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Aber weil der Dompteur ihm entrüstet mit den Augen, mit dem Körper folgt, sieht man den Löwen doch. Der Dompteur heißt schließlich Bip. Monsieur Bip, der Clown mit der roten Nelke am zerknautschten Zylinder. Marcel Marceau ist auf Gastspielreise durch Deutschland. 1951, beim ersten Deutschland-Gastspiel, war er noch keine Dreißig und mußte während der Tournee in immer größere als die zuvor geplanten Theater umziehen; so groß war der Zuschauerandrang. Jetzt ist Marceau einundachtzig. Wer ihm noch nie leibhaftig begegnete, will dies jetzt tun. Die ihn früher sahen, wollen ihn wiedersehen. Und der Mann auf der Bühne weiß ebenso wie das Publikum unten, daß es danach wohl nicht noch einmal sein wird. Bip und sein Createur entstammen der Zeit, da das Wünschen noch geholfen hat; sicher vermutet wurde, daß Kunst ein Beitrag zur Veränderung der Welt sei, denn sie braucht es. Auch in den schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges war Marceau sowohl in der BRD zu Gast als auch in der DDR. Deren Akademie der Künste machte ihn zum Mitglied, die DEFA verfilmte Teile seines Schaffens. Die Pantomime wurde durch ihn zu einer Art Modellfall für die Völkerverständigung. Das war wohl alles andere als Zufall. Denn der junge Schauspieler Marcel Mangel, der seinen Tarn-Namen aus der Resistance als Künstlernamen beibehielt, ist gewachsen aus der antifaschistischen europäischen Tradition nach dem zweiten Weltkrieg, die so viele große humanistische Künstler hervorbrachte. Der alte Mann auf der Bühne ist der letzte. Und er ist nicht alt, sondern jung. Ist unverändert. Es ist die gleiche Begegnung von der zauberischen Art, die wir immer hatten: Der schmale Körper, weiß leuchtend vor dem Dunkel der Bühne, strahlt die alte unglaubliche Kraft und nachdenkliche Fröhlichkeit aus. Marceau, unser Bezwinger: So nah war uns nie einer jenseits der Rampe, denn außer ihm ist da oben nichts. Der eine Mensch, wie nackt und bloß. Jede Geste ist wichtig. Und wir erfahren über die Menschen manches, das wir zuvor nicht wußten. Einem Pantomimen zuzusehen, fordert nicht nur Phantasie und Assoziationsfähigkeit – man muß sich intensiv auf das Geschehen einlassen, kein Augenblick der Unaufmerksamkeit ist den Augen gestattet, den die Ohren wettmachen könnten. Ganz dicht sind wir beim »Vogelfänger«, der sich im eigenen, immer engeren Käfig fängt und nicht auszubrechen vermag, es sei denn, er würde selbst zum Vogel – und sind selbst im Gitter gefangen, und brechen endlich selbst fliegend aus. Und sterben zusammen mit dem armen Schwein, dem Angeklagten, sind mit ihm zum Tod verurteilt und werden aufgehängt und zucken noch mal und sind hin – nachdem wir fast geborsten sind vor Lachen über den kompletten »Gerichtshof«: Staatsanwalt mit diktatorischer Pose, Verteidiger kriechend, Richter gelangweilt. Dann der »Maskenmacher«: probiert die verschiedensten Gesichter aus, wütend, tragisch, melancholisch, die lachende Maske schließlich, die er nicht mehr abzulegen vermag... Da sitzt du auf deinem Parkettstuhl und erinnert dich: wie du ihm einst auf den Leim gegangen bist und dich über das Grinsen amüsiert hast, wie du laut und lauter gelacht hast, bis dir das Lachen erstarb, allmählich, und wie es denen um dich herum ähnlich ging, bis die Stille da war wie ein Atem, der letzte Atem des Maskenmachers. Das ist fast vierzig Jahre her, und du lauerst: Werden sie – wie damals, wie immer – lachen? Sie tun es, sie amüsieren sich über das Grinsen, lachen laut, der ganze Saal, dann weniger, einzelne gickernde Stimmen noch, das Lachen erstirbt. Stille. Wir fressen dem Magier aus der Hand. Wie immer schon. Anders als immer erscheint dem nachgelassenen DDR-Bewohner plötzlich der Kontext des Mimodrams: Die gräßliche, grausame Fröhlichkeit ist jetzt unsere Sache, wir kennen sie nun, sahen sie bei trübsinnigen Staubsaugervertretern in rosa und angstgeschüttelten Versicherungsanbietern in lindgrünen Sakkos. Sie ist ein surrealistisches Bild der Entfremdung des zu gnadenlosem Konsum bis zum Tode verurteilten Individuums... Der erste Tag von Marceaus Gastspiel in Berlin war ein theatralisches Großereignis; wer dabei war, war froh. Vorm ausverkauften Haus sah man Tränen der Sitzplatzlosen. Und Spekulanten, die Karten für 200 Euro absetzten. Die Schriftstellerin Katrin Lange (Texte für Theater, Hörfunk, Film) lebt in Berlin.
Erschienen in Ossietzky 16/2004 |
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