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Das Muster des Union-Jack Seltsamerweise war ich der einzige Passagier nach Khartum. Vielleicht, weil der uralten »Dakota«, die während des Starts in all ihren Nietnähten bebte, ein Teil der Schwanzspitze fehlte und der vordere Teil ihrer Kabine mit verlaschter Fracht vollgestopft war. Vielleicht aber auch nur, weil weiße Geschäftsleute äquatoriale Zonen im afrikanischen Hochsommer lieber meiden. Jedenfalls blieb der schönen, ziemlich dunkelbraunen Stewardeß und mir während des sechsstündigen Fluges reichlich Zeit, Coffeetime zu halten und zu plaudern. Dieweil die Maschine 3000 Meter über gelben Sanddünen und braunschwarz gebrannten Felsbrocken mühsam von einem Luftloch zum andern schaukelte, erzählte sie mir, daß sie einer griechisch-sudanesischen Mischehe entstamme, in Khartum aufgewachsen und noch ganz neu in ihrem Beruf sei. Dagegen seien die Piloten der Sudan Airways ausnahmslos ältere Semester, zumeist Engländer. Als der Sudan am 1. Januar 1956 unabhängig wurde, habe man sie übernehmen müssen. Selbst jetzt, nach Sonnenuntergang, zeigt das Thermometer noch immer 43 Grad Celsius an. Die Terrasse des »Grand Hotels«, eines Staatsgasthauses, ist überfüllt. Kaum weniger träge als die keine hundert Meter weiter gleich Strandgut am Nilufer liegenden Krokodile flätzen sich auf ihren Korbstühlen gut anderthalb Dutzend rotgesichtige, fast ausnahmslos schnauzbärtige, aus beschlagenen Gläsern kühles Guinness trinkende, heftig transpirierende Gentlemen. Auf den Tischchen der Lounge allerhand Heftchen und Broschüren. Eine ist der Geschichte des Hotels gewidmet. Als Lord Kitchener, der blutige Eroberer Sudans und sein erster Gouverneur, 1900 von einer Londoner Bergbaugesellschaft um eine Schürfkonzession angegangen wurde, erteilte er sie unter der Bedingung, daß die Company als erstes in Khartum ein Erster-Klasse-Hotel baue. An der Kitchener-Avenue, versteht sich. Die mit dem Lineal rechtwinklig und diagonal gezogenen Straßen der 1822 gegründeten heutigen Kapitale des Sudans ergeben, auf der Karte betrachtet, präzise ein ganz bestimmtes Muster: den britischen Union-Jack. Doch nicht nur besitzergreifender Kolonialgeist stempelte das imperiale Emblem auf afrikanischen Boden, auch wohlüberlegte militärisch-taktische Überlegungen dürften dabei eine Rolle gespielt haben.
Am Grabe des Mahdi Nebst der von der einheimischen Oberschicht übernommenen Gewohnheit, Guinnessbier zu trinken, haben die Engländer den Sudanesen ein paar Eisenbahnlinien hinterlassen. Sie dienten vorab militärischen Zwecken. Ohne eine sichere und schnelle Verbindung durch die nördliche Wüste wäre es Kitchener 1898 niemals gelungen, die von dem britischen General Gordon im Zuge seiner vernichtenden Niederlage von 1885 an die Mahdisten verlorenen Städte Khartum und Omdurman zurückzuerobern, geschweige denn, das Mahdistenreich zu zerschmettern. Vom alten Omdurman, dem einstigen Regierungszentrum der Mahdisten, existieren noch: Ein einsames Stadttor. Eine schwer zerschossene Schanze am Nilufer. Das Haus des Mahdi und das Grab des Mahdi. Den Rest der Ortschaft ließ Lord Kitchener, dem nachgesagt wird, keiner habe ihm jemals lachen sehen, im Jahre 1895 dem Erdboden gleich machen. Zur Strafe dafür, daß es ihre Bewohner gewagt hatten, in offener Feldschlacht etwa 50 seiner Soldaten zu töten. Mit ihren Schiffsgeschützen, ihrer Feldartillerie und etlichen Maschinengewehren massakrierten die Briten ihrerseits am gleichen Tag mehr als 10 000 jener Menschen, zu deren »Befreiung vom Terrorregime des Kalifen« Kitchener