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Zum Postbesuch gehörte meist auch ein kleines Schwätzchen, nicht nur mit den Kollegen hinterm Schalter, sondern auch mit dem einen oder anderen Nachbarn, denn es herrschte dort stets reger Publikumsverkehr, besonders nachdem die beiden Postämter der angrenzenden Stadtviertel geschlossen worden waren. Vor einem guten halben Jahr nun hat die Deutsche Post AG schweren Herzens auf die Serviceleistung der Unterhaltung einer Filiale im Wohngebiet verzichten müssen – vermutlich wegen zu starken Kundenandrangs und daraus resultierender Überlastung der allmählich auf einen Kollegen gesundgeschrumpften Belegschaft. Kurz gesagt, die Bude wurde dichtgemacht. Dafür verkündet jetzt an einem etwa achthundert Meter weiter gelegenen Tante-Emma-Laden eine kleine aber feine Schrifttafel stolz, daß sich hier eine Agentur (!) des Kommunikationskonzerns Deutsche Post AG befinde. Mißlich für unseren Minibetrieb, denn der Weg mit den schweren Plakat- oder Buchpaketen – wir waren immer schon gegen die Privatisierung und blieben deshalb bisher der Post treu – ist nun beschwerlicher, besonders bei Regen oder sonstiger unangenehmer Witterung. Um jedoch nicht als eigennützig zu erscheinen – schließlich ist der Weg logischerweise für andere wieder kürzer – haben wir einen kleinen Handwagen angeschafft und machen damit nun dem Branchen-Riesen Post AG auf der Achthundertmeter-Kurzstrecke erfolgreich private Konkurrenz. Die Agentur ist ab und zu stundenweise geöffnet. Häufig hängt jedoch ein handgeschriebener Zettel an der Tür: »Wegen Familienfeier erst übermorgen wieder geöffnet« oder »Vom 22. Dezember bis 8. Januar krankheitshalber geschlossen«. Aber immerhin: Wenn der Laden offen ist, kann man tatsächlich sogar Briefmarken kaufen, zumindest die gängigen Werte, soweit sie nicht gerade vergriffen sind. Für diffizilere Aufgaben – etwa den Versand dickleibiger und darum mit »Übermaßporto« belasteter Manuskripte – muß unsereiner quer durch die Stadt zur Hauptpost. Das ist lästig, zumal man ja auch stets vor Antritt des langen Weges darauf achten sollte, zehn Euro genau abgezählt mit sich zu führen. Die Hauptpost heißt laut Firmenschild jetzt »Center«, ist jedoch wirklich die Post, denn wenn man eine dreiviertel Stunde Zeit hat, kann man sich anstellen und Briefmarken kaufen. Es gibt dort auch Briefmarken-Automaten. Die spucken jedoch nur dann etwas aus, wenn man die Geldkarte einschiebt, welchselbe man selbstverständlich am Schalter – im Wortsinne – erstehen kann. Gleich im Eingangsbereich begrüßen den mutigen Kunden zwei riesige Transparente mit den Wahlsprüchen der Deutschen Post AG: »Wer arbeitet, hat keine Zeit, Geld zu verdienen« und »Nichts riskieren, nur profitieren!« Erstere Losung bezieht sich vermutlich entweder auf die neue Strategie des Unternehmens, doch lieber mit koreanischen Aktien zu spekulieren, statt blöde Briefe zu befördern, oder sie ist als Zustimmung zur Hartz-IV-Politik zu werten. Letztere Formulierung erklärt einleuchtend, warum die Post ihre Briefkästen weitgehend abbaut. Sie würde ja sonst riskieren, daß irgendwelche hergelaufenen Briefschreiber ihre albernen Elaborate einwürfen. Leerung, Sortierung, Transport und gar noch Zustellung würden dann nur unnütze Kosten verursachen, Personalabbau erschweren und damit dem Aktienkurs schaden. Dann jedoch kommt man gleich ins Allerheiligste: in die weitläufige Schalterhalle. Das blitzt und funkelt und ist gestylt, daß es eine Art hat! Zwölf Schalter stehen der geschätzten Kundschaft zur Verfügung, von denen im Regelfall – keine Leute, keine Leute! – fünf sogar besetzt sind. Ob die 14 sichtbaren Fernsehkameras alle in Betrieb sind, läßt sich nicht erkennen. Wahrscheinlich jedoch resultiert der starke Andrang vor den Schaltern – pardon: »service desks« – aus dem Wunsch vieler Menschen, sich