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Einmal erkämpfte Freiräume bleiben umstritten und erfordern streitbare Menschen. »In einer Gesellschaft, in welcher der direkte Zugang zu den Medien und die Chance, sich zu äußern, auf wenige beschränkt ist, verbleibt dem Einzelnen neben seiner organisierten Mitwirkung in Parteien und Verbänden im allgemeinen nur eine kollektive Einflußnahme durch Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit für Demonstrationen. Namentlich in Demokratien mit parlamentarischem Repräsentativsystem und geringen plebiszitären Mitwirkungsrechten hat die Versammlungsfreiheit die Bedeutung eines grundlegenden und unentbehrlichen Funktionselementes. Demonstrativer Protest kann insbesondere notwendig werden, wenn Repräsentativorgane mögliche Mißstände und Fehlentwicklungen nicht oder nicht rechtzeitig erkennen oder aus Rücksichtnahme auf andere Interessen hinnehmen.« Es war die Antiatomkraftwerksbewegung, die 1985 diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (im Brokdorf-Urteil) erstritt. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert macht sie das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit geltend, indem sie es praktiziert und indem sie es politisch und juristisch verteidigt – vor allem dort, wo das Dilemma der deutschen Atomenergiepolitik am offenkundigsten ist: im Wendland. Gorleben ist nicht nur Atommüllplatz, sondern auch Ort der Auseinandersetzung um die Atomenergie. Gorleben ist ein Synonym für den Skandal, daß Reaktoren laufen und ständig Atommüll produzieren, obwohl der Nachweis einer gesicherten Endlagerung des Atommülls – die gesetzlich geforderte Voraussetzung aller Betriebsgenehmigungen für Atom-anlagen – nach wie vor fehlt. Einmal im Jahr rollen »Castor«-Behälter mit dem verglasten heißen Restmüll aus der Wiederaufarbeitung verbrauchter Brennelemente in der französischen Plutoniumfabrik La Hague ins »Transportbehälterlager Gorleben«. 44 dieser Behälter stehen jetzt in einer Halle mit 420 Stellplätzen, stehen da herum, oberirdisch. Irgendwann sollen sie im Salzstock nebenan in 800 Meter Tiefe »endgelagert« werden. Jeder weiß, daß der Salzstock marode, als Atommülldeponie ungeeignet ist. Per Allgemeinverfügung verbietet die Bezirksregierung Lüneburg in willfähriger Regelmäßigkeit Demonstrationen und Kundgebungen entlang des Schienentransportkorridors zwischen Lüneburg und Dannenberg. Die Bahn stellt den öffentlichen Personennahverkehr ein, und der Bundesgrenzschutz sichert die Gleise für den »Castor«-Transport. Großflächige Absperrungen zur Sicherung des Straßentransports auf den letzten 19 Kilometern bis Gorleben folgen. Grundlage der Verbotsverfügungen ist eine Gefahrenprognose, die trotz der er-drückenden Omnipräsenz von Polizei und BGS – bisher waren jedes Mal mindestens 14 000 Uniformierte im Einsatz – einen »polizeilichen Notstand« unterstellt. Das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit wird dem Wunsch der Einsatzleitung nach reibungsloser Atommüllabfuhr geopfert. Zu diesem Zweck werden Kundgebungen verboten, Straßen, Vorgärten, Grundstücke mit Betretungsverboten gesperrt, ganze Dörfer abgesperrt, Häuser durchsucht, Demonstranten malträtiert und gedemütigt und immer wieder so lange in Gewahrsam genommen, bis der Konvoi sein Ziel in Gorleben erreicht hat. Fast aussichtslos mag da der Versuch erscheinen, der in Verfügungen, Anweisungen und Gesetzen (namentlich dem Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz, kurz: NGfaG) gegossenen Willkür juristisch entgegenzutreten. Doch die jahrelange Auseinandersetzung trägt jetzt erste Früchte. Acht Jahre alt ist das Pilotverfahren, in dem das Amtsgericht Dannenberg kürzlich beschied: Die Einkesselung von Demonstranten am Bahnhof Karwitz am 4. Mai 1996 war rechtswidrig. Langen Atem, der dem Gorleben-Widerstand immer wieder bescheinigt wird, bewiesen in diesem Fall die Hamburger Rechtsanwältin Ulrike Donat und drei Mandanten; unter den dreien ist eine damals 21jährige Frau, die heute selbst als Rechtsanwältin mit Gorleben-Prozessen vertraut ist. An jenem Samstag im Mai – vier Tage vor dem Eintreffen eines »Ca-stor«-Transports aus La Hague – hatten 12 000 Atomkraftgegner auf dem Dannenberger Marktplatz demonstriert. Tausende formierten sich im Anschluß auf der Dannenberger Umgehungsstraße zu einem eindrucksvollen Menschenbild »Wir stellen uns quer!