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BeschäftigungsförderungVor einigen Tagen bahnte sich eine E-Mail den Weg durch den SPAM-Dschungel. Eine Castor-Transport-Gegnerin, mit einem Bußgeld in Höhe von 75 Euro belegt, war nicht gewillt, zu zahlen. Auch die drei Tage Haft zwecks alternativer Abbüßung möchte sie nicht antreten. Ihre Freunde starteten nun einen elektronischen Rundruf. Die Empfänger wurden aufgefordert, jeweils zehn Cent auf das vom Gericht benannte Konto zu zahlen. Wenn das, was sie sich ausgedacht haben, gelingt, werden wenigstens 750 Überweisungen die Buchhaltung Zeit, Geld und Nerven kosten. Nun stelle man sich vor, mehr als vier Millionen Arbeitslose würden, was die Politiker ihnen angeraten haben, allesamt Anträge auf Gründung, Anerkennung und Förderung von Ich-AGs stellen. Als neulich ein Historiker einen solchen Antrag stellte, wurde ihm lediglich zur Auflage gemacht, er müsse seine Angebote auf einer Homepage darstellen. Hier scheint also vieles möglich zu sein. An Ideenmangel soll das große Werk nicht scheitern. Zum Beispiel könnte man eine Ich-AG zur Erfindung von Ich-AGs gründen, eine Ich-AG-Denkfabrik gewissermaßen. Die nächste könnte Anleitungen zur Gründung weiterer Ich-AG-Denkfabriken geben, eine dritte könnte die Denkfabriken vernetzen usw. All das ließe sich länder- oder bundesweit aufziehen und dann unter europäischem Aspekt ausbauen. Auf jeden Fall würde es sich sehr beschäftigungsfördernd bei den Agenturen für Arbeit auswirken. Wirkungsvoll wäre aber auch schon eine gemeinsame Briefaktion gemeinnütziger Organisationen. Diese sind Hauptnutznießer der Ein-bis-zwei-Euro-Jobs, in die Langzeitarbeitslose vermehrt geschickt werden sollen. Was würde passieren, wenn sich die Organisationen solchen Zwangsmaßnahmen verschließen und das dem zuständigen Sozialamt schriftlich mitteilen? Zwangsmaßnahmenstau? Chaos? Katrin Kusche Hilfe aus dem Hause SpringerDie rot-grüne Bundesregierung ist mit der Politik, die sie »Reform des Arbeitsmarktes« nennt, in Beweisnot geraten, aber nun kommen ihr Freunde propagandistisch zu Hilfe. Auf einer ganzen Seite macht die Welt am Sonntag redaktionelle Werbung für Schröder und Clement – unter dem Titel »Sieben gute Gründe für das Hartz-IV-Reformpaket«. Sechs der dort beschriebenen Argumente sind alles andere als originell (»der Zwang zur Aufnahme einer Arbeit steigt«, »der Einstieg in den Niedriglohnsektor beginnt« etc.), aber der restliche »gute Grund« ist ein argumentativer Knüller: »Die Zahnarztgattin wird nicht mehr subventioniert!« Gemeint ist dies: Gesetzt den Fall, eine Frau, die in einer »Bedarfsgemeinschaft« mit einem dentalmedizinisch einigermaßen anständig verdienenden Mann lebt, war früher berufstätig und bezieht bisher noch Arbeitslosenhilfe, so wird sie darauf künftig verzichten müssen. Das mag bei manchen zahnärztlich gepeinigten Klienten klammheimliche Freude auslösen. Aber ob es, wie die Welt am Sonntag verspricht, »den Arbeitsmarkt endlich belebt«? Und ob der Schlag gegen die Zahnarztgattin