seinen Kriegszug angeblich unternommen hatte. Weshalb aber verschonte der Lord bei seiner Vergeltungsaktion ausgerechnet des Mahdis Grab und Haus? Ersteres ließ er unversehrt, damit seine Schändung um so effektvoller gerate. Denn unmittelbar nach der Eroberung von Omdurman ließ Kitchener die Gruft des bereits 1885 gestorbenen Messias der sudanesischen Moslems und Begründers eines unabhängigen moslemischen Staates aufreißen und das darin befindliche Skelett in den rasch und trüb durchs Tal rauschenden Weißen Nil schmeißen. Das Haus ließ der britische Lord stehen, um es in ein Museum umzuwandeln, das seinen Besuchern zum einen die Größe, Unbesiegbarkeit und unübertreffliche Weisheit der neuen Machthaber, zum anderen die barbarische Primitivität der Besiegten dartun sollte. Noch befindet sich das Museum in dem Zustand, in welchem es sein nunmehr sudanesischer Direktor von seinem britischen Vorgänger übernahm. Zu meinem Glück, denn nicht wenige der Exponate sagen über die Vermessenheit jener, die sie in ihrer Hybris einst zusammenstellten, mehr aus, als ihnen heute lieb sein kann. Die vielen an den Wänden hängenden Vorderlader-Steinschloßflinten der Verteidiger Omdurmans zum Beispiel. Handgefertigt und aufs schönste ziseliert, zum Teil sogar versilbert, doch als Kriegsgerät genauso anachronistisch wie die noch zahlreicheren breitblättrigen Speere und die von Kugeln zersiebten Lederschilde, mit denen die Krieger des Mahdi todesmutig ins britische Maschinengewehrfeuer rannten. Und reihenweise niedergemäht wurden, noch ehe auch nur einer von ihnen mit dem Gegner in Tuchfühlung geraten war. So nützlich Speere zur Bekämpfung der in jenen Tagen noch landesüblichen Löwen, Panther und anderer Groß-Raubtiere gewesen sein mochten – vor den an Blutdurst alles jemals zuvor in diesem Landstrich Dagewesene übertrumpfenden zweibeinigen Raubtieren des Empires versagten sie. Das neue Omdurman, eine monotone, nahezu vegetationslose Ansammlung einstöckiger Stein- und Lehmhäuser, durchzogen von schnurgeraden, außerordentlich breiten, für allfällige weitere antikoloniale Revolutionen also denkbar ungeeigneten Hauptstraßen, ist die charakterloseste Stadt, die mir je in Afrika begegnete. Zwischen den Häuserreihen, vor allem aber im nordöstlichen Teil der Stadt, wo das Herzstück des alten Omdurman lag, immer wieder riesige, topfebene Flächen, die bis zum heutigen Tag vom Wüten der englischen Spitzhacken künden. Auf der Rückfahrt nach Khartum verspüre ich zum erstenmal in meinem Leben so etwas wie Scham, ein Weißer zu sein.
Der Sohn des Mahdi 46 Grad im Schatten! Die nasse Haut meines nackten Unterarms klebt an der Tischplatte derart fest, daß es fast unmöglich ist, ihn beim Schreiben seitlich zu verschieben. Obschon ich weiß, daß dies Unsinn ist, schütte ich literweise Tee, Ginger-Ale, Cola und Eiswasser in mich hinein. Nach Sonnenuntergang zeigt das Thermometer noch 36 Grad an. Terrasse und Bar füllen sich. Wie fast jeden Abend finden sich auch der Außenminister und sein Kollege vom Departement für öffentlichen Verkehr und andere Khartumer Offizielle ein. Einer von ihnen nimmt mich nach kurzem konventionellem Apéritiv-Schwatz beiseite, führt mich in eine abgelegene Ecke des Hotelgartens und hält mir ein Privatissimum über die sudanesische Innenpolitik. Seit einigen Monaten drehe sich alles um das Kernproblem der Beziehungen des Sudans zu Nordamerika, um Khartums Haltung zur Eisenhower-Doktrin. (Am 5.1.1957 erklärte US-Präsident Dwight D. Eisenhower vor dem Kongreß in Washington seine Bereitschaft, die Staaten des Nahen Ostens durch