Monika Köhler, Wieviel Kinder tötet Doris Schröder-Köpf?

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Wieviel Kinder tötet Doris Schröder-Köpf?

Tatort: Hannover, Georgstraße 9. Tatzeit: 10. November 2003. Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf gibt den Schuß ab, den »Startschuß« zu einer bundesweiten Aktion. Mitten ins Herz der deutschen Kinder.

Ist es Mord, Massenmord, was die Kanzlergattin da begeht? Wer den Film »Supersize me« von Morgan Spurlock (Verleih: Prokino) sieht, wer das Buch »Fast Food Gesellschaft« (Riemann Verlag, 448 Seiten, 15 Euro) von Eric Schlosser liest, dem bleibt kein Zweifel. Die Tat ist gut dokumentiert, Agenturen haben das Foto im Internet an alle deutschen Redaktionen verbreitet. Flankiert von zwei Erwachsenen und zwei unschuldigen Kindern umfaßt das zähnefletschende Kanzlerweib ein großes rotes Herz – die Verwendung dieses Bildes (wir verzichten) ist nach Angaben der Agentur für redaktionelle Zwecke honorarfrei.

Schröders Frau macht Propaganda für den mächtigsten und fürchterlichsten Menschenabfütterungskonzern der Welt. Sie wirbt ausgerechnet am Weltkindertag für den – ja so nennen die das – »Marktführer der Gastronomie«, für McDonald’s Deutschland Inc. und sein Kinderverführungsprogramm »Deutschland zeigt Herz«. Die Gattin des Bundeskanzlers ist Schirmherrin der »McDonald’s Kinderhilfe«.

So animiert sie zu einem Lebenswandel, der für die verführten Kinder nur in Fett, Elend und Tod enden kann. Wie viele von ihnen werden in dreißig Jahren noch leben und, wenn doch, wie? Filmemacher Morgan Spurlock hat nur dreißig Tag lang den Selbstversuch unternommen. Er hat ihn gerade noch überlebt.

Morgens, mittags, abends Fast Food, jedes Gericht mindestens einmal, und wenn »Super Sizing«, der dickste Brocken, empfohlen wurde, verleibte er sich auch den ein. Er reiste durch die USA, durch die »fetteste Nation auf Erden«. Sein Film führt ihn vor, den anfänglich schlanken Hauptdarsteller, als ständig zunehmendes Demonstrationsobjekt: 25 Pfund in dreißig Tagen. Die Libido versiegt, die Freundin beklagt sich. Die medizinischen Werte ändern sich dramatisch.

Der Film zeigt Traurigkomisches und Absurdes. Ärzte empfehlen für 25 000 Dollar eine Magenverkleinerung bei mehr als hundert Pfund Übergewicht, die Kosten werden von McDonald’s nicht übernommen. Erschreckend: Kinder, die nur die McDonald’s-Propaganda-Figur Ronald kennen und sonst nichts. Von Kindesbeinen an wird der Kunde herangezüchtet – im Idealfall hat er lebenslänglich. Dafür sorgt ein Werbeetat von 1,4 Milliarden Dollar (im Jahre 2001).

Den ganzen Umfang des Verbrechens deckt das Buch des US-Journalisten Eric Schlosser auf. Landschaften und Ansiedlungen werden total umgekrempelt, neugeschaffen durch die Fastfood-Industrie. Eine ganze Stadt muß auf die Bedürfnisse eines überdimensionalen Schlachthofs ausgerichtet werden. Die Fließbänder dort laufen immer schneller, obwohl vieles noch Handarbeit ist mit Motorsäge und Messern. Schlosser konnte sich in einen McSchlachthof einschmuggeln – ein Inferno. Nirgends ist die Verletzungsgefahr so hoch – für die Arbeiter und für die Innereien des Schlachtmaterials. Die extreme Zentralisierung der Fleischproduktion auf 13 Betriebe in den USA fordert Opfer. Und so gerät viel in den Hamburger, was noch nicht durch jahrelangen Verzehr abgehärtete Kinder krank macht. Über 78 Prozent der untersuchten Hackfleisch-Proben enthalten »Mikroben, die überwiegend durch Fäkalien verbreitet« werden, entdeckte das Landwirtschaftsministerium. Der Autor sagt es deutlich: »Im Fleisch ist Scheiße.«

Arbeitssklaven werden angezogen und wieder abgestoßen. Gewerkschaften müssen draußen bleiben. Gelingt es ihnen doch, einen Fuß hineinzusetzen, wird der ganze Laden aufgelöst. Das ist in Deutschland nicht anders. Und mit der »Wende« drang McDonald’s auch in den deutschen Osten vor. Diplomchemiker Ernst Dörfler, Mitglied der letzten Volkskammer und dann auch noch des Bundestags, verlangte ein offizielles Verbot von »McDonald’s und ähnlichen anomalen Müllproduzenten«. Doch Ronald-McDonald’s-Statuen ersetzten bald die abgebauten Leninstandbilder. Ein drei Stockwerke hoher, beleuchteter Ronald wies in der alten DDR-Pionierstadt den neuen »Bitterfelder Weg«.

Michail Gorbatschow hatte überall im Osten für Perestroika gesorgt. 1996 lobte er »die fröhlichen Clowns, die BigMac-Schilder, die bunte charakteristische Dekoration und perfekte Sauberkeit« im Vorwort zu »Russia with Fries«, den Memoiren eines McDonald’s-Managers. Glasnost auch für den Mitbewerber Pizza-Hut – Gorbatschow trat in russischen Werbespots für den US-Konzern auf.