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Diesem Mann gelang aber 1996 mit »Kampf der Kulturen« ein Weltbestseller gelang, dessen Kernaussage lautete: »Nachdem der kapitalistisch geprägte westliche Protestantismus im Kalten Krieg obsiegt hat, muß er sich gewaltsam mit den Kulturkreisen der anderen Weltreligionen auseinandersetzen.« Auf diese Argumentation beruft sich mittlerweile das Weiße Haus in seinem weltumspannenden Krieg gegen den – natürlich islamischen – Terror. Und Huntington hat sich eines neuen Problems angenommen: Mit seinem Buch »Who Are We?« hat er die amerikanischen Variante der deutschen »Leitkultur«-Debatte ausgelöst (Samuel P. Huntington: »Who Are We? The Challenges to America’s National Identity«, Simon & Schuster, 428 Seiten, 27 $). Für Huntington definiert sich eine Nation dadurch, daß sie einen Feind findet und sich als von ihm verschieden ansieht. Im Zweiten Weltkrieg war HitlerDeutschland der Erzgegner; im Kalten Krieg bekam dann die UdSSR den undankbaren Part des definitiven Bösewichts. Auf kleine Fische wie Saddam Hussein oder Slobodan Milosevic folgte der 11. September 2001 und »füllte das von Gorbatschow erzeugte Vakuum mit einem unmißverständlich gefährlichen neuen Feind und definierte die Identität Amerikas als christliche Nation«. Damit begann ein neuer Selbstreinigungszyklus in der Geschichte der Vereinigten Staaten, wie es ihn schon des öfteren gegeben hatte. Der US-Puritanismus will einfach nicht absterben; aus dieser Wurzel erwuchsen schon die Hexenverfolgung in Salem, der McCarthyismus und die öffentliche Erforschung von Präsident Clintons Sexleben. Heute sprießt daraus die »Kernkultur« oder, wie deutsche Politiker sagen würden, die »Leitkultur« der USA. Huntington führt seine »Kernkultur« auf die vordemokratische Tradition der puritanischen Pilgerväter zurück, zu denen auch seine Vorfahren gehörten (sie siedelten sich bereits 1633 in Boston an). Laut Huntington sind es die Werte und Normen dieser weißen, angelsächsischen und protestantischen Siedler – die Bestandteile der sogenannten WASP-Kultur –, die bis heute das Wesen der einen und einzigen US-Kultur ausmachen. Der Politologe beschreibt diese »core cul-ture« wie ein Backrezept, mit Zutaten wie: »die englische Sprache; der christliche Glaube; religiöse Hingabe; die englischen Konzepte vom Rechtsstaat, der Verantwortlichkeit der Herrschenden, der Rechte des Individuums; und die abweichlerischen (mit der Ständeordnung des englischen Mutterlands unvereinbahren) protestantischen Werte des Individualismus, der Arbeitsethik sowie des Glaubes, die Menschen hätten die Befähigung und die Pflicht, den Himmel auf Erden zu schaffen, eine ›Stadt auf einem Hügel‹ zu erbauen.« Die Jahrhunderte währenden Einflüsse von Einwanderern katholischen, jüdischen oder anderen Glaubens zählen für Huntington nicht. Der wahre US-Amerikaner ist ein modernisierter Puritaner: religiöser Visionär und überzeugter Kapitalist in einem. Ein Demokrat im modernen Sinne muß er nicht sein, die puritanischen Siedler kamen ja schon 150 Jahre vor der Amerikanischen Revolution in ihr Gelobtes Land. Huntingtons Schlußfolgerung: Wer sich heute nicht dem puritanischen Diktat des 17. Jahrhunderts unterwirft, der kann nur ein Feind Amerikas sein. So einfach läßt sich die Welt in Schwarz und Weiß scheiden! Das Schwarze sind in »Who Are We?« die »entnationalisierten Eliten« (liberale Denker und multinationale Manager) sowie lateinamerikanische Einwanderer. Diese kommen beim Harvard-Professor besonders schlecht weg, da sie, wie er ihnen vorwirft, das Bildungsideal der USA verrieten und nicht einmal vernünftiges Englisch lernen wollten. Wie können aus denen jemals gute Amerikaner werden? Den Amerikanischen Traum darf man laut Huntington nämlich nur »auf Englisch träumen«. Unerwähnt läßt er dabei zum Beispiel das Lohngefälle zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten, eines der größten der Welt, hervorgerufen vor allem durch das von den USA initiierte kontinentweite Freihandelsabkommen. Sehr vielen Lateinamerikanern bleibt außer bitterster Armut kaum etwas anderes übrig, als ihr Glück im Land der Unbegrenzten Möglichkeiten zu suchen. Sicher: Drei von vier US-Amerikaner gelten, ethnisch gesehen, als Weiße. Die Lateinamerikaner kommen auf einen Bevölkerungsanteil von gerade zehn Prozent. Und die von Huntington selbst angeführten Statistiken belegen, daß seit dem 11. September 2001 der Patriotismus der Amerikaner mit deutlich über 90 Prozent eine Rekordmarke hält. Aber das genügt dem weißen US-Establishment und seinem Herold nicht. Huntington setzt seine Hoffnung auf »eine nationale Organisation, die weiße Interessen durchsetzt«. Die müsse einfach kommen, weil »das Vermischen der Rassen und damit der Kultur geradewegs zur nationalen Degeneration führt«. Diese Rassisten-Bewegung soll aber laut Huntington auf keinen Fall rassistisch sein. Das wäre dann die erstmals in der Menschheitsgeschichte geglückte Quadratur des Kreises. Vielleicht setzt sich die gegenwärtige Wirtschaftskrise der USA noch über Jahre hinweg fort, wenn sie sich nicht sogar verschärft. Wie schön, wenn für die hieraus resultierenden Frustrationen Sündenbocke bereitstehen, an denen man sich gemeinschaftlich abreagieren kann. Huntington, seit den Fünfziger Jahren Feindbildhauer diverser US-Regierungen, zeigt in seinem neuen Buch, wie man’s macht. »Ich spreche nicht von Menschen. Ich spreche von Ideen und Praktiken«, ließ er kürzlich einen Reporter der New York Times wissen. Für weiße Rassisten ist Huntington längst ein Held geworden. Martin Petersen studiert in Flensburg.
Erschienen in Ossietzky 16/2004 |
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