wirtschaftliche und militärische Hilfe, notfalls auch Truppenentsendung, gegen angebliche kommunistische Aggression zu unterstützen.) Diese Doktrin, erfahre ich, sei alles andere als populär. Als im März US-Vizepräsident Richard Nixon in Khartum weilte, sei es zu heftigen amerikafeindlichen Ausschreitungen gekommen. Dennoch habe Nixon, als er einen Monat später abermals erschien, erwartet, der Außenminister – ein Mann der Umma-Partei – würde den Vertrag unterzeichnen. Der Minister wäre in der Tat dazu bereit gewesen, nicht so die Mehrheit des Ministerrats. Die zog es vor, das Einverständnis zum Eisenhower-Plan zu vertagen. An der Umma, der einzigen politischen Partei des Sudans, die offen die Washingtoner Nahostpolitik unterstützt, ließ mein Vertrauensmann kein gutes Haar. Der uralte Sohn des Mahdi, der sie noch immer leite, habe bis 1924, mit den acht Pfund im Monat, die ihm die Kolonialverwaltung gnädigst zuschob, ein stilles Hungerdasein geführt, sei dann aber vom britischen Gouverneur plötzlich mit Geldgeschenken, Grundstücken und noch anderen Gunstbezeugungen überhäuft worden, wonach er auf eine proenglische Linie eingeschwenkt sei und sich als Gegengewicht zur schon damals scharf antibritischen Stimmung in die Waagschale geworfen habe. Jetzt, nach dem Abzug seiner Schirmherren, zitterten die Umma-Leute um ihre Reichtümer und suchten Rückhalt bei den Yankees. Und wie man wisse, mit beträchtlichem Erfolg. Schon löhne die Umma-Führung nicht nur ihre engere Klientel, sondern selbst die ihr hörigen Häuptlinge südlicher Stämme in Dollars statt in Pfunden. Allerdings getrauten sich die Berater des Mahdi-Sohnes und Führers der einflußreichsten islamischen Sekte des Landes bislang noch nicht, ihre Ziele offen zu vertreten. Auch das Begehren der Amerikaner, in der Nähe von Port Sudan einen Luftstützpunkt zu errichten, von dem aus der Golf von Suez zu kontrollieren wäre, habe die Partei bisher noch nicht beantwortet.
Closed Districts Ehe sich Henry Morton Stanley, der eigentlich John Rowlands hieß, 1861 von Sansibar aus ins Innere Afrikas wagte, um an den Ufern des Viktoriasees nach dem verschollenen Missionar Livingstone zu suchen, rekrutierte er eine Eskorte bestehend aus drei weißen Leibwächtern, 23 Soldaten, deren vier Befehlshabern, 153 Trägern und 27 Eseln. Die Weißen waren mit Schnellfeuergewehren bewaffnet. Mir dagegen genügte ein vom Khartumer Innenministerium ausgestellter »Permit for Closed Districts« und ein Platz in der zweimal wöchentlich zwischen der Hauptstadt und dem äußersten Süden des Landes pendelnden »Dakota«, die einen in viereinhalb Stunden nach Juba, Verwaltungszentrum der Provinz Äquatoria, bringt. Von dort sind es noch ganze 500 Kilometer bis zum Äquator, knappe 300 bis zur Grenze Äthiopiens, 120 zu der von Uganda und gar nur 100 Kilometer bis zum Kongo. Außer einer Riesenportion afrikanischer Steppe, einigen tausend Quadratkilometern mit grünen Papyrushalmen überwucherten Nilsumpfs und in der letzten halben Stunde hie und da wie gelbe Geschwüre aus dem rotgrünen Fell Afrikas herauswuchernden Rundhüttendörfern, manche von ihnen geschwärzt und ohne Dächer, also niedergebrannt, gab es nicht viel zu sehen. Im Juba-Airport, einem bescheidenen Steingebäude und einer Rollbahn aus gestampfter Erde, empfahl mir der Kontrollbeamte dringend, als erstes dem Provinzgouverneur meine Aufwartung zu machen und meine nächsten Schritte mit ihm abzusprechen. Der Repräsentant der Zentralregierung empfing mich tatsächlich noch am selben Abend in der »Moudirieh«, dem Sitz der Distriktsverwaltung, um mir mitzuteilen, daß