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Er tanzt nach uns fremder Musik, bewegt sich auf die Umstehenden zu und legt vor sie nieder, was das Tuch verhüllte: Knochen. Anklage oder Demonstrationsobjekt. Wie das leere Folkloretuch, das er ausbreitet, zur Schau stellt für die Touristen – die Zuschauer. Sein Tanz drückt die innere Zerrissenheit aus: das Verbundensein mit der eigenen Kultur und das Darstellen all dessen für Geld, abgewertet durch den kolonialistischen Blick. Die Philippinen, deren Geschichte schon von einer 300jährigen spanischen Herrschaft geprägt ist, müssen sich nun wehren gegen die Amerikanisierung ihrer Kultur. Die Gruppe »New World Disorder« zeigt in ihrer Europapremiere kein Sprechtheater, sondern Performances, die sie bei Festen, im Park und auf der Straße aufführt. Eine andere Szene: Ein Mann im schwarzen Reifrock, mit feuerrotem Gesicht, hockt da im Dunkel und kämpft mit sich, ob er seine Zunge abschneiden soll, die lang heraushängt. Nicht sprechen wollen. Eine Heckenschere tut ihr Werk. Dann beginnt er, sich die Lippen zuzunähen. Keine Musik, kein Wort. Gesprochen aber hat der neue Kulturstaatsrat Roland Salchow in seiner unwilligen Eröffnungsrede: Kampnagel wolle mit Skandal Kasse machen. Welchen meint er? Dann: Hamburg sauge Nektar aus der Globalisierung. Selbstkritik? Kaum! Das Aussaugen, von wem auch immer, die einzige Frau im Ensemble führt es vor. Von schwarzem Schleier halb verhüllt, Brüste, viele Brüste – nicht erotisch, eher mißgebildet, wie Jahre nach Agent-Orange-Angriffen geboren. Die Frau, nur auf das Nähren reduziert. Sie singt ein trauriges Lied. Wer versteht es? Danebenstehen und hautnah erleben, wie ein Schauspieler fast zu ersticken scheint in einem Plastikschlauch. Dazu die Hitze im Raum – ich wage kaum noch hinzusehen. Das kroatische ZeKaeM-Theater, das in diesem Jahr schon einmal auf Kampnagel gastierte, eröffnete mit der Deutschlandpremiere »Kamov. Ein Todeslauf« das Festival. Ein Musical mit dem Untertitel »Moulin Rouge«. Die Geschichte des kroatischen Dichters Janko Polic, der sich Kamov nennt, 1886 geboren und schon 1910 in Armut gestorben, außerhalb der Heimat. Ein aufwendiges Stück über Nationalismus und Anarchismus, nach einem Drama von Slobodan Snajder, inszeniert wieder von Branco Brezovec. Nicht so gelungen wie das »Fünfte Evangelium« (Ossietzky 6/04), überfrachtet mit Bedeutungen, Anspielungen auf die kroatische Geschichte, auf die Bibel (Hiob und Noahs Söhne), mit christlicher Symbolik und Rebellion gegen die sexfeindlichen Moralvorstellungen. Dazu kommt die deutsche Übertitelung – oft poetische Texte, schlecht beleuchtet und in den hinteren Reihen kaum lesbar. Die Musik wechselt zwischen gregorianisch anmutendem Chorgesang und kroatischen Schlagern der 60er und 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts, auch Anklänge an Weill. Viel Sex wird praktiziert, viel Blut trieft. Der Hunger kennt keine nationalen Grenzen. Brot wechselt die Staaten, die der überforderte Zuschauer nicht mehr zu unterscheiden vermag. Ein gestohlener Schinken als Stein des Anstoßes: »Hilf mir Gott, den Schinken will ich mit meinem Blut verteidigen«, singt einer mit Pelzmütze – vielleicht ein Ungar? Der Held Janko Polic ist aufsässig, fliegt von der Klosterschule, abgeschreckt von christlicher Heuchelei und Selbstkasteiung, schließt sich einer Wanderschauspielertruppe an, hurt, kämpft und dichtet. Zwei Engel aus Gips rechts und links der Bühne sehen dem lebhaften Treiben zu, auch den exotisch-indischen Bordell-Szenen. Fast zweieinhalb Stunden sind vergangen, da glaubt man die Internationale zu hören und Gesang: »Wir haben die Werft besetzt, reihe dich ein.« Kamov resignierend: »Laßt mich in Ruhe krepieren – hoch die Lebenden!