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In Bonn besorgten die Regierenden unter der Losung »Deutschland dreigeteilt – niemals« die Zweiteilung, bis Moskau das Politbüro an Helmut Kohl verkaufte und eine Einheit ausbrach, die mit viel gutem Willen und großen Hoffnungen gepflastert war. Es wurden Arbeitslosigkeit, Insolvenzen und Kriege daraus, und wer beizeiten warnte, geriet unter bösen Linksverdacht. Bundestagspräsident Thierse sah den Osten auf der Kippe, wurde dafür gerüffelt und übt seitdem ein aufrechtes Schweigen, das er schon als DDR-Bürgerrechtler in Kulturamtsstuben praktiziert hatte. Im übrigen geht es im Osten wie vor der sogenannten Vereinigung zu. Der SED-Insolvenz folgte die Einheits-Pleite. Der Bankrott blüht und blüht, ganze Dörfer laufen leer, Schulen, Krankenhäuser, Schwimmbäder und Bibliotheken schließen. Wer jung ist, will weg, älter geworden flüchtet er in den Westen, bevor der auch im Ruin endet, den die hilflose Tante SPD durch Wählervergraulen schon fleißig vorbereitet, während die CDU auf ihre Chance wartet, ihre Wähler durch Sozialabbau ebenso scharenweise zu vertreiben. Noch aber ist Ostdeutschland ein wenig bevölkert. Ostpreußen, Pommern, Schlesien und Sudentenland fielen den Folgen von Hitlerdeutschlands Politik zum Opfer. Wir wissen, was Heimatverlust bedeutet. Deshalb wollen wir unseren verbliebenen mitteldeutschen Osten erhalten. Vielleicht aus angeborener Anhänglichkeit oder bloßer Vernunft. Wir Ex-DDR-Bürger am früheren Wohnort oder in der Diaspora wissen, wie schmerzlich Niederlagen wirken. Doch wir wissen auch, die Sieger überfressen sich oft an ihren Siegen. Ich bin stolz, ein Ostdeutscher zu sein. Die Hitlers und Stalins kommen und gehen. Auch die Adenauers, Ulbrichts und Kohls. Schröder hat schon aufgehört mit dem Kommen. US-Soldaten und Rotarmisten reichten sich einst auf der Brücke bei Torgau die Hände. Dann hauten sie ab nach Vietnam, Afghanistan und in den Irak zum Kriegführen. Wir Ostdeutschen überleben alle Besatzer. Selbst die vielen Milliarden, die das Kapital bei uns investiert, um sie wieder einzukassieren, reichen nicht aus, uns aufzukaufen. Als Moskau es versuchte, waren wir noch naiv und gutwillig. Wir allein blechten für ganz Deutschland mit unendlichen Kriegsreparationen. Als Kohl uns übernahm, begriff er nicht, daß er keine Kolonie erworben hatte, trotz all der Verwalter, die er uns aufdrückte. Wir Ostdeutschen wurden x-mal beleidigt, beschwindelt, verlästert, enteignet und betrogen. Jetzt bedroht man uns mit der Demographie. Die einen wandern aus, die andern werden gar nicht erst geboren. Die kapitalen Ostlanderoberer sollten sich nicht zu früh freuen. Irgendwann werden wir den Gebärstreik aufgeben. Dem Sieg in den Betten wird der Sieg an den Wahlurnen nachfolgen. Und wohin sollen die letzten Westler dann entsorgt werden, wenn die Ostdeutschen den Trauermantel des eingeschüchterten Verlierers abstreifen und ihren produktiven Stolz hervorholen? Eines Tages werden selbst die stolzen Reichen, die im Kapitalismus wie in einem individuellen Kommunismus leben, einzusehen lernen, daß es nur noch um die Entscheidung zwischen den Weltkriegen des Kapitals und einem so menschlichen wie demokratischen Sozialismus gehen kann. »Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein«, ist ein saudummer rechter Spruch. »Ich bin stolz, ein Ostdeutscher zu sein« dagegen eine nützliche, notwendige Aussage. Ohne aufrechte Ostdeutsche und ihre Erfahrungen ist der Adler, das alte Wappentier, ein kranker Vogel mit gebrochenem linken Flügel. Erst sollten wir Jahrzehnte hindurch von der Sowjetunion siegen lernen. Bis die Moskauer Genossen unsere DDR an die Westdeutschen