärmer
machen müssen, und zwar durch Entzug eines Zuschusses, den sie nach dramatischer
Abwicklung des Prenzlauer Preußischen Kammerorchesters dessen Restbeständen
ursprünglich zugesagt hatte. Weitere Einsparungen will die Stadt unter
anderem durch die Übergabe ihrer erst kürzlich mit Millionenaufwand
renovierten und überdachten Freilichtbühne an einen privaten Betreiber
und eine verschärfte Entgeltordnung fürs Dominikanerkloster erzielen.
Dazu der Kulturamtsleiter zum Reporter des Regionalblatts: »Bei diesen
im Konzeptentwurf vorgeschlagenen drastischen Reduzierungen im Bereich der
Sach- und Personalkosten wird das Kloster mit seinen Einrichtungen geöffnet
bleiben können, aber es verliert erheblich an seiner Leistungsfähigkeit.
Wer meint, daß es trotzdem so weitergehen wird wie jetzt, der irrt.«
Dem wäre hinzuzufügen, dass nicht nur das Kloster massiv an »Leistungsfähigkeit« verlieren
wird, sondern mit ihm die gesamte Regionalkultur und die sie tragenden Vereine.
Denn diese, ohnehin schon arg gebeutelt durch immer häufigere Verweigerung
von Fördermitteln, werden künftig kaum mehr in der Lage sein, die
verteuerten Kloster-Saalmieten aufzubringen.
Offen bleibt nun nur noch, wann sich die Kreishauptstadt der Uckermark
gezwungen sehen wird, auch noch das mit einem EU-Zuschuss von rund 13 Millionen
DM wunderschön restaurierte und neu eingerichtete historische Dominikanerkloster
selber einem privaten Betreiber zu übergeben…
Eigentlich hätte der »Konzeptentwurf« schon am 2. September
von den Prenzlauer Stadtvätern beraten werden sollen. Doch dann wurde
seine Behandlung wohlweislich auf die Zeit nach der Landtagswahl verschoben.
Die dann wohl kaum noch aufzuhaltende kulturpolitische Selbstkastration der
Stadt ist um so peinlicher, als ein wirtschaftlich wesentlich schwächeres
Gesellschaftssystem in ökonomisch weit schwierigeren Zeiten klaglos Institutionen
getragen und gefördert hat, die nun in Frage gestellt werden. So das aus
dem 1954 gegründeten Staatlichen Kreiskulturorchester Prenzlau hervorgegangene
Preußische Kam-merorchester. So auch das ungefähr zur selben Zeit
entstandene Prenzlauer »Intime Theater«, welches seinen ursprünglichen
Sitz nach der Wende zwar an eine Bankfiliale abtreten mußte, aber als
stark frequentierte »Kulturarche« fortlebte und schließlich
im Dominikanerkloster eine vermeintlich definitive Bleibe fand.
Verantwortlich für die verheerende finanzielle Notlage und den aus ihr
resultierenden kulturpolitischen Kahlschlag sind allerdings nicht die uckermärkischen
Lokalpolitiker, die all dies nun vor Ort ausbaden müssen, sondern diejenigen,
welche über Jahrzehnte schwerste finanzpolitische Fehlentscheidungen auf
Bundesebene getroffen haben. Sie sind die eigentlichen Verursacher des keineswegs
nur Prenzlau allein betreffenden, sondern bundesweit um sich greifenden kulturpolitischen
Kahlschlags.
Erschienen in Ossietzky 18/2004
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