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Ursächlich dafür ist wohl weniger das August-Machtwort des Kanzlers mit der Warnung vor einer neuen »Volksfront«. Der größere Anschiß innerhalb der herrschenden Klasse hat vermutlich hinter verschlossenen, dick gepolsterten Türen stattgefunden. Wir kennen nicht die Worte, aber der Inhalt ist offenkundig: Die CDU/CSU und die ihr nahestehenden Verantwortlichen in den Medien sollten sich gefälligst darüber klar werden, daß ihre Profilierung jetzt zurückstehen müsse, da der Unmut der Arbeitslosen inzwischen Ausmaße annehme, der sie als Spielball für Parteipolitik zu gefährlich werden lasse. Seitdem hat das Liebäugeln von CDU-Politikern mit der Teilnahme an Montagsdemos ein Ende. Der Schwenk zeigt, daß die Strategen begriffen haben, welche politische Zäsur dieser Sommer 2004 bedeutet – und zwar unabhängig davon, ob es ihnen jetzt gelingt, die Montagsdemonstrationen wieder abzuwürgen. Es ist eine dreifache Zäsur. Erstens strahlt zum ersten Mal seit 1989 eine progressive Bewegung aus Ostdeutschland, wenn auch abgeschwächt, auf Westdeutschland aus. Knapp 15 Jahre nach der gemeinsamen Niederlage der Ost- und Westlinken wächst langsam endlich zusammen, was wirklich zusammengehört. Zweitens haben sich zumindest Teile der Gewerkschaftsbewegung, insbesondere aus ver.di, des Themas Hartz IV angenommen, weil sie sehen, daß dieses Konterreform-Werk nicht nur auf die Arbeitslosen zielt, sondern darüber hinaus und vor allem eine allgemeine Absenkung des Lohnniveaus anstrebt und bewirken wird, angefangen von den Niedriglöhnen und von dort aus in den Kernbereich des Tarifsystems hinein. Der dritte Punkt muß etwas ausführlicher erläutert werden. Die Schwäche der Arbeiterbewegung seit den 80er Jahren ist eine Folge der gestiegenen Produktivität. In der materiellen Produktion sind immer weniger Menschen tätig, immer mehr werden für die kapitalistische Mehrwertproduktion überflüssig. Diese zum stehenden Heer der Arbeitslosen gewordene »industrielle Reservearmee« (Marx) kann als Druckmittel benutzt werden, um den Wert der Ware Arbeitskraft, also die Löhne, zu senken. Alle Versuche, die Arbeitslosen dauerhaft als Teil der Arbeiterbewegung gegen die Herrschenden zu organisieren, sind bislang fehlgeschlagen. Die entsprechenden Klagelieder der (west)deutschen Linken seit 1975, als sich die Massenarbeitslosigkeit als Dauererscheinung etabliert hatte, sind schon aus der Weimarer Republik bekannt, und es gibt sie in allen Sprachen der kapitalistischen Hochburgen. Von rechts werden diese Lieder nicht in Moll, sondern in Dur gesungen. Das Besitzbürgertum weiß, daß seine zentrale Stellung in dieser Gesellschaft angesichts seiner geringen Zahl bei Aufrechterhaltung des allgemeinen Wahlrechts mit seiner Fähigkeit steht und fällt, die nichtbesitzenden Massen zu seiner Unterstützung zu mobilisieren. Daraus folgt auch die zentrale Stellung der Massenmedien, die hauptsächlich zur Beeinflussung von Menschen dienen, die andere Interessen haben als diejenigen, die bestimmen, was sie zu lesen, zu hören und zu sehen bekommen. Bisher haben die Medienmächtigen die meisten Arbeitslosen in die Resignation hinein neutralisiert, und sie haben offensichtlich damit gerechnet, daß ihnen das weiterhin gelingt. Ihre Strategie hatte jahrzehntelang auch in den USA oder Großbritannien Erfolg. Dieser Sommer aber ist vor allem deswegen bemerkenswert, weil ein beträchtlicher Teil der halben Million arbeitsloser Menschen in Deutschland, die ab 1. Januar völlig ohne staatliche Hilfe dastehen werden, und darüber hinaus viele von denen, die empfindliche Einbußen erleiden werden, jetzt protestieren und den Protest vielfach selbst organisiert haben. Vor Euphorie, der chronischen Krankheit der Linken, sei gewarnt, weil aus diesem Ansatz so lange noch keine Strategie folgt, wie das Kernproblem nicht beseitigt ist, daß Arbeitslose den profitschaffenden Produktionsprozeß nicht behindern können, weil sie von ihm ausgesperrt sind. Aber es bleibt die zentrale Erkenntnis dieses Sommers: Arbeitslose können sich für ihre Interessen politisch wahrnehmbar organisieren. Das ist es, was da oben in diesem August Angst gemacht hat. Und hier unten Hoffnung.
Erschienen in Ossietzky 18/2004 |
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