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Eva-Maria Hobiger Seit Jahren leistet die österreichische Ärztin Eva-Maria Hobiger mit der von ihr geleiteten Aktion »Aladins Wunderlampe« medizinische Hilfe im Irak, vor allem für krebskranke Kinder in der südirakischen Millionenstadt Basra. In Ossietzky erschienen wiederholt Berichte über ihre Erfahrungen dort, zuletzt Ende Mai 2003, als US-Präsident Bush das Ende des Krieges verkündete. Als wir im Frühjahr Medikamente und eine Trinkwasseraufbereitungsanlage nach Basra schicken wollten, nahm wegen der schlechten Sicherheitslage keine Spedition einen Auftrag an. Auch der Versuch, unsere Hilfsgüter nicht über Amman, sondern über Kuwait zu schicken, schlug fehl. Wir hätten da mit dem US-amerikanischen »Humanitarian Organisation Centre« zusammenarbeiten müssen; von dieser Seite wurde aber gefordert, unsere gesamte Ladung als »Ge-schenk an die US-Armee« zu übergeben, »zur Unterstützung der Operation Irakische Freiheit«. Das konnten wir als unabhängige Gruppe nicht tun. Es dauerte viele Wochen, bis sich schließlich ein jordanischer Fahrer fand, der bereit war, nach Basra zu fahren, allerdings nur mit den Medikamenten, die Wasseraufbereitungsanlage mußten wir vorläufig noch zurücklassen. Vor der Abreise erhielt ich fast täglich per e-mail Warnungen aus dem Irak, jetzt nicht zu kommen, denn sobald ich als Ausländerin erkannt würde, wäre ich verloren. Aber ich wußte mich denen verpflichtet, für die wir arbeiten: kranke Kinder und deren Eltern, verzweifelte Ärzte, die helfen wollen und nicht kön-nen. Die Medikamente, die wir im November des Jahres gebracht hatten, waren aufgebraucht. Unterwegs nach Bagdad fällt mir ein, was ein mir bekannter alter irakischer Ingenieur zum Jahrestag des letzten Irakkrieges sagte: »Seit zwölf Monaten bin ich von meinem Leitungswasser befreit, ich bin vom elektrischen Strom befreit und ebenso von meinem Telefon, vielleicht werde ich bald von meinem Leben befreit sein… Die Sicherheitslage ist grauenhaft, täglich hören wir die Bombenexplosionen. Das Leben in Bagdad ist miserabel – und wir sehen keine Zukunft…« In den folgenden Tagen werde ich ähnliche Aussagen öfters hören. Auf der Straße zwischen Flughafen und Stadtgrenze wurden in den letzten Tagen viele Autos überfallen, zahlreiche Menschen wurden dabei getötet. Die Taxifahrer lassen sich dieses Risiko mit 50 Dollar bezahlen. Ich wundere mich, warum es den Amerikanern, unter deren Herrschaft das gesamte Flughafengelände steht, nicht möglich sein soll, dieses relativ kurze Straßenstück zu sichern. Ein Bekannter, mit dem ich darüber spreche, antwortet: »Wir haben schon lange aufgehört zu fragen, warum die Amerikaner dieses oder jenes tun oder nicht tun.« Gleich nach unserer Ankunft in Bagdad erfahren wir, daß an diesem Morgen bei einem Bombenanschlag 40 Menschen getötet, Hunderte verletzt worden seien. Auch an anderen Orten des Landes explodierten mehrere Autobomben. Bagdad macht einen völlig verwahrlosten Eindruck. Abwässer in den Straßen, bestialischer Gestank, Müllberge überall. Der Mittelstreifen zwischen den Fahr-bahnen ist in der ganzen Stadt zur Müllhalde geworden. Auf der Abu-Nawas-Straße haben Obdachlose leere Geschäfte besetzt, zwischen den Gittern der Roll-läden gucken Kinder hervor. In der Österreichischen Außenhandelsstelle erwartet mich Faris, einer unserer Patienten. Er war im Vorjahr in Österreich wegen eines Lymphdrüsenkrebses behandelt worden, es geht ihm ausgezeichnet. Der nächste Patient wartet ebenfalls schon: Duriad, ein junger Mann mit einer unförmig aufgetriebenen Hand, eine angeborene Veränderung, die längst hätte operiert werden sollen. Sein Vater und er, sehr einfache und arme Leute aus Mossul, waren gestern um drei Uhr früh mit dem Bus weggefahren. Für die 300 Kilometer lange Strecke von Mossul nach Bagdad benötigten sie 14 Stunden. Die Amerikaner hatten die Straße stundenlang gesperrt. Duriad soll im September in Österreich operiert werden. Die Versorgungslage in den Spitälern ist schlecht, sagen die Ärzte. Die »Ke-madia« (das zentrale Medikamentenlager, das das ganze Land beliefert) funk-tioniert mangelhaft, im Gesundheitsministerium gibt