die große Masse der Stütze-EmpfängerInnen, die nicht auf zahnärztliches Familienvermögen zu-rückgreifen können, mit ihrem Schicksal versöhnt? Es wird offenbar immer schwieriger, demagogisch wirksame Gründe für Hartz IV zu finden. Arno Klönne Schröder-GeschichteBeim Brandenburger Landesparteitag der SPD hat der Bundeskanzler eine neue Feindbeschreibung verkündet. Sein Zorn traf die, wie er es nennt, »Volksfront« von PDS und Union, die sich im Protest gegen die sozialdemokratische Reformpolitik zusammengefunden habe. Der Begriff »Volksfront« hat einen bestimmten historischen Inhalt. Bezeichnet wurde damit ein Bündnis von Kommunisten, Sozialdemokraten und Bürgerlich-Liberalen, Mitte der 1930er Jahre, zunächst in Spanien und in Frankreich. Geschichtswissenschaftlich besteht nach wie vor Streit darüber, weshalb die »Volksfront« damals ihre Ziele nicht erreichte – lag es an einem Führungsanspruch der Kommunisten, an Trägheit der Sozialdemokraten oder an wirtschaftlichem Egoismus der Bürgerlichen? Unstrittig ist aber das historische Ziel der »Volksfront«: Der Machtangriff faschistischer Bewegungen sollte verhindert werden. Und nun eine neue »Volksfront«? So weit wird die politische Verwirrung im Kopfe des Kanzlers doch nicht gehen, daß er die eigene Partei mit dem Faschismus durcheinanderbringt. Peter Söhren
Abwicklung des AntifaschismusAuch im ländlichen Raum der Mark Brandenburg leisten eifrige Mitglieder der Noch-Regierungsparteien SPD und CDU ihren Beitrag zur Entsorgung von Relikten des in der DDR als Verfassungsgebot festgeschriebenen und somit nach heutiger Ansicht »verordneten« Antifaschismus. Wie kürzlich die junge Welt meldete, gelten diesbezügliche Ambitionen des SPD-Kreistagsabgeordneten Johnke und der Schulleiterin Wonneberger (CDU) einem Gedenkstein für Hans Kahle (1899 – 1947), dessen Namen die Schule in Karstädt (Prignitz) zu DDR-Zeiten trug. Damit sollte an einen jener etwa 5000 jungen Deutschen erinnert werden, die von 1936 bis 1938 in den internationalen Brigaden auf Seiten der spanischen Republik gegen den Putsch der Generäle kämpften. Hans Kahle, Absolvent einer Kadettenschule im kaiserlichen Deutschland, wurde für sein späteres politisches Leben geprägt durch die Erlebnisse in den Schützengräben des 1. Weltkrieges. Diese Erfahrung führte ihn in die Reihen der KPD und 1936 zum aktiven Kampf gegen den Faschismus nach Spanien, wo man seiner militärischen Kenntnisse dringend bedurfte. Im 2. Weltkrieg lebte er im britischen Exil, von wo er 1946 in den Osten seiner nunmehr geteilten Heimat zurückkehrte. Dort wurde er im Land Mecklenburg-Vorpommern Chef der aufzubauenden Volkspolizei. Die Gründung der DDR erlebte er nicht mehr. Hans Kahle kämpfte in Spanien auch gegen Deutsche und Italiener, deren Hilfe für Franco wesentlich zur Niederlage der Republikaner beitrug. Zudem bereitete die deutsche »Legion Condor« den 2. Weltkrieg vor, indem sie in Spanien neue Waffen (zum Beispiel Sturzkampfbomber) und neue Kampftechniken wie etwa das Bombardement offener