ich – übrigens als erster nach den »Ereignissen« zugelassener ausländischer Journalist – autorisiert sei, mich nach Yey, gelegen an der Grenze zum belgischen Kongo, zu begeben und von dort aus die Kaffee-, Tee- und Tabakplantagen von Iwaloha zu besichtigen. Auch eine Jagdpartie auf Großwild wolle er für mich arrangieren. Um die Einzelheiten des Programms werde sich sein »chiefclerc« kümmern... Der Brauch afrikanischer Bürokraten, nur bis 14 Uhr zu arbeiten, hat auch sein Gutes! Ihm verdanke ich einen von keinem Chefbeamten der Provinzialverwaltung behinderten Rundgang durch die Stadt. Obschon inzwischen bereits seit anderthalb Tagen hier, habe ich bisher von diesem Ort lediglich den Gouverneurssitz und das Hotel kennengelernt, denn der »chiefclerc« hat sich noch um nichts gekümmert. Während ich hinter einigen unbeaufsichtigt durch die Hauptstraße trottenden Wasserbüffeln herbummele, begrüßen mich vom Straßenrand her unversehens drei milchschokoladenbraune Gestalten in schneeweißen, togaartigen Gewändern mit einladendem »Hello!« Als ich mich ihnen nähere, steht einer von ihnen auf, vertritt mir den Weg und bedeutet mir gestenreich, mich zu ihm und seinen Freunden zu setzen. Auf eine Tasse Tee. Ich nehme die Einladung an, doch nun stellt sich heraus, daß meine Gastgeber auf Englisch nur »Hello« zu sagen wissen, und da ich wiederum von den 80 in der Gegend gesprochenen Dinka-, Nuer- und anderen Dialekten keine Ahnung habe, beschränkt sich unsere Konversation zunächst auf ein permanentes Einanderangrinsen, fast pausenloses freundschaftliches Nicken und lautes Schlürfen mörderisch starken, aus einer zerbeulten Blechkanne immer wieder nachgegossenen grünen Tees. Etwas fließender gestaltet sich die Unterhaltung erst, als ein Junge hinzukommt, der uns mit seinen rudimentären, in der Missionsschule erworben Englischkenntnissen weiterhilft. Nun erfahre ich, daß meine Gastgeber die Inhaber der Getreidehandlung auf der anderen Straßenseite sind und hier sitzen, um ihre mit dem Sieben riesiger Haufen weißen Korns beschäftigten schwarzen Arbeiter zu beaufsichtigen. Nur wenn ein Kunde kommt, legen die wohlgebauten, bis auf eine Art Lendentuch nackten Burschen ihre Schaufeln für einen Augenblick beiseite, füllen metallene Messbehälter mit dem Gesiebten, streichen, was über deren Rand ragt, mit einem Hölzchen weg und kippen, was geblieben ist, in die aufgehaltene Strohtaschen des Käufers. Ich frage die Geschäftsleute nach dem Lohn der Männer. »Zwei Pfund im Monat«, lautet Ihre Antwort. Die meisten Tagelöhner hier in Juba kämen aus dem Busch, seien eigentlich Viehzüchter und Herdenbesitzer und wagten sich nur in die Stadt, wenn sie unbedingt Bargeld benötigten. Zum Beispiel zur Bezahlung der ihnen auferlegten Kopfsteuer. Oder jetzt, nach den »Ereignissen«, in deren Verlauf viele Herden massakriert worden seien, um neues Vieh zu kaufen...
»Die Ereignisse« Immer wieder dieses ominöse Schlüsselwort! Wofür steht es? Es steht für die in Äquatoria und in der Nachbarprovinz Bahr el Gazal vor kurzem erst blutig niedergeschlagenen Aufstände der Stämme gegen die Regierung in Khartum. Mehrere hundert arabisch-stämmige Offiziere, Verwaltungsbeamte und Kaufleute wurden von den schwarzen Rebellen innerhalb weniger Tage umgebracht, und während mehrerer Wochen kontrollierten die Zentralbehörden nur noch Juba. Alles was auch nur 500 Meter außerhalb des Ortes und seines Flughafens lag, war von den Rebellen beherrscht. Mit einem starken Expeditionskorps aus dem Norden und zahlreichen neuen Militärstützpunkten im Süden hat Khartum die abtrünnigen