es noch immer keine ver-läßlichen administrativen Strukturen. Von einem Insider hörte ich: Wenn Sie eine Medikamentenlieferung über das Gesundheitsministerium nach Basra schicken wollen, so können Sie davon ausgehen, daß nur fünf Prozent dort ankommen. Die Korruption hat ungeahnte Ausmaße angenommen, überall, wo es möglich und unmöglich ist, werden unverschämte Geldforderungen gestellt, der Geldhunger vieler, die in Schlüsselpositionen sitzen, ist offenbar unstillbar. Die Versorgung von chronisch Kranken ist kaum möglich, und ein großes Problem stellt die Erstversorgung der vielen Verletzten nach Bombenattentaten dar. Man komme mit dem Operieren nicht nach, erfahre ich, und auch das Material reiche nicht. Ein beliebter Sport sei derzeit das Kidnappen von Ärzten verbunden mit Lösegeldforderungen. 50 000 bis 100 000 Dollar würden für durchschnittliche Ärzte gefordert, für bekanntere auch mehr. Das Ergebnis ist, daß immer mehr Ärzte den Irak verlassen, was einer Katastrophe für die Versorgung der Bevölkerung gleichkommt, nachdem bereits in den letzten Jahren unzählige hochqualifizierte Fachkräfte das Land verlassen hatten. Die allgemeine Unzufriedenheit und der Groll gegen die Besatzungsmacht steigen. Die Iraker fühlen sich betrogen, statt Demokratie kam die Anarchie – »hier macht jeder, was er will«. Man fühlt sich übergangen, wenig informiert, ja ausgeschlossen. Gibt es etwas, das sich verbessert hat in Bagdad, seit ich im November dagewesen bin, frage ich meinen Fahrer. »Nein«, meint er nach kurzem Nachdenken, »mir fällt nichts ein, alles wird nur noch schlechter.« Fragt man die Menschen hier, was sie sich am dringlichsten wünschen, so lautet die Antwort unisono: »Wir wollen endlich Frieden und Sicherheit.« Elektrischen Strom gibt es jeweils nur drei Stunden lang, während der näch-sten drei Stunden ist man auf den Generator angewiesen. Der Generator ist der Lebensmittelpunkt für viele geworden, er ist Grund für Streitereien, aber auch für die Verbesserung von Nachbarschaftsbeziehungen. Irak ohne den Lärm der Generatoren kann ich mir schon gar nicht mehr vorstellen. Meist kann man mit dem Generator zwar die Beleuchtung und einen Kühlschrank betreiben, keines-falls aber die Klimaanlagen, und oft springt er nicht an. Häufig gibt es auch kein Wasser, wenn es keinen Strom gibt. Das sei Teil der Strategie, meinen die mei-sten. Niemand glaubt, dass es nicht möglich gewesen wäre, die Stromversorgung des Landes zu sichern – schließlich habe Saddam das in wesentlich kürzerer Zeit und unter schlechteren Voraussetzungen geschafft –, nein, ein gedemütigtes, schwaches irakisches Volk, das mit dem bloßen Überleben beschäftigt ist, das sei das Ziel der amerikanischen Politik. Solange die Lage instabil ist, solange die Sicherheitslage so schlecht ist, könne man ungehindert das Öl stehlen. Alle – ohne Ausnahme – sind davon überzeugt, daß ihr Öl gestohlen wird, und wenn durch Anschläge auf die Pipelines die Ölforderung für einige Tage unterbrochen ist, dann freuen sich selbst die friedliebendsten Iraker. Ich füge mich in mein Schicksal und versuche, im heißen, stickigen Zimmer (Fenster kann man aus Sicherheitsgründen nachts nicht öffnen) zu schlafen. War es wirklich sinnvoll, zu diesem Zeitpunkt in den Irak zu kommen? Die Frage be-schäftigt mich in dieser Nacht noch lange. Das Knattern der Hubschrauber, die lange im Tiefflug über dem Gebiet kreisen, fördert nicht gerade meinen Schlaf in dieser Nacht. Am nächsten Morgen reißt mich eine Bombenexplosion aus dem Schlaf. Es folgen noch weitere. Dieser Tag stellt meine Geduld auf eine harte Probe. Es ist Freitag – das heißt muslimischer Sonntag –, und ich kann also für heute keine Lösung des Problems an der Grenze erwarten, wo unser LKW nach Streitigkeiten zwischen den jordanischen und irakischen Behörden nicht durchgekommen ist. Man hat mich bestürmt, aus Sicherheitsgründen das Haus so wenig wie möglich zu verlassen. Zumindest heute folge ich diesem Rat. Als wir dann doch kurz in ein nahegelegenes Internet-Cafe gehen müssen, trage ich ein Kopftuch und schweige in der Öffentlichkeit. Gewalt bestimmt das Leben der Iraker. Gefahr ist immer dabei, wenn man sein Haus