«. Einige Hundert machten sich auf den Weg zum Bahnhof Karwitz, wo Polizei und BGS sie schon erwarteten, denn auf der Kundgebung war über Lautsprecher ein Schienenspaziergang angekündigt worden. Einer Gruppe von Demonstranten gelang es dennoch, für kurze Zeit das Geleise im Bahnhofsbereich zu besetzen. Gegen 14.15 Uhr stellten BGS-Beamte fest, daß sich eine Gruppe von 25 bis 30 Menschen auf den Schienen befand. Die Räumung erfolgte unverzüglich. Danach stellten Polizeibeamte fest, daß an den Schienen auf einer Länge von 15 Metern Schrauben gelockert waren. »Daraufhin«, so protokollierte das Amtsgericht Dannenberg, »wurden gegen 15.00 Uhr von dem Polizeioberrat Hackländer aus Essen die Einschließung von ca. 150 Personen, die sich neben den Gleisen befanden – unter ihnen die Betroffenen –, und ihr anschließender Abtransport nach Neu Tramm bei Dannenberg zur Personenfeststellung angeordnet.« Das dauerte. Zunächst blieben die 150 Menschen auf dem Bahnsteig eingekesselt, bis Gefangenentransportwagen eintrafen. Bevor sie in die Busse gesperrt wurden, stellte die Polizei ihre Personalien fest; dabei wurde jede Person einzeln gefilmt. Wegen Demonstrationen für ihre Freilassung verzögerte sich die Abfahrt. Gegen 18.30 Uhr fuhren die Busse zur Gefangenensammelstelle (Gesa) Neu Tramm, wo die drei schließlich zwischen 22.48 und 23.35 Uhr, also nach rund acht Stunden, freigelassen wurden. Das Amtsgericht konstatierte, daß die Freiheitsbeschränkung »von Anfang an, also bereits dem Grund nach, rechtswidrig war«. Die Verfahrenskosten müsse die Landeskasse tragen, um dem Rehabilitationsinteresse der »Castor«-Gegner-Innen Rechnung zu tragen. Diese hätten sich nämlich zu keinem Zeitpunkt auf den Schienen befunden, sondern daneben. »Für eine Beteiligung an den behaupteten Straftaten (aufgeschraubte Schienenmuttern) fehlen jegliche personenbezogene Anhaltspunkte. Im Übrigen war diese Tat bereits beendet, und der Schienenkörper war bereits geräumt«, heißt es in dem Gerichtsbeschluß (Aktenzeichen: 39 XIV 1,2,3/01 L). Eine undifferenzierte Festnahme sei rechtswidrig – und die Polizei hätte den Gleiskörper ja auch einfach abriegeln können (»Kräfte waren genug vor Ort«). Es war ein mühsames Verfahren, das zu diesem Richterspruch führte. Erstmalig wurde damit die Praxis der Freiheitsentziehungen angegriffen. Ursprünglich hatten rund 20 Demonstranten geklagt; aus Kostengründen wurden drei Verfahren exemplarisch zu Ende geführt. Das Amtsgericht erklärte sich zunächst für nicht zuständig. Deshalb wurde das Verwaltungsgericht Lüneburg angerufen. Die Verwaltungsrichter verwiesen das Verfahren zurück an das Amtsgericht; so entschied auch das Oberverwaltungsgericht Lüneburg. Außerdem mußte im Gesetzesdschungel geklärt werden, ob die Sachverhalte nach dem BGS-Gesetz – das damals Freiheitsentziehung bis zu vier Tagen ermöglichte – oder nach dem NGfaG zu bewerten seien, das schließlich von den Verwaltungsrichtern als Rechtsgrundlage festgelegt wurde. Inzwischen stuften Amtsgerichte in Dannenberg, Uelzen und Lüneburg, das Verwaltungsgericht Lüneburg und das Oberlandesgericht Celle die permanente Praxis der Ingewahrsamnahme als rechtswidrig ein. Rechtswidrig handelte die Polizei demnach beispielsweise, als sie Jugendliche stundenlang ohne Nahrung