Provinzen zwar inzwischen weitgehend »befrieden« können, doch ist die Stimmung in der Stadt noch immer alles andere als friedlich. Jedes Mal, wenn eine Militärpatrouille, die unhandlichen britischen Karabiner schußbereit in der Hand, den Basar durchquert, verfinstern sich dort die Mienen, verstummen Händler wie Kunden ostentativ. Und da die Soldaten aus dem Norden nur arabisch sprechen und die Bewohner des Südens nur ihre heimischen Stammesdialekte, ist Verständigung zwischen Wächtern und Bewachten praktisch ausgeschlossen. Sowohl in Khartum als auch in Juba befragte ich nahezu jeden meiner Gesprächspartner nach den Ursachen und den Hintergründen der Revolte. Als erstes bekam ich fast immer zu hören, sie sei von den Engländern und deren Missionaren angezettelt worden. Bereits seit 1930 habe die britische Kolonialverwaltung versucht, den Südsudan vom Norden mehr und mehr zu isolieren, ihn abzutrennen und Uganda anzuschließen. Zum einen, weil der äquatoriale Süden, sehr im Gegensatz zum Norden, dank seiner Regenfälle ungeheuer fruchtbar sei, zum andern der Bodenschätze wegen, die man in seinem Untergrund vermute. Um den Islam vom Süden fernzuhalten, seien die Engländer sogar so weit gegangen, den arabischen Kaufleuten aus dem Norden ab 1930 die Einreise in die Territorien der nilotischen Stämme zu verbieten, die Fortsetzung pro-islamischer Missionstätigkeit zu untersagen und Tausende von bereits bekehrten Schwarzen samt ihren Priestern deportieren lassen. Gleichzeitig habe man die im animistischen Süden tätigen christlichen Missionen massiv gefördert und ermutigt. Während Händler, denen es einfiel, den in der Regel splitternackten Eingeborenen Djellabahs, also Kleidungsstücke arabischer Art, zu verkaufen, verfolgt und bestraft worden seien, hätten die christlichen Missionare mit der Verteilung von Hosen und Röcken europäischen Zuschnitts fortfahren dürfen. Endlich habe die britische Administration sogar den öffentlichen Gebrauch des von den nilotischen Stämmen bis dahin als lingua franca benutzten Arabischen verboten. Parallel zu all dem hätten sich die Missionsschulen in die antiarabische Propaganda einbinden lassen. So habe man in den Schulen farbige Bildchen verteilt, auf denen in Ketten geschlossene Sklavenkolonnen, bewacht und angeführt von schwerbewaffneten Arabern, zu sehen gewesen seien. Überhaupt habe im Geschichtsunterricht der Patres die allerdings unbestreitbare Tatsache, daß zur Regierungszeit Mohammed Alis und auch noch während des Mahdi-Reiches »die Araber«, nämlich Ägypter, Nordsudanesen und andere, Hunderttausende von Schwarzen als Sklaven aus dem Südsudan verschleppten, riesengroß im Mittelpunkt gestanden. Auf diese Weise sei das althergebrachte, um 1930 jedoch bereits weitgehend erloschene tiefe Mißtrauen der nilotischen Stämmen gegenüber den islamischen Nordsudanesen zu neuer Hochglut geschürt worden, was letztendlich entscheidend zum Ausbruch des Aufstandes von 1955 beigetragen habe. Wenn aber tatsächlich die britische Kolonialmacht die Revolte inspirierte, wie erklärt es sich dann, daß die im benachbarten Uganda stationierten englischen Truppen Gewehr bei Fuß blieben, obschon die vom nördlichen Expeditionskorps bald hart bedrängten Aufständischen einen Hilferuf nach dem andern nach Nairobi (Kenia) sandten? Weshalb diese Inkonsequenz? Vermutlich deshalb, weil zum jenem Zeitpunkt Yomo Kenjattas Mau-Mau-Bewegung der kenianischen Kikuju schon zu stark war und es auch in Uganda bereits brodelte und gärte. Zu einem afrikanischen Mehrfrontenkrieg fühlte sich Kitcheners Enkel nicht mehr in der Lage...
