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Mein Blick bleibt am Gesicht einer Frau hängen, unerwartet hier und doch vertraut. Ist sie das? Erneut fixiere ich sie. Unsere Blicke begegnen sich. Nein, denke ich wieder, unmöglich. Vor mehr als zwanzig Jahren ist mir via Film, Fernsehen und Funk eine Schauspielerin aufgefallen, eine Wienerin. Sie hat sich mir vom ersten Augenblick an eingeprägt. Ihre Geistesgegenwart, ihr Esprit, die spannungsvolle Ruhe, aus der heraus sie ihre Figuren entwickelte, faszinierten mich. Mehr noch ihre Stimme. Der ganze Mensch, all die erfundenen Bühnenfiguren schwingen darin. Emotionen, Phantasie scheinen unerschöpflich. Wie ein Brunnen. Ich schwärme, ja. So erging es mir stets: Ob ich einen klassischen Text im Funk hörte oder ihre Darstellung mich bezwang, eine TV-Serie anzuschauen (»Familie Merian« im ORF), oder ob ich sie in Xaver Schwarzenbergers bewegender Arbeit »Lamorte« sah, einem Film zum Thema »Selbstbestimmtes Sterben« (mit Nicole Heesters und Senta Berger), immer war ich fasziniert von dieser starken, zarten Persönlichkeit. Ebenso ist mir ihre Darstellung der Elisabeth Hauptmann in Jan Schüttes Film »Abschied« in Erinnerung geblieben (Ossietzky 19/2000). Ihr Stil ist unverwechselbar: Hochkonzentriert, leise, leidenschaftlich führt Elfriede Irrall ihre Einsichten zur Sache vor. Kurz entschlossen gehe ich auf sie zu, sage, daß ich ihr seit Jahren zuschaue, ihr besonderes Talent schätze. Sie strahlt mich an mit Augen, die auf den Grund schauen, ohne zu bedrängen, fragt: »Darf ich Sie umarmen?« Das war der Anfang. Seither reden wir dann und wann miteinander. Elfriede Irrall ist gekommen, um die Arbeit in der »Busch« kennen zu lernen. Sie war da und dort jungen Schauspieler/innen begegnet, die an diesem Haus ausgebildet worden waren, und fand die Ergebnisse bemerkenswert. In früheren Jahren hat sie in Wien am Reinhardt-Seminar unterrichtet, an der Berliner Hochschule der Künste auch. Jetzt möchte sie ihre Erfahrung, ihr Können eine Zeitlang hier einbringen. Ihre Biographie empfiehlt sie. Mit 16 Jahren ging sie ans Theater. Über Bonn, Köln, im Sturmschritt zurück nach Wien, ans Theater in der Josephstadt, es folgten Zürich, Berlin, Hamburg. Sie spielte Lulu, Ophelia, Cordelia, die Schlagermitzi, sie war Laura in der »Glasmenagerie« und Ibsens »Fräulein Julie«; Salonschlange, Naive, Kokette, »gläsern zerbrechlich« und »kühl gefährlich«. Sie spielte mit Leonhard Steckel, Bruno Ganz, Grete Mosheim und Maria Becker. »Ich war wenig über 30 Jahre alt und bereits mein eigenes Denkmal«, erinnert sie sich. »Ich hatte die Nase voll vom etablierten Theater. Zu wenig Demokratie«, befand sie damals. Sie ging zu Peter Stein, Schaubühne Berlin, in der Hoffnung auf echte Gemeinsamkeit von Ensemble und Leitung. Elfriede Irrall kam zu spät zu der Truppe, es setzten sich bereits wieder alte Strukturen (»männerdominiert«) durch. Sie brauchte eine Zäsur, verließ den herkömmlichen Theaterbetrieb. 1973, wenige Monate vor dem Putsch, ging sie nach Chile, war leidenschaftlich berührt, den sozialen Umbruch noch zu erleben, der auch die Suche nach neuen Formen des Theaterspielens einschloß. Zurück in Berlin (West) wurde sie in der Chile-Solidarität aktiv. Ihren Lebensunterhalt finanzierte sie in den Jahren ohne Theater durch Funk- und Fernseharbeiten. Es folgten Zeiten des Unterrichtens in Berlin und Wien. Später gründete sie mit Olaf Scheuring das »teaterspielwerk«. Sie bearbeiteten literarische Vorlagen und gingen damit zehn Jahre auf Tournee durch die Bundesrepublik. »Freiberuflich sein, ist nicht leicht,« sagt Elfriede Irrall, »aber in ein Engagement füge ich mich nicht mehr, da wäre ich – schwupp – wieder raus. Es gibt viele gute Frauen in meinem Alter (66) und wenig Rollenangebote. Mit 90 wird’s leichter,« flachst sie und lacht. »Mit jungen Menschen arbeiten, ist Freude. Weiterreichen, was man erfahren hat, bereichert werden durch die Erfahrung im Austausch mit ihnen. Gemeinsam atmen. Atmen ist Basis der Sprache, der Körper das Instrument für den Schauspieler. Leidenschaftliche Spiellust, Liebe zur Literatur – das ist es.« Elfriede Irrall spricht stets auf den Punkt. Keine phonetischen Umwege. Vielleicht begegne ich ihr im kommenden Semester in der »Busch« bei der Arbeit mit den Studenten. Dann stünde auch für sie wieder einmal »Alles auf Anfang«.
Erschienen in Ossietzky 16/2004 |
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