oder wärmende Getränke in der Gefangenensammelstelle festhielt, ohne die Eltern zu benachrichtigen oder das Jugendamt einzuschalten. Rechtswidrig war es, daß Berliner AtomkraftgegnerInnen, nachdem ihr Bus und Gepäck auf einem Parkplatz bei Lauenburg mehrfach durchsucht worden waren, ohne daß »Auffälliges« zutage gefördert worden wäre, mit dem Polizeibus nicht zur angestrebten Kundgebung nach Lüneburg, sondern zur Gesa verfrachtet und dort so lange nachbehandelt wurden, bis die Kundgebung beendet war. Die Verwaltungsrichter in Lüneburg befanden, der Zugang zu einer Demonstration dürfe »nicht unzumutbar erschwert oder gar verhindert« werden (Aktenzeichen: 3 A 116/02). Rechtswidrig handelte die Polizei auch, als sie im November 2001 den Hamburger Rechtsanwalt Wolf Römmig wiederholt an Kontrollstellen stoppte und ihn mit den Worten »Sie kommen hier nicht durch!« daran hinderten, einen Termin wahrzunehmen. Ähnliches erlebte Römmig im November 2003, als Pastoren ihn als Anwalt zum Gemeindehaus in Gusborn bestellt hatten. Für den Lüneburger Verwaltungsrichter Siebert war klar: »Castor« hin oder her, eine Kontrollstelle müsse auch eine Durchlaßstelle sein. Wenn ein Anwalt sich klar ausweist und sogar um polizeiliche Begleitung bittet, um einen Kollegen oder Mandanten aufsuchen zu können, dürfe ihm deswegen kein Platzverweis oder gar ein Aufenthaltsverbot erteilt werden. Römmig sei in seiner Bewegungs- und Berufsfreiheit eingeschränkt worden (Aktenzeichen 3 A 28/02). Aber die juristischen Auseinandersetzungen sind noch längst nicht abgeschlossen – wie sich jetzt im Fall eines jungen Demonstranten bestätigte, der im November 2002 zusammen mit 160 anderen auf dem Gelände der Freien Schule Hitzacker am Mittag des »Castor«-Transporttages eingekesselt und erst am folgenden Tage gegen 10.00 Uhr aus der Gefangenensammelstelle Neu Tramm entlassen wurde. Als der »Castor«-Zug gegen 16.00 Uhr durchgefahren war, hob die Polizei den Kessel nicht auf. Durchnäßt und unterkühlt wurde unser Demonstrant danach in einen Gefangenentransportbus gesperrt und gegen 23.00 Uhr zur Gesa verbracht. Toilettengänge mußten erbettelt werden. Immer wieder verhöhnten ihn Polizeibeamte. Weil er auch am nächsten Morgen noch festgehalten wurde, fehlte er unentschuldigt auf seinem Arbeitsplatz und konnte wichtige Termine nicht wahrnehmen. Infolge der Unterkühlung erkrankte er. Doch die Staatsanwaltschaft Lüneburg hat im Mai 2004 die Ermittlungen gegen die verantwortlichen Polizeibeamten eingestellt (Aktenzeichen: 5101 Js 28302/03). Staatsanwältin Mainz konzediert zwar, daß eine »zügigere Abwicklung« in der Gesa »wünschenswert« gewesen sei. Den Polizisten sei aber nicht nachzuweisen, daß sie den Demonstranten »unnötig lange« festgehalten hätten. Der Demonstrant habe zudem nicht angeben können, welcher Polizist ihm den Toilettengang verweigert habe. Gegen die Einstellung der Ermittlungen läuft jetzt eine Beschwerde, in der pikanterweise auf Aktenmanipulationen hingewiesen wird. Rollt der »Castor«, wird die Demokratie auf die Probe gestellt. Es genügt nicht, sich dann allein auf die Gerichte zu verlassen. Die Demokratie geht schließlich vom Volke aus und muß immer neu erobert werden. Viele Fragen sind offen, zum Beispiel: Wann endlich agieren Polizisten mit offenem Gesicht? Warum tragen sie keine Namensschilder oder zumindest Kenn-Nummern? Damit Ihre Rechtsverstöße nicht geahndet werden können? Zur Praxis der Versammlungsverbote durch die Bezirksregierung wird das Verwaltungsgericht Lüneburg voraussichtlich vor dem nächsten »Castor«-Transport Stellung nehmen. Geklagt hat die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. Wolfgang Ehmke stammt aus Gorleben und gehört zu den Aktiven der Bürgerinitiative.
Erschienen in Ossietzky 16/2004 |
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