verschacherten. Die steigern nun den Gewinn durch Export von Arbeitsplätzen. Leidgeprüft, doch nicht gewissen- und humorlos begreifen wir: Wer 150 Jahre deutscher Arbeiterbewegung mit dem Bankrott des Sozialstaates beenden will, kann nicht auf unsere Stimmen rechnen. Inzwischen ist schon wieder eine neue Geschichtsepoche angebrochen. Die schlingernde SPD sendet verschämt SOS. Enttäuschte SPD-Genossen und Gewerkschaftskollegen proben den Absprung von Godesberg und experimentieren in munteren Meetings mit einer neuen Parteigründung. Was kann daraus werden? Politikwissenschaftler, die schon immer mit ihren Weisheiten auf dem falschen Fuß erwischt wurden von Klio, der Geschichtsverfälscherin, reichen einander die Mikrophone. Vor den Kameras sitzen die Talkgötter und lesen die Zukunft aus den Eingeweiden der Prominenzen und Exzellenzen. Ein Neptun, der sich Köhler nennt, ist an Bord des Flaggschiffs aufgetaucht und spielt den Kapitän. Zungenflink gibt er den künftigen Kurs an und erntet Applaus wie Gottschalk in »Wetten, daß ...«. Ein Ruck geht durch die Mannschaft der Leichtmatrosen, und schon hockt man havariert auf den Klippen der Arbeitslosigkeit. Gemächlich versinkt die SPD, der träge Tanker, in den Hochwasserfluten sozialer Unruhen. In der Hand der schwarzen superchristlichen Merkel flattert stürmisch eine Freibeuterflagge, die eine grausige Angela 2020 nach der fürchterlichen Agenda 2010 androht. Wäre ich Köhler, sagte ich: Die Vereinigung ist mißlungen, weil wir die organisierten Dumheiten und Feindschaften beider deutscher Staaten miteinander vermischten. Das Ende der DDR erwies die Unfähigkeit des sowjetischen Sozialismus. Der rheinische Kapitalismus war ebensowenig überlebensfähig und endet im Berliner Sozialabbau. In seinen »Deutsch-deutschen Erinnerungen« schrieb Alexander Schalck-Golodkowski 2002: Die DDR war »nicht in der Lage, Lösungen für die massiven Probleme zu entwickeln«, was zweifellos richtig ist, doch sah er in der »Marktwirtschaft das effizientere System. Sie schafft ... mehr gesellschaftlichen Wohlstand ... Die Idee der sozialen Marktwirtschaft ... finde ich heute überzeugend.« Schrieb’s auf und verstarb, was ihn davor bewahrte, seinem sozialistischen Widerruf einen kapitalistischen anzuhängen. Schalck: »Seit meinem Grenzübertritt im Dezember1989 hat sich nicht nur mein Leben, sondern auch mein Denken verändert.« Ostdeutsche, die nicht wie er von Franz Josef Strauß und dem Bundesnachrichtendienst aufgefangen wurden, haben ihr Leben und Denken auch verändern müssen. Wäre ich Köhler, sagte ich: Laßt uns nochmal von vorn anfangen und statt der Borniertheiten von Ost und West beider Weisheiten und Vorzüge vereinigen. Ich bin nicht der Bundespräsident, sag’s aber trotzdem. Lieber zwei halbe Deutsche als ein ganzer nationaler Schwachkopf, der mit Volldampf in die Krise donnert, weil’s eine wahnsinnig gewordene Finanz- und Polit-Elite so will. Vor 1945 folgten sie der voranflatternden Fahne, heute ist es der Bankauszug. Mag sein, die Westdeutschen riskierten nie eine Revolution. Wir Ostdeutschen sind da um ein paar revolutionäre Niederlagen klüger. 1932 schrieb Leo Trotzki: »Die gegenwärtige Todeskrise des Kapitalismus zwingt die Sozialdemokratie, auf die Früchte des langen wirtschaftlichen und politischen Kampfes zu verzichten und die deutschen Arbeiter auf das Lebensniveau ihrer Väter, Großväter und Urgroßväter hinabzuführen.« Wer hätte gedacht, daß sich der Niedergang exemplarisch dort abspielt, wo einmal die Wiege der Sozialdemokratie stand, die von Schröder und Genossen zum Sarkophag umgebaut wird.
Erschienen in Ossietzky 16/2004 |
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