Städte (Guernica) erprobte. Dennoch tragen Kasernen und Einheiten der Bundes-Wehrmacht heute die Namen von Fliegern der »Legion Condor« (Mölders, Steinhoff), während das Gedenken an antifaschistische Kämpfer nun auch in kleinen Orten getilgt werden soll – in größeren hat man sich ihrer Namen auf Straßen und Plätzen, an Schulen und anderen Einrichtungen schon bald nach 1990 entledigt. Bei dieser Abwicklung des Antifaschismus bedient man sich oft verleumderischer Argumente, um das humanistische Anliegen des Kampfes gegen den Faschismus zu diskriminieren. So auch im Fall von Hans Kahle, der von dem erwähnten Abgeordneten Johnke in der Märkischen Allgemeinen als Verbrecher bezeichnet wird, weil er (als militärischer Kommandeur) »viele Menschen in den Tod geschickt« habe. Das ist aber ein Vorwurf, der jedem militärischen Kommandeur zu machen wäre, auch jenen vor Stalingrad, El Alamein und an der Normandieküste oder auf brandenburgischen Schlachtfeldern wie an den Seelower Höhen und bei Halbe. Zwei SPD-Bundeskanzler verneigten sich vor den antifaschistischen Kämpfern in Warschau – sind die deutschen Interbrigadisten im eigenen Lande geringerer Ehren wert? Kurt Franke Verdient gemachtGroßformatig, wie es Otto Kranzbühler gebührte, verkündeten Anzeigen in der FAZ das Ende dieses Herrn, der 97 Jahre alt geworden war. Nicht nur die eigene Familie am Tegernsee nahm »in großer Dankbarkeit« Abschied – hatte er doch einiges hinterlassen. »Wir trauern«, ließ das große Rüstungsunternehmen Rheinmetall (Sitz Düsseldorf) wissen. Denn: »Als langjähriges Mitglied und Vorsitzender in Aufsichtsräten unserer Gesellschaft hat sich Herr Otto Kranzbühler um Rheinmetall in besonderer Weise verdient gemacht. Er begleitete 1956 den Erwerb von Rheinmetall durch die Röchling-Gruppe und hat in den folgenden Jahren einen wesentlichen Beitrag zum Aufstieg des Rheinmetall-Konzerns geleistet.« Da wundert es nicht, daß ihm in der benachbarten Anzeige aus Mannheim »die Mitglieder der Familiengemeinschaft Röchling« Dankbarkeit bekundeten, und zwar nicht nur für den Erwerb von Rheinmetall gleich bei Beginn der Remilitarisierung Deutschlands: »Als langjähriges Mitglied der Aufsichtsgremien unserer Gesellschaften war er über fünf Jahrzehnte in verantwortlicher Stellung für unsere Familie und ihre Unternehmen tätig.« Offenbar bestand auch eine enge Beziehung zur Familie Krupp; darauf deutet eine Anzeige aus Essen von der Firma Bohlen Industrie GmbH hin, die »einen wertvollen Freund« verloren hat. Schlägt man dann, wie es sich immer wieder empfiehlt, bei Bernt Engelmann nach, erfährt man, daß Kranzbühler auch bei den Flicks als »Familienanwalt« Hilfe leistete. Engelmann ließ nicht unerwähnt, daß dieser Jurist eine Vergangenheit als Flottenrichter hatte. Und dunkel erinnert man sich, daß er 1947 den Nachfolger Hitlers als Reichskanzler, Flottenchef Dönitz, vor dem Internationalen Gerichtshof in Nürnberg verteidigte. Wer wird die hinterlassenen Akten dieses mit so viel Vertrauen gesegneten Mannes auswerten? E.S.