verläßt. Bombenanschläge sind ebenso Alltag wie Mord, Raub, Entführungen, Erpressung – alles das hat im Laufe der letzten 15 Monaten stetig zugenommen wie auch die Nervösität amerikanischer Soldaten, die ungezielt um sich schießen. Der größte Fehler, den die Besatzungsmächte begehen konnten, war die Auflösung der Polizei und des Militärs unmittelbar nach Kriegsende. Das so entstehende Machtvakuum wurde von kriminellen Elementen aufgefüllt. Den Plünderungen von Waffenlagern wurde tatenlos zugesehen, ebenso dem Verkauf von Waffen aller Art auf öffentlichen Plätzen. Als man damit begann, dies zu unterbinden, war es bereits viel zu spät. Heute sieht man in Bagdad Plakate, auf denen die Bevölkerung aufgefordert wird, sich bei Gewalttaten an die Polizei zu wenden, man wirbt um das Vertrauen der Menschen. Ich sah das Plakat überklebt mit einem Totenkopf und mit Särgen unter US-Fahnen. Die neue Polizei besitzt keine Autorität. Nicht anders im Süden des Landes. Nach der Ankunft in Basra höre ich: »Wir hier im Süden brauchen mehr als einen Saddam, einer ist für uns zu wenig! Saddam war die Medizin für dieses Volk, er kam mit diesem Chaos zurecht. Die Polizei ist machtlos, sie besitzt keine Kontrolle über die Leute, man kann sogar ungestraft einen Polizisten schlagen.« Solche Worte im Süden des Landes zu hö-ren, macht uns nachdenklich. Wie sehr leiden die Menschen unter dieser schlechten Sicherheitslage, daß sie sich den verhaßten Diktator zurückwün-schen? Gestern lag eine Bombe vor der Universitätsklinik, englische Soldaten konnten sie rechtzeitig entschärfen. Ein englischer Soldat und zwei Iraker wur-den gestern umgebracht. Wir können auch dieses Mal im Haus des Erzbischofs wohnen. Gut, daß wir nicht auf ein Hotel angewiesen sind, Hotels gelten als extrem unsichere Aufent-haltsorte. Seit 24 Tagen fließt kein Wasser in diesem Stadtteil. Der Bischof kauft jeden vierten Tag Wasser vom Tankwagen und muß dafür 30 000 Dinar bezahlen, das sind etwa 20 Dollar. Wiederholt wurde er bedroht. Männer mit Kalaschnikows erschienen und forderten Geld. Es blieb ihm nichts übrig, als den Forderungen nachzugeben. Der Kindergarten wurde einmal probeweise eröffnet, nach wenigen Tagen bereits gab es Drohungen, daß Kinder entführt werden sollten, und so hat der Bischof den Kindergarten geschlossen. Wenigstens die Armenapotheke funktioniert noch, wenn auch nur tagsüber. Viel schlechter als vor dem Krieg sei die Lage, meint auch der Bischof. Er berichtet von dem verheerenden Bombenattentat im April vor dem Polizeihaupt-gebäude in Basra. Auch ein Schulbus wurde getroffen. Etliche Kinder starben auf der Stelle, einige Mädchen überlebten mit entstellenden Verletzungen im Gesicht, fünf davon sind Mädchen aus dem Kirchenchor. Der Bischof möchte sie uns gemeinsam mit den drei muslimischen Kindern vorstellen, vielleicht könnten wir für sie plastische Operationen in Europa ermöglichen. Keine leichte Aufgabe, Behandlungsplätze für acht Mädchen zu organisieren . Am Eingang des Krankenhauses wachen fünf Polizisten. In der Kinderkrebs-station fällt uns der Gestank auf: Probleme mit dem Abwasser durch den Ausfall der elektrischen Pumpen. Dr. Mohammed und Dr. Asaad sind überrascht. Man hatte auf uns gewartet, aber doch nicht richtig geglaubt, daß wir kommen wer-den. Sie bedanken sich bei allen in Österreich und Deutschland, die es möglich machen, dass ihre kleinen Patienten überleben können. Die Abteilung hatte seit Kriegsbeginn kein einziges krebshemmendes Medikament vom Gesundheitsmi-nisterium erhalten. Ohne unsere Hilfslieferungen wären ausnahmslos alle klei-nen Patienten gestorben. Man ist ausschließlich von uns abhängig. Eine Aussage, die mich mit Sorge erfüllt. Wir erhalten kaum mehr Spenden, wie wird es weitergehen mit unserem Projekt nach dieser Reise? In den letzten drei Wochen wurden neun neu diagnostizierte krebskranke Kinder aufgenommen. Die Abteilung platzt aus den Nähten. Der Bericht wird fortgesetzt. Die Autorin erbittet Spenden auf das Konto: Hypo Vereinsbank AG München, Bankleitzahl 700 202 70, Kontonummer 665 821 595 »Kinder im Irak«
Erschienen in Ossietzky 18/2004 |
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