Eine Strafe Allahs? Der erstaunlich junge, sportlich-drahtige District-Commissioner von Yey, in dessen Haus ich die Nacht verbracht habe, kommt aus Khartum, ist Moslem, diente der sudanesischen Armee von Englands Gnaden bis vor kurzem als Major, absolvierte eine höhere britische Militärschule, ist somit weitgereist und welterfahren wie kaum ein anderer Verwaltungsfunktionär in dieser abgelegenen Provinz. Als erstes bot er mir nach meiner Ankunft seine Badewanne an. Eswar mit ziemlicher Gewißheit die einzige im Bezirk. Und nach Sonnenuntergang nahm er mich zur »Concession« mit. Der Marktflecken Yey besteht aus etwa hundert runden, schilfgedeckten Hütten und vier gemauerten Baracken. In zweien von ihnen halten griechische Händler Eisenstangen, Cola, Parafin, Fahrräder und knallbunte Stoffe feil sowie – verbotenerweise – starken süßen Zypern-Wein. Der dritte feste Bau ist die Kaserne. Sie wuchtet am Rand der Siedlung inmitten eines Streifens Ödlands, der als Exerzierplatz dient. Ihr gegenüber die Distriktverwaltung. Und neben dieser des Majors sichtlich von Termiten angefressener Bungalow. Auf dem weiten Marktplatz des Fleckens lohten hohe Feuer. Um sie herum kehliger Gesang, schrille Freudenschreie, tobendes Tam-Tam-Gedröhn: eine Hochzeit. Dieweil wir uns den Feuern näherten, begründete der Major, weshalb er sich, trotz seines dienstlich avisierten Gastes aus Europa, an diesem Abend, wie er sagte, bei den »natives« sehen lassen müsse. »Schon um zu zeigen, daß wir wieder da sind!« Gerade jetzt, nach »den Ereignissen«, sei dies ganz besonders wichtig. Er ließ mich bei den Tänzern. Im Innern mehrerer Kreise von splitternackten, schweißbedeckten jungen Männern, die sich im Stakkato der Tam-Tams ungestüm bewegten, lieferten sich die jeweils Stärksten, Besten einer jeden Mannschaft eine Art Duell. Angestachelt von den Youyou-Trillern der Frauen sprangen sie mit schnellendem Geschlecht unermüdlich hoch, so hoch sie konnten, gingen beim Herunterkommen federnd in die Knie Und stießen sofort wieder ab zu neuerlichem Sprung. Nachdem der Major seine Gratulationstour absolviert und die Höflichkeits-palaver mit den örtlichen Notabeln abgeschlossen hatte, gingen wir zu seinem Bungalow zurück und ließen uns auf der Terrasse nieder. Eine feingliedrige Schwarze, keine sechzehn Jahre alt, servierte uns das Mahl. »My underwife«, erläuterte der Offizier. Es gab geröstete Gazellenkeule, reich garniert mit Knoblauchzehen, dazu grüne Pfefferschoten, so scharf, daß mir das Wasser aus den Augen lief. Als uns die grazile »Unterfrau« nach dem Essen eine Flasche Rémy Martin und zwei Schwenker brachte, ergänzte er, daß sie von hier sei und ihre Sippe von ihm als »Lobola«, als Hochzeitsgeld, den Gegenwert von zehn Pfund Sterling gefordert und bekommen habe. »Was blieb mir anderes übrig. Meine eigentliche Frau ist in Khartum geblieben. Schon der Kinder wegen – die Ereignisse! Kein Mensch kann wissen, ob und wann es demnächst wieder los geht.« In Yey hatten »die Ereignisse« binnen Stunden die gesamte Garnison ausgelöscht. Erst war die Kaserne überrumpelt worden, dann hatten die Rebellen die Distriktsverwaltung ausgeräumt und des Majors Amtsvorgänger mit Pangas, aus angeschliffenen Autofedern fabrizierten Säbeln, hingerichtet. »In der Badewanne, die Sie ja inzwischen kennen. Es war ihm so vorbestimmt. Posten wie Yey sind eine Strafe Allahs. Nicht einmal die Briten wußten was mit dieser gottverlassenen Gegend anzufangen.« Leise redete der Kommissar in die bedrückend dichte, schwarze Stille hinaus, die jenseits der Terrassen-Balustrade herrschte. Berichtete erschreckend ruhig und sachlich von den Ungeheuerlichkeiten, die sich hier ereignet hatten. Nur die Geier, die hoch oben in den Eukalyptusbäumen nisteten und des fernen Tam-Tam-Trubels und der You-You-Schreie wegen nicht zur Ruhe kamen, zeterten von Zeit zu Zeit dazwischen, und die Moskitos sirrten. Unter dem Vorwand, das Stammesleben der Eingeborenen konservieren zu wollen, hätten die Briten die Südprovinzen nicht allein vom arabischen Norden isoliert, sondern außerdem durch strenge Reiseverbote dafür gesorgt, daß auch die südlichen Stämme voneinander abgeschottet blieben. »Und an den Früchten dieser langjährigen Teile-und-Herrsche-Politik werden wir uns vermutlich die Zähne ausbeißen.«
Erschienen in Ossietzky 17/2004 |
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