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Im Gegensatz zur Wetter- war die Nachrichtenlage, gelinde gesagt, ziemlich teils-teils. Hier eine kleine Auswahl aus den hauptstädtischen Blättern dieses Tages: Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärte in einer Halbzeitbilanz der Bundesregierung, daß die Montagsdemonstrationen vor allem in Ostdeutschland gegen Hartz IV in einer Demokratie eine »Selbstverständlichkeit« seien. Allerdings sollten die Demonstranten wissen, daß »was jetzt entschieden ist, ohne Abstriche umgesetzt wird«. Immerhin handele es sich um den »wichtigsten und komplexesten Reformprozeß in der Geschichte der Bundesrepublik«. In offenkundiger Anlehnung an einen Lieblingssatz Erich Honeckers – »Nichts ist so gut, daß es nicht noch besser sein könnte« – räumte der Kanzler großzügig ein, daß es nichts gebe, das man nicht noch besser machen könnte. Dem Kanzler sprang sein Namensvetter Richard Schröder mit der Forderung bei: »Man darf sich durch die Proteste nicht verleiten lassen, Hartz IV zurückzunehmen.« Schröder 2 kritisierte jedoch, im Vereinigungsprozeß hätte man den Menschen sagen müssen, daß es schwierig werde. Als SPD-Fraktionsvorsitzender in der letzten DDR-Volkskammer hatte er damals alle Warnungen vor den Folgen der überstürzten Währungsunion und des schnellen Anschlusses an die BRD in den Wind geschlagen. Die Bundesagentur für Arbeit bestätigte, daß es laut Hartz IV für Kinder von ALG-II-Empfängern Zuschläge zwischen 199 bis 276 Euro monatlich geben wird, für Ost-Kinder aber, meist nach der Vereinigung geboren, weniger als für Gleichaltrige im Westen. Ein DGB-Arbeitsmarktexperte teilte mit, daß Arbeitslose über 58 Jahre, die mit den Arbeitsagenturen vereinbart haben, sich nicht mehr vermitteln zu lassen und dafür Arbeitslosengeld bis zur Rente zu erhalten, sich zukünftig mit ALG II begnügen müssen, wodurch sie bis zu 500 Euro monatlich einbüßen. Das Bundespresseamt bestätigte, daß laut Hartz IV das Erbe verstorbener Langzeitarbeitsloser genutzt werden soll, dem Staat das gezahlte ALG II zurückzuerstatten. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag forderte, die gesetzliche Unfallversicherung teilweise zu privatisieren. Arbeitnehmer sollten sich zukünftig gegen Unfälle auf dem Weg zur Arbeit selber versichern, da die gesetzliche Versicherung »zu teuer, ungerecht, bürokratisch und intransparent« sei. Für die sogenannten Kiezstreifen in Berlin wurde ein amtlicher Verwarnungsgeldkatalog herausgegeben. Wer sonntags zwischen 9.30 und 12.00 Uhr Auf- und Umzüge veranstaltet, die die Andacht und Predigt beeinträchtigen könnten, muß danach eine Geldbuße von 20 Euro zahlen; nächtliche Friedhofsaufenthalte kommen billiger, für sie sind nur 10 Euro zu entrichten. Die überwiegende Mehrheit der Vorstände der 30 Dax-Unternehmen weigerte sich, die Höhe ihrer Gehälter offenzulegen. Wie sollte bei solchen Nachrichten sommerliche Hochstimmung aufkommen? Doch zur rechten Zeit kam Trost, gleich zweimal. Im Briefkasten fand ich ein Schreiben der Firma Möbel Walther und in der Mailbox ein Interview der taz mit der Berliner Sozialsenatorin, das mir just an diesem Morgen eine Freundin mailte. Das Schreiben von Möbel Walther machte mir mal wieder deutlich, was für ein Glück es für mich, einen 1989/90 von kommunistischer Zwangsherrschaft befreiten Ossi, ist, der Wohltaten der Marktwirtschaft teilhaftig zu werden. In dem an mich, den »sehr geehrten Herrn Hartmann«, persönlich gerichteten Brief wurde ich darüber informiert, daß die Firma für ihre Kunden »dem Olympia-Sommer 2004... die Krone aufsetzt« und in einer »Großen Aktion ›Olympia-Sparen‹« »Olympia-Schnäppchen« anbietet, ermöglicht durch firmeneigene Profi-Einkäufer, die Sonderkonditionen ausgehandelt und »dann wie die ›Olympia-Sieger‹ zugeschlagen« haben. Nach diesen geradezu sensationellen Informationen wurde der Briefschreiber, es ist der Vorstandsvorsitzende Bernhard Hönig höchstselbst, noch persönlicher, noch eindringlicher: »Sie sind noch nicht in den ›Startlöchern‹? Jetzt aber Tempo! Es lohnt sich riesig für Sie, beim ›Olympia-Sparen‹ einer der Ersten zu sein: Während die anderen unter südlicher Sonne schwitzen, drehen Sie persönlich ganz cool eine tolle Ersparnisrunde nach der anderen – bei Möbel Walther!« Abschließend teilte mir Herr Hönig mit, daß er sich auf meinen Besuch freut, für den er mir als Draufgabe eine große Portion »Brauerhaxe« für magere 3,25 Euro (statt 5,75 ) in verlockende Aussicht stellt. Voraussetzung ist, daß ich das beigefügte »Olympia-Vorteils-Ticket« mitbringe. Ich war zutiefst gerührt und sah deshalb großzügig darüber hinweg, daß ich wie ein Trottel behandelt werde. Noch herzerfrischender, mutmachender war das taz-Interview mit Heidi Knake-Werner (PDS). Die Sozialsenatorin erwies sich darin erneut als couragierte Politikerin, die sich notfalls auch von der »populistischen« Politik der eigenen Partei distanzieren kann. Offen und mutig kündigte sie an, sich trotz der Aufrufe des PDS-Landesvorstandes nicht an den Montagsdemonstrationen gegen die Hartz-Gesetze zu beteiligen, denn die Demonstrationen seien »das Anliegen der Menschen, die direkt betroffen« seien. Auch mit der PDS-Losung »Hartz muß weg!« hat sie nichts am Hut, denn dies sei zwar »eine griffige, aber heute – weil viel zu allgemein – eine unpolitische Parole«, was sie so erklärte: »Hartz IV ist da. Jetzt muß der Kampf konkret geführt werden und sich auf die größten Härten des Gesetzes richten. Es geht um Korrekturen... Das ist politisch.« Sie empfahl sich als eine Politikerin von echtem Schrot und Korn: als »eine Sozialsenatorin, die sich der Probleme bewußt ist und sich dafür einsetzt, daß zumindest keine organisatorischen Pleiten auftreten«. Mit dieser Haltung steht sie glücklicherweise nicht allein. Ihr für Wirtschaft, Arbeit und Frauen verantwortlicher Senatskollege Harald Wolf (PDS) vertritt die gleiche konsequente Position zum größten und schändlichsten Sozialraub in der Geschichte der Bundesrepublik. Er hält es für »unverantwortlich, Hartz IV jetzt nicht organisatorisch sauber umzusetzen«. Bei so viel preußischem Pflichtgefühl kommt Freude auf. Und so wurde der ganz gewöhnliche Tag im August doch noch zu einem Freudentag – dank Möbel Walther und der Berliner Sozialsenatorin.
Erschienen in Ossietzky 18/2004 |
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