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Das ist die Sprache von Rotarmisten in Briefen, die sie in die Heimat schicken, als sie Ende 1944 die Grenze des Hitler-Reiches erreicht haben und Berlin nicht mehr nur ihr fernes Ziel ist. Geschrieben wurden die Texte in Gräben und Erdlöchern, manche in Zimmern von Bauernhäusern, vor und nach Märschen und Schlachten, häufig im Zustand bleierner Müdigkeit infolge des seit Tagen fehlenden Schlafes. Die Absender waren Schlosser oder Steinmetz, Buchhalter oder Kolchosbauer, Lehrer oder Universitätsdozent, auch Berufssoldaten darunter. Die Jüngsten kamen von der Schulbank zur Armee, manche besuchten, bevor sie an die Front gelangten, militärische Spezialschulen. Sie sind nun Majore, Hauptleute oder auch Soldaten, gehören zu Infanterie-, Panzer-, Artillerie- oder Luftwaffeneinheiten. Manche, die Ältesten, haben die Mitte ihres fünften Lebensjahrzehnts erreicht und mögen schon Soldat im Ersten Weltkrieg oder im Bürgerkrieg gewesen sein. Ihre Heimatorte liegen Tausende von Kilometern auseinander, viele waren vor kurzem noch von der Wehrmacht besetzt. Die Fähigkeit und das Bedürfnis, sich schreibend mitzuteilen – und das in Situationen und Augenblicken, die kein Mitfühlender einem Mitmenschen wünschen kann –, sind ganz unterschiedlich entwickelt. »Ich lebe, bin gesund«, so beginnen und so enden die meisten dieser Briefe, gerichtet an Vater und Mutter, Schwester, Frau, Braut oder Freundin, an Kriegskameraden oder Arbeitskollegen. Aus ihnen spricht die Sehnsucht nach dem Ende des Krieges und der Wunsch, dann unter den Überlebenden zu sein. Die Vorstellung verbindet sich mit der Eroberung der Hauptstadt des fremden und feindlichen Landes, dessen »verfluchte« und »verbrecherische Erde« sie dann verlassen wollen. Zurück in die Heimat: »Wir werden wieder wie früher leben,« hofft und verspricht einer der Briefschreiber. Vorerst aber schleppen sie westwärts mit sich die auf ihren langen Wegen gewonnenen Bilder der zerstörten Dörfer und Städte, des massenhaftes Leides und Elends ihrer Familien, der gestohlenen Jahre, der zerstörten Hoffnungen, der toten oder von Verwundungen für ihr Leben gezeichneten Mitkämpfer, der Verwitweten und der Verwaisten. Und manche wissen, daß es nie mehr sein kann wie früher. In diesen Tagen gerinnen ihre Erlebnisse und Erfahrungen zu einem Entschluß: mit den »Räubern« und »Untieren« abzurechnen, Vergeltung zu üben, Rache zu nehmen. Einer, dessen Leben als Achtzehnjähriger bei Königs-berg/Ostpreußen enden wird, schreibt: »Du hast ganz recht, daß der Krieg die Menschen nicht zärtlich macht, sondern umgekehrt, er macht sie verschlossen, etwas grob und sehr böse.« Und weiter: »Wenn du wüßtest, was ich gesehen habe, als ich über die Felder unseres lieben Bjelorußlands und Litauens lief ...« Er schrieb wirklich: lief, seiner Schwester ersparend, was an Eindrücken und Strapazen hinter ihnen lag. Mitleid kam da beim Blick auf brennende deutsche Dörfer und auf die Züge der bei Angriffen und Vormärschen eingeholten Kolonnen verängstigt flüchtender deutscher Zivilisten nicht auf. Eher stellte sich ein Gefühl der Genugtuung ein, daß der Krieg jetzt dorthin gelangte, von wo er in ihr Land getragen worden war. Endlich sind die Rollen vertauscht. Nun fliehen nicht die eigenen, sondern jene, die – wie ein Ukrainer, im Zivilberuf Schlosser, an seine Frau schreibt – geglaubt haben, »daß der Krieg so ein Ausflug in fremde Länder ist, verheerend für andere Völker, ein Leid für Frauen und Kinder beliebiger Nationalität, nur nicht der deutschen«. Ein Rezensent des Deutschlandfunks hat sich nach dem Lesen dieser Brieftexte nur die Bemerkung abquälen können, es handle sich um ein »nützliches Buch«, und zudem seine Geduld durch die »extrem wissenschaftlichen« Kommentare der Herausgeberin strapaziert befunden. Elke Scherstjanoi hat die in diesem Buch gedruckten Briefe vorbildlich quellenkritisch erschlossen – mit Behutsamkeit, das heißt auf besonderer Hut vor vorschneller Verallgemeinerung und Überdehnung von Schlußfolgerungen. Der zweite Teil klärt in Aufsätzen deutscher und russischer Historiker das geschichtliche Umfeld auf. Ich habe seit langem kein Buch gelesen, das mich derart mit der Frage bedrängt hätte, wie es in die Hände und vor die Augen vieler kommen könnte. Denn dagegen steht eine Barriere: sein Kaufpreis. Doch ist vorstellbar, daß es transformiert, in Teilen oder Auszügen vielleicht, vor allem zu jungen Leuten gelangt. Mit dem Blick auf den 60. Jahrestag der Befreiung ließe sich derlei im Publikationsprogramm der Bundeszentrale für politische Bildung und sodann im Geschichtsunterricht deutscher Schulen denken. Es würde das Lesen dieser Briefe die einen schweigen lassen, in anderen das Bedürfnis zu reden wecken und bei allen, die nicht antikommunistisch vernagelt sind, das Nachdenken über Geschichte schärfen, vor allem über jenen Teil davon, der unsere war und bleiben wird. »Rotarmisten schreiben aus Deutschland. Briefe von der Front (1945) und historische Analysen«, hg. von Elke Scherstjanoi und dem Institut für Zeitgeschichte, K.G. Saur Verlag, 449 Seiten, 110
Erschienen in Ossietzky 16/2004 |
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