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Die Zimmer sind größer und anspruchsvoller eingerichtet, im Preis aber ähnlich, etwa 200 RMB pro Nacht. Das benachbarte Hotel hat wesentlich mehr Angestellte, aber der Service ist nicht viel besser. Neben solchen kleinen Pensionen und den staatlichen oder privaten Hotels gibt es auch internationale wie das Sheraton. Gerühmt wird der Service eines von der Armee betriebenen Hotels. Da es tagsüber sehr heiß ist, geht man besser spätabends oder nachts zum Schwimmen. Ein Hotel bestrahlt mit starken Scheinwerfern seinen Strandabschnitt. Das Meer sieht so aus, als spülte es ständig Wasser an den Strand, das dort im Sand versickerte. Aber untergründig strömt es zurück. Da nur die Oberfläche beleuchtet ist, schwimmen die in solcher Dialektik ungeübten Badegäste hinaus und manche erst später als geplant zurück... Vielleicht erklärt das, warum man hier eine so hohe Kaution bezahlen muß, die mitunter die Gesamtrechung übersteigt, so daß man am Ende noch Geld zurückbekommt. Am Strand sah man Lichter für die brennen, die nicht zurückgekehrt sind, vermutlich, damit wenigstens ihre Seelen den Weg zurückfinden. Nervig sind die Händlerinnen am Strand, die zum Teil einer nationalen Minderheit angehören. An den Europäern, aber auch an den im Lande tonangebenden Han-Chinesen rächen sie sich dadurch, daß sie ihnen jene Perlen verkaufen, mit denen man ihre Vorfahren hereingelegt hat. Noch mehr Ärger machen die Taxifahrer, die angesichts eines Ausländers sofort die Hupe drücken, sei es aus Begeisterung oder weil sie hoffen, daß sie hier jemanden finden, den sie ein halbes Dutzend mal um den Block fahren können. Zuletzt erhielten wir Unterkunft bei einer Familie aus Nordostchina, die vor einigen Jahren zwei gegenüberliegende Wohnungen im zweiten Stock eines Hochhauses für 800 000 RMB gekauft hat; heute sind sie angeblich das Doppelte wert. Der Mann hat, wie er uns sagte, keine Schulden bei der Bank, also die Wohnung bar bezahlt. Nun kann man raten, was er beruflich war. Kein Arbeiter, der hier seine mühsam ersparten Groschen angelegt hat. Sondern Chef-Finanzbuchhalter in einer staatlichen Firma. Jetzt hat er eine ähnliche Tätigkeit: Er liegt im Wohnzimmer auf dem Sofa, das so gestellt ist, daß er in die Diele schaut, die als Empfangsraum mit Verkaufstheke dient. Tag und Nacht hat er alles im Blick. * Die Zeitung Wen Zhai Bao berichtet über eine Schule in der Provinz Henan, die sich etwas Besonderes ausgedacht hat, um ihre Schüler für das Leben vorzubereiten. In ihrem Sommer-Ferienlager lesen die Acht- bis Zwölfjährigen klassische chinesische konfuzianische Literatur, lernen für den Mathematikwettbewerb und üben sich in traditioneller Kampfkunst. Die Devise der Schule lautet: Verschiedene Zustände des Lebens erleben, um das eigene Schicksal beherrschen zu lernen. Das Besondere an dieser Pionierschule sind die Lob- und Strafmaßnahmen: Die Schüler bekommen Noten für ihre Leistungen und werden danach in drei Gruppen eingeteilt: Ober-, Mittel- und Unterschicht. Die Mitglieder der Oberschicht erhalten drei Beilagen und eine Suppe zum Mittagessen, dazu gibt es ein Glas Rotwein, das die soziale Stellung symbolisiert. Die Mittelschichtler bekommen zwei Beilagen und eine Suppe, keinen Rotwein. Die Unterschicht muß die Oberschicht beim Essen bedienen, danach deren Geschirr waschen. Dann erst dürfen die Untertanen ihr einfaches Mahl zu sich nehmen. Wir erfahren, daß ein zwölfjähriger Junge absteigen mußte, weil er seine Texte nur langsam auswendig lernt. Er hat sich sehr bemüht, klagt er, trotzdem gehört er zur Unterschicht. Er weint. Schlecht geschlafen hat er auch, und seinen Eltern gegenüber traut er sich nicht, diese Schmach einzugestehen. Die Gesichter der Oberschicht-Kinder strahlen voller Stolz. Der Rektor der Schule meint, daß die psychologische Belastbarkeit der Schüler durch dieses Rollenspiel trainiert wird: Der Wechsel der Rollen stähle die Schüler für den Konkurrenzkampf. Am Schluß des Artikel wird freilich ein Kinderpsychologe zitiert, der diese Erziehungsmethode abträglich für die sich herausbildende Selbstachtung der Kinder findet. Aber daß die Arbeiterbewegung die Konkurrenz unter den Arbeitern abschaffen wollte und an ihre Stelle die Solidarität setzte, scheint im sich kommunistisch nennenden China vergessen zu sein. In der Ober- und der Mittelschicht herrscht hier ein heftiger Konkurrenzkampf, den die davon profitierenden – und auch untereinander im Wettbewerb stehenden – Schulen und Universitäten noch kräftig anheizen. Gegenteilig wirken die von Parteimitgliedern, vor allem aber von den Bewerbern um Parteimitgliedschaft erwarteten guten Taten, die etwas von dem Ethos der christlichen Nächstenliebe und in vielen Fällen auch von dem Pathos der (Doppel-)Moral haben. Die Konkurrenz suggeriert, daß jeder eine Chance hat, daß es also irgendwie gerecht zugeht. Ihre Auswüchse beziehungsweise Normalitäten unterscheiden sich von denen in US-amerikanischen, britischen, französischen oder anderen Eliteschulen, die eine lange Tradition haben. Hier, wo sich Kapitalismus und privater Reichtum jetzt stürmisch entwickeln, wird diese Tradition gerade erfunden oder importiert. (Ein ideales Forschungsfeld für Soziologen und Kulturwissenschaftler). Wenn man beispielsweise erlebt, wie schroff chinesische Studenten – viele von ihnen – die Bedienungen in den Lokalen behandeln, mag einen das Gefühl beschleichen, wir lebten hier in einer Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts.
Erschienen in Ossietzky 16/2004 |
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