« Graue Fahnen werden geschwungen, keine roten. Aus Rußland kommt die Gruppe »Akhe« mit ihrem Bildertheater »White Cabin«. Akhe wurde 1989 von zwei bildenden Künstlern, Maksim Isaev und Pavel Semchenko, gegründet, die 1965 und 1967 in – wie der Pressetext behauptet – »St. Petersburg« geboren wurden und inzwischen viele Preise errungen haben. Die Schauspielerin Barbara Seifert stammt aus Bonn, studierte an der Ernst-Busch-Hochschule und spielte in Brecht-Stücken. Das Bildertheater läßt für Sprache keinen Raum. Im ersten Teil viel Spielerisches, Clownerien, Zauberei wie im Zirkus, Dinge werden zu Mitspielern, gewinnen ein Eigenleben. Ich frage mich: Was soll`s? Doch dann werden drei Prospekte von oben herabgelassen, helle Leinwände (mit ausgesparten Quadraten) unterteilen die Bühne. Die Akteure in albernen Verkleidungen posieren dazwischen, kämpfen wie im Kasper-letheater. Darüber gelegt wie Folien: Stummfilmausschnitte, altes Kinderspielzeug, Ladenschilder, vergilbte Fotos, auch Ikonen und Christus am Kreuz. Der quadratische Ausschnitt wirkt durch den Hintergrund schwarz. Malewitschs »Schwarzes Quadrat«. Da erst begreife ich: Hier wird in amüsanter Kurzform der Beginn der russischen Avantgarde bis zum Ausbruch der Revolution präsentiert. Die naiven Szenen sind dem »Lubok« nachgebildet, der volkstümlichen russischen Figur, in Bilderfolgen dargestellt. Am Anfang des Jahrhunderts wurde sie von den jungen Künstlern wieder entdeckt. Auch Zarenbildchen als Fotomasken, auf Stangen gespießt, wandern durch die Papierwände. Irgendwann wird gesprochen, russisch, Namen, ein Lied. Bis alles in Flammen aufgeht. Nur ein Quadrat, das ausgeklappt wird wie ein Türchen vom Weihnachtskalender, bleibt übrig. Darin ein Männlein, Hampelmann, der beugt sich und reckt sich, macht alles mit, paßt sich an, rennt und rennt. Hoch oben, als einziges, was übrigbleibt, da, wo früher die Ikone hing – und bei Malewitsch das schwarze Quadrat. Unten auf der Bühnenerde ein einziges Chaos. Der zweite Teil des Festivals begann mit einer Beschlagnahme gegen das, von dem Porno-Blatt Bild als »perverses Sex-Theater« abqualifizierte Stück »XXX« der katalanischen Gruppe »La Fura dels Baus«. Ein Reporter des Blatts hatte in einer Video-Einspielung Sex mit einem Esel entdeckt. Daraufhin mußte die in vielen Ländern unbeanstandete Aufführung nach einem Text von de Sade hier in Hamburg um 15 Sekunden gekürzt werden. Die Bild-Zeitung hatte schon vorher gegen das Stück getobt, das die Praktiken der Porno-Industrie zum Thema hat und sie eindringlich, auch ironisch gebrochen, auf hohem künstlerischem Niveau vorführt. Ein kleines Grüppchen der Schill-Partei demonstrierte gegen Sittenverfall und »Verschwendung von Steuergeldern«. Ein Sprecher der Kulturbehörde bezeichnete »XXX« als »wichtiges und richtiges Stück«, das »mit dem Grenzbereich von Pornographie und Kunst« spielt. Der eingangs erwähnte Roland Salchow ist inzwischen von seinem Posten als Kulturstaatsrat wegen »Überlastung« zurückgetreten. Erstmals in Europa zeigte die libanesische Tanz-Gruppe »Maqamat« des Choreographen Omar Rajeh das Stück »Guerre au Balcon«. Eine Rattenhorde überfällt ein Zeitungarchiv, verleibt sich die Nachrichten ein, um zu zerstören, was sich eingebrannt hat in den Köpfen. Begeisternd, skurril und sehr intensiv getanzt, die Geschichte des Libanon, das Gemisch der Religionen und Volksgruppen und die Konflikte, die sich daraus ergeben. Einer schreit heraus, er sei halb-protestantisch, halb-jordanisch, halb-kurdisch, er führt das immer weiter bis zu »Halb-Mercedes« und »Halb-Volkswagen« – und zeigt die Absurdität der Lage. Auch die verzweifelte Liebe eines Paares. Ein Stück, das nicht neu ist, aber von Tag zu Tag aktueller wird: »Sabenation, go home & follow the news«. Dokumentartheater der Gruppe »Rimini Protokoll«. Hautnah von den Betroffenen selbst vorgeführt, von den entlassenen Mitarbeitern der Sabena-Fluggesellschaft, die – übliche miese Arbeitgebertour – nicht informiert wurden von der drohenden Pleite. Die nichtsahnend vor verschlossenen Türen standen. Ihre immer neuen Versuche, einen Job zu finden – das Hamburger Publikum konnte alles nachempfinden und spendete viel Beifall. Das ebenfalls ältere, aber von Robert Lepage neuinszenierte Stück »The Dragon Trilogy« der »Ex Machina«-Gruppe aus Kanada war eine der letzten Aufführungen auf Kampnagel. Fünfeinhalb Stunden lang lief da ein ganzes Leben vor uns ab, viele Leben, nicht nur in Kanada. Auch nach Hiroshima und China führten die Wege der Schauspieler und in tausend Träume. Eine Theatertruppe, die an das »Theatre du Soleil« erinnert in seiner Virtuosität, in seinem Witz, auch an Brecht-Aufführungen. Die Sprache spielt mit, das Französische, das Englische und die Vermengung von beiden, gemischt mit chinesischen Brocken – das Verstehen und das Nicht-Verstehen. Phantastisches Theater, das neue Wege zeigt und dessen Bilder im Kopf bleiben.
Erschienen in Ossietzky 18/2004 |
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