Im GeldmuseumChristiane S. ist Führerin im Frankfurter Geldmuseum. Als dessen Auftrag nennt sie »Transparenz«. Es soll den Menschen die Arbeit der Deutschen Bundesbank (die seine Trägerin ist) und die Funktionen des Europäischen Systems der Zentralbanken näherbringen. Während sie uns alte Münzen, Muscheln, Steine und Stoffe zeigt, die in früheren Zeiten dem Tausch dienten, fällt es nicht schwer, sich die vielen Fünft- und Sechstkläßler vorzustellen, die – so sagt sie – ebenso wie ältere SchülerInnen gern in das Museum kämen. In anderen Stationen des Museums werden die Präsidenten der europäischen Zentralbanken vorgestellt oder die Begriffe Inflation und Deflation erklärt – unerwünschte Entwicklungen auf dem Geldmarkt, die die Bundesbank, wie wir erfahren, zu verhindern weiß. Besonders lehrreich ist für mich jedoch ein kurzer Film. Wir sehen einen bieder zurechtgemachten Schauspieler, der als Pförtner der Bundesbank gerade seine Frühstückspause macht. Währenddessen gibt er uns einen kurzen Abriß der Geschichte der Bundesrepublik und erläutert, wie die Bundesbank seit 1957 versucht, Wirtschaftskrisen abzuwehren oder zu überwinden. Besonders witzig ist der Teil, in dem er vom Berliner Mauerfall erzählt. Er berichtet, daß es »drüben übel« ausgesehen und ein großer Nachholbedarf geherrscht habe. Dabei winkt er mit seiner Frühstücksbanane fröhlich in die Kamera. Denjenigen, die nicht gleich wissen, was sie mit den frisch angeeigneten Informationen anfangen können, wird am Ende des Films auf die Sprünge geholfen: Um den erworbenen Wohlstand zu sichern, bedürfe es – bei weniger Regulierung – einer größeren Flexibilität und Eigeninitiative jedes Einzelnen. Nach diesem eindringlichen Aufruf ans Publikum beendet der brave Pförtner mit einem »Prost Mahlzeit« seine Frühstücks-pause. Als wir das Museum verlassen, äußert Christiane S., die meinen Beruf und Herkunftsort erfragt hat, ihr Bedauern darüber, daß es wohl zu aufwendig sei, mit meinen Hamburger Schulklassen bis nach Frankfurt am Main zu fahren, um das Museum zu besuchen. Zum Trost drückt sie mir kostenloses Unterrichtsmaterial (Mitherausgeberin: Deutsche Bundesbank) in die Hand. Noch mehr neoliberale Propaganda? Da kommen mir die Worte des Pförtners wieder in den Sinn (und in diesem Punkt stimme ich ihm uneingeschränkt zu): Prost Mahlzeit! Kirsten Hofmann
Asunción ist überallDie kapitalistische Wirtschaft will Gewinn, egal wie, und sie geht dafür auch über Leichen. Der Staat hingegen soll für Ausgleich und Ordnung sorgen, also Ausbeutung und Faustrecht verhindern. Insofern sind sie natürliche Gegner. Der Kapitalismus ist Sprengstoff für jeden Staat, weil er immer Krieg führt: Preiskriege, Ölkriege und so weiter. Auch gegen den Staat selbst führt die aggressive Großwirtschaft Krieg. Sie will ihn entmachten, erobern und sich seine Reste dienstbar machen. Um ihn zu schwächen, fordert sie Verschlankung, Deregulierung, Entbürokratisierung. Und mit dem Kampf gegen die Staatsquote will sie ihrem Gegner die Mittel entziehen. Entbürokratisierung zu popularisieren, ist die tagtägliche Aufgabe wirtschaftsgesteuerter Medien, und unzählige Hohlköpfe wiederholen begeistert, was ihnen eingehämmert wird. Da mag auch Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement nicht zurückstehen: Er hat Bürokratie-Abbau zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit gemacht. So soll etwa den Gewerbeaufsichtsämtern die Kontrolle des betrieblichen Arbeitsschutzes weggenommen und das Baurecht »vereinfacht« werden. Weiteres wird in drei Testregionen für »Deregulierung und wirtschaftsfreundliches Handeln« erprobt. Hundt, Braun und Rogowski