auch mal als Fernsehstars fühlen zu dürfen. Als ich das Center erstmals zu Beginn des Jahres betrat, zählte ich in den beiden Schlangen vor den Abfertigungspunkten 47 Leute. Die nächsten Male waren es 45, dann 52 und schließlich 59. Trotz kurzzeitiger Kurseinbrüche im Ganzen eben doch steigende Tendenz. Da habe ich verbohrter Linker mich gleich riesig gefreut: Endlich hat der Sozialismus gesiegt! Wenigstens bei der Post. Hatte mir früher mein Klassenlehrer nicht immer erzählt, Sozialismus bedeute, daß alle Leute schlangestehen müssen? Freudig habe ich mich – mit der Linken meine Briefe, mit der Rechten die genau abgezählten zehn Euro fest im Griff – sofort ins Postkunden-Kollektiv eingereiht. Leider herrschte unter den anderen Abfertigungswilligen doch eine eher etwas verbiesterte Stimmung. Es hatten eben noch nicht alle begriffen, daß sie hier für eine bessere Welt standen, für Globalisierung und »shareholder value«. Vielleicht schmerzten einigen aber auch nur die Kniegelenke. Wartebänke oder gar Stühle sind in einem modernen Dienstleistungsunternehmen nun mal nicht vorgesehen. Da gibt es, wie uns ja schon die Werbung immer wieder zeigt, nur strahlende junge und gesunde Kunden! Zu Kurzweil und Unterhaltung der Wartenden waren entlang der Menschenschlangen zahlreiche lustige Verkaufsständer mit einer großen Auswahl an Weihnachtspostkarten aufgestellt. Man schrieb schließlich Ende Januar, und die Post ist mächtig auf dem Quivive. Frühzeitig schon stellt sie die Weichen fürs kommende Weihnachtsgeschäft. Andere Anbieter hatten noch nicht mal Osterkarten im Angebot! Unter solchen Gedanken vergingen die 50 Minuten Wartezeit wie im Fluge, und schließlich war ich an die Spitze der Bewegung gelangt. Bedauerlicherweise mußte der Schalter just in diesem Augenblick anderer dringlicherer Dienstgeschäfte wegen geschlossen werden. Mein Hintermann begann hörbar schwerer zu atmen, und als ich mich erschreckt umdrehte, blickte er mir in stummer Anklage in die Augen. Als ob ich etwas dafür könnte! Nach weiteren zehn Minuten aber schon wurde der Schalter wieder geöffnet. Ich war wirklich dran! Als ich meine Transaktion beendet hatte – viermal 73 Cent Übermaßgebühr, weil die Briefumschläge elf Millimeter zu breit waren –, wagte ich ohne Rücksicht auf die nach mir kommenden Bürgerinnen und Bürger noch ein persönliches Wort an den Kollegen auf der anderen Seite der Barrikade. Er konnte ja nichts für die Zustände, und zur Postgewerkschaft hatte ich früher stets ein besonders gutes Verhältnis. »Verkauft Ihr hier eigentlich viele Weihnachtspostkarten?« »Nicht eine.« Kein Wunder, wer stellt sich schon 60 Minuten an, um eine leicht überteuerte Postkarte zu erstehen? So wird das nix mit der Aktie gelb. »Und noch eins: Kommt es hier gelegentlich auch mal vor, daß ein älterer oder kranker Mensch erschöpft in der Schlange zusammenbricht?« »Ha. Was meinste wie oft! Aber das ist nicht so schlimm; da kommt immer gleich der Notarzt.« Deswegen, meine ich, sollte man beim Besuch der Post stets abgezählte zehn Euro bei sich haben. Nicht alle Mediziner haben genügend Wechselgeld mit. * Die vorstehende Humoreske fußt auf von Zeugen belegten tatsächlichen Erlebnissen. Für haushälterisch denkende Zeitgenossen gilt es in diesem Zusammenhang allerdings, die Angelegenheit auch noch unter einem anderen Gesichtspunkt zu betrachten. Wen es in der oben geschilderten Weise in der Schlange erwischt, der sollte sich, was den letzten Röchler betrifft, tunlichst blitzschnell entscheiden. Wenn schon, dann aber gleich. Kann der eintreffende Notarzt nämlich auch nur noch zwei Herztöne ausmachen, sind zehn Euro Praxisgebühr fällig. Hört er nichts mehr, ist das Geld gespart. Auch das ist keine Satire. Das ist real existierendes Gesetz.
Erschienen in Ossietzky 17/2004 |
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