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Etwas anders sähe es aus, wenn es über die Chefs der Konzerne X, Y oder Z geschrieben würde. Noch weniger vorstellbar: Wenn sie in einem Film so vorgeführt würden, daß die Betrachter zu diesem Schluß kommen müßten. Genau das ist aber offenbar in den USA möglich, denn sonst stünde Michael Moores Film »Fahrenheit 9/11« auf dem Index statt als Kassenfüller, als »erfolgreichster Dokumentarfilm aller Zeiten«, seit vielen Wochen auf dem Spielplan der Kinos. Michael Moore zeigt die kriminelle Energie in den Gesichtern seiner Protagonisten – vom Präsidenten George W. Bush als Hauptdarsteller über die kriegs-treibenden Mitglieder seines Kabinetts bis zu den Kriegsgewinnlern in den Konzernetagen und ihren Zuträgern. Das »Gesicht der herrschenden Klasse«, wie es nach dem Ersten Weltkrieg George Grosz auf die Radierplatte bannte oder John Heartfield aus realen Fotos montierte und wie man es lange Zeit nicht mehr in einem Film gesehen hat. Moores Film ist ein Gangsterfilm ohne Gangster: Wir sehen lauter ehrenwerte Leute handelt, denen die bürgerlichen Ehrenrechte bisher nicht aberkannt wurden. Auch ein Sheriff als Rächer der Enterbten tritt nicht auf, aber viele Geschädigte und Zeugen der Anklage. Der Film ist eine einzige Anklageschrift in Bildern und Worten. Moore ist vorgeworfen worden, daß er sich zum Richter aufwerfe, daß das Urteil von vornherein fest gestanden habe und sein Film auch insofern nicht dem Genre Dokumentarfilm entspreche. Das alles ist richtig – aber was besagt es, außer daß Parteilichkeit und Agitation heute als unfein gelten. Moore betreibe »eine Art Stammtischaufklärung, die auch etwas Unangenehmes hat«, schreibt sogar der Freitag, widerwillig anerkennend. Pseudolinke Kritiker beschimpfen Moore pflichtschuldigst als platten, populistischen Propagandisten, dem die Fakten egal seien, dem sein Erfolg zu Kopf gestiegen sei, der mittlerweile selbst Multimillionär sei, ein Appartement an der Fifth Avenue besitze und so weiter. Ihn als »big fat white stupid man« zu bezeichnen, wie es ein Buchtitel seiner Gegner in den USA tut, ist nichts weiter als eine billige Retourkutsche auf den Titel eines seiner Bestseller. Einige Beispiele für die Qualitäten des Films: Bush bringt bei einem Dinner mit Gutbetuchten einen Toast aus: »Hier sind die Reichen versammelt. Manche sagen, die mehr als Reichen. (Lachen im Publikum) Manche sagen, dies sei die Elite. Ich nenne es meine Basis.« Großer Applaus. Er grinst zu dieser Selbstentlarvung. Niemand ist ja im Saal, der es so verstehen würde. In Moores Film wird die Szene zu einem Beweisstück, das mit einem Schlag die Fakten illustriert: »Was die von den Republikanern viel gepriesenen Steuersenkungen betrifft, so kamen die Hälfte der Erstattungen im Jahr 2001 und mehr als drei Viertel davon im Jahr 2003 gerade 20 Prozent der Haushalte zugute... Die Einkommensschere klafft weiter auseinander als jemals zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg.« (FR vom 14. 8. 04) In Moores Heimatstadt Flint: Leerstehende, verfallende Häuser und Straßen, in denen sich der Abfall häuft. »In manchen Vierteln sieht es so aus wie in Bagdad nach dem Bombardement«, sagt ein junger Mann. Gegen Ende des Films wird aus dieser Parallele der Schluß gezogen: Der Krieg wird gegen die kleinen Leute geführt. Sie zahlen nicht nur Steuern für ihn, sondern auch mit ihrer Gesundheit, ihrem Leben, ihrem Hab und Gut, das zerstört wird. Und patriotischer Schlachtgesang hält sie davon ab, den Gegner im eigenen Land zu erkennen. Die Klagen der Mütter auf beiden Seiten: Eine Frau in Bagdad schreit ihre Verzweiflung und Wut in die Kamera, erfleht Allahs Rache für die Angreifer. Eine Frau aus Flint erzählt, wie ihr die Nachricht vom Tod ihres Sohnes überbracht wurde, der bei der Army diente. Er hatte sich vor dem Einsatz in Irak gefürchtet und in seinem letzten Brief zur Abwahl des Präsidenten, »dieses Idioten«, aufgefordert. Moore ist so ehrlich, sich und uns die Frage zu stellen, warum sich ausgerechnet immer wieder die Armen und Unterprivilegierten – in den USA vorzugsweise die Schwarzen – für den Kriegsdienst anwerben lassen. Sicherlich: Weil sie hier einen sicheren Job finden. Aber es gilt auch noch immer die Parole eines Ostermarsch-Plakates aus den sechziger Jahren: »Ohne kleine Leute keine großen Kriege«. In seinen politischen Aussagen reicht Moores Film weit über den diesjährigen Präsidentschaftswahlkampf hinaus.
Erschienen in Ossietzky 18/2004 |
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