beten: Gott schütze die Sozis, die unser Geschäft besorgen! Doch wo staatliche Aufsicht abgebaut wird, droht Gefahr. Etwa der Lebensmittelkontrolle, die durch Personalabbau bei Staatlichen Veterinärämtern unterlaufen wird. Oder dem Arbeitsschutz, dessen bisheriger Standard abgesenkt wird. In den Medien scheint sich niemand dafür zu interessieren. Einzelne spektakuläre Ereignisse sind schnell vergessen. Jetzt ist ein Exempel dazugekommen: der Kaufhausbrand von Asunción. Als das Feuer ausbricht, läßt der Chef die Türen schließen: Erst wird bezahlt! Schlimmer aber: Der Notausgang ist zugeschweißt. Hunderte von Menschen verbrennen im Inferno kapitalistischer Raffgier. Da war nichts kontrolliert worden, da waren Bau- und Gewerbeaufsicht außen vor, da vermieden es die Behörden, einem Geschäftemacher ins Handwerk zu pfuschen. Sage niemand, in Paraguay sei alles anders als bei uns. Gier und Menschenverachtung sind international. Der Staat soll sie im Zaum halten, hier und anderswo – bevor er in einer sozialistischen Welt vielleicht abstirbt. Helmut Weidemann
Stränge eines Seils»Das Geschehen selber aber war das alles: eine schlimme Zeit, eine bewegte Zeit und eine, die schwanger ging, und das war wie Stränge eines Seils verwirrt und verbunden.« So bedenkt Volker Braun ein »Geschehen«, das vor ihm schon Schriftsteller, Historiker und Beteiligte mehrfach beschrieben und interpretiert haben. Es geht um Schwar-zenbergs, der erzgebirgischen Kleinstadt, herrschaftslose Zeit im Mai/Juni 1945. Sechs Wochen lang »unbesetzt« – ob von den Amerikanern beabsichtigt oder wirklich vergessen, auf alle Fälle waren es 42 Tage »Freiheit«, »Selbstbestimmung«, »große Chance« und »immense Hoffnung«. So sahen es die Autoren bisher. Tatsächlich nahmen damals einige Unverzagte spontan die Zügel, die ihnen keiner übergeben hatte, in die Hand, versuchten Not zu lindern und schufen gar die Anfänge einer neuen, anderen Ordnung. »Das Notwendigste«, sagt Braun, mußte »mit dem Möglichsten bekannt gemacht werden, denn das lag in dunklen Schichten durcheinander.« Für Braun ist es vor allem schwere Arbeit, ähnlich der im Bergwerk, und er reduziert oder korrigiert die Vision auf einen prosaischen Begriff: »unbesetzt«. Das bedeutet unter anderem: nicht frei von Zwängen. Die gab es in Überfülle: Flüchtlinge, untergetauchte oder offen herumlaufende Nazis, Hunger, Plünderungen, Chaos und das ständige Schielen in die benachbarten »besetzten« Gebiete, wohin Züge fuhren. Die Schwarzenberger waren mit ihnen durch die gewissen Stränge eines Seils verbunden. Volker Braun ist akribischer Chronist und Verfasser klassischer Kalendergeschichten in einem. Er nutzt alle vorhandenen Berichte und Quellen, verdichtet das Gesagte und macht daraus philosophische Prosa, die nicht nur das Geschehen damals in Schwarzenberg befragt, sondern weitaus mehr. »Unbesetztes Gebiet« – das ist auch der Zustand, den viele »Ossis« nach der Wende erfuhren, als man eine »Ankunft« im anderen Deutschland verlangte, die vielen widerstrebte. Nicht angekommen und dennoch da, »unbesetzt« in einem Gebiet, das nicht ohne Bedingtheiten existierte... So bleibt sich der Grübler und Erzähler Braun mit seinem Buch treu: Seine Geschichten sind spröde und handgemeißelt. Immer, wenn man sie wieder und wieder zur Hand nimmt, entdeckt man Neues und unsere Welt, die uns besetzt hält. Christel Berger Volker Braun: »Das unbesetzte Gebiet«, Suhrkamp, 126 Seiten, 16.80 Euro
In aller KürzeSämann wie stets. Knapp, äußerst knapp, ohne alles Überflüssige. Wort für Wort gilt. Eine Literatur, die den ganzen Alltag schildert. Auf Seite 51 des Kurz-Romans steht ein kurzer Roman von 19 Zeilen: eine Liebesgeschichte. »Malthus« ist ein Patchwork solcher kurzer Romane. Alle sind Teil des Lebensromans des Diplomingenieurökonomen Sebastian Malthus. Am Schluß hat der Leser jenes leichte Lächeln in den Mundwinkeln, mit dem Wolfgang Sämann von der ersten Seite an erzählt. Bernd Heimberger Wolfgang Sämann: »Malthus«, Arnim Otto Verlag, Offenbach 2004, 105 Seiten, Broschur, 11,50
Press-KohlArno Widmann, der in der Berliner Zeitung zuweilen die dekorative Rolle einer säkularen Persönlichkeit spielt, von der wir alle gern wissen möchten, was sie im Restaurant verzehrt und was sowas kostet, erfreute die Leser mit der Notiz über einen »Buchschalk«, den er im »Antiquariat Bibermühle, CH 8262 Ramsen« getroffen hat. Der Buchschalk »hat einige der teuersten Bücher der Welt. Ich halte einen von zwei Bänden einer Bibelhandschrift des 13. Jahrhunderts in Händen. 1,5 bis 2 Millionen Euro, meint er, werde er dafür bekommen.« Da nun die Welt aus der Zeitung erfuhr, daß Widmann einen von zwei Bänden der Bibelhandschrift aus dem 13. Jahrhundert in Händen hielt, also in Widmanns persönlichen Händen, dürfte der Bibermühlen-Antiquar den Preis auf 3,5 Millionen heraufgesetzt haben. Oder, falls A. Widmann in einem Anfall von Frohsinn das Werk mit einem feuchten Kopierstiftstummel signiert hat, auf vier Millionen Euro. Widmänner bekommen von Buchschalken offenbar vertrauensvoll alles in die Hände gelegt. Sie können sogar Ehrenmitglieder im Antiquariatsverein Buchschalke 04 werden. * Über Lessing hörten wir schon in der Schule, daß er ein großer Denker und Dichter war, geboren am 22.1.1729 zu Kamenz in der Oberlausitz, lebenslang ein anständiger und mittelloser Mann: »Er war am 15. Februar 1781 so arm gestorben, daß der Herzog von Braunschweig ihn auf Staatskosten begraben lassen mußte.« Die Frankfurter Rundschau hat dem Autor des »Nathan« und der »Hamburgischen Dramaturgie« ein längeres Leben angedichtet. Antje Hildebrandt gab dort bekannt: »Schloß Meseberg in Meseberg wird bald die Staatsgäste der Bundesrepublik beherbergen.« In Meseberg? »In einem gottverlassenen Dorf in der Mark Brandenburg, 161 Einwohner, eine Bushaltestelle.« Besser als umgekehrt (161 Bushaltestellen, ein Einwohner). Frau Hildebrandt ist vermutlich nicht mit dem Bus dorthin gelangt, um herauszufinden, was es mit diesem Schloß Meseberg in Meseberg auf sich hat. »Es ist ein verwunschenes Schloß, eingerahmt von einer mannshohen Feldsteinmauer und umschattet von einer mächtigen deutschen Eiche, deren Wurzeln durch das buckelige Pflaster brechen«, um die so überaus sprachbegabte Journalistin aus Frankfurt a.M. zu begrüßen. »Es ist eine Kulisse, die Dichter inspiriert hat. Im 19. Jahrhundert residierte hier Gotthold Ephraim Lessing mit Familie.« Wie er aus seinem Grabe zum Residieren nach Meseberg gekommen sein mag, erfahren Sie beim nächsten Bembel Ebbelwoi. * Harry Nutt ließ in der FR seine Kenntnisse der lateinischen Sprache durchblicken. Er wies auf die »Lust am Vergleichen« hin, »die in modernen Gesellschaften« verschieden »verlaufen kann« – nämlich »über verschiedene Symbole und Stati.« Stati steht bei Nutt als Plural von Status und wirkt zweifellos viel lateinischer als die von den eigenwilligen Römern in diesem Fall benutzte Deklinationsform status (mit langem u). In Nutts Vorstellungswelt eignet sich ein dermaßen verfeinertes Latein vermutlich als Statussymbol, damit sich der FR-Feuilletonchef in modernen Gesellschaften, in denen er verkehrt, lustvoll mit anderen vergleichen kann. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 17/2004 |
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