Tourneeschmankerln

Dietrich Kittner

Das Schimpfwort »Besserwisser« ist nichts anderes als die Rache der Doofen an denen, die Durchblick haben beziehungsweise genauer hinschauen.

Auf dem Münchner Ostbahnhof prangt am Schaukasten mit den Abfahrtzeiten der Züge ein Zettel: »Fahrplan ungültig. Bitte schauen Sie an den übrigen Fahrplänen, da es uns leider nicht möglich war, diese Vitrine zu öffnen.« Wie ernst das Problem ist, zeigt die klotzig gesetzte Unterschrift: Nicht etwa der Stationsvorsteher war mit der Lösung betraut, sondern gleich das »Bahnhofsmanagement München«. Und damit niemand geistigen Diebstahl etwa durch Kopieren oder Zitieren des lichtvollen Textes begeht, steht ebenso groß darunter »© DB Station & Service AG«. Das macht etwas her. Sie sind eben modern, die Bahnmanager. Bloß Vitrinen können sie nicht öffnen. Da jedoch ein neoliberales ­ Management selbstverständlich weiß, daß Kleinvieh auch Mist macht, steht mir vermutlich demnächst eine kostenpflichtige Abmahnung ins Haus: wegen Verletzung des Copyrights am geistigen Eigentum der Deutschen Bahn AG in Form des urheberrechtlich geschützten o. e. Prosa-Werkes.

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Am Kiosk kaufe ich mir die Frankfurter Rundschau. Im Innern des Blattes wirbt per Inserat der »Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.« um Spenden. Vor Jahren, zu Beginn des Krieges gegen Jugoslawien, hatte ich mir gelegentlich lautstarke rotgrüne Unmutsbekundungen eingehandelt, wenn ich im Programm zu formulieren wagte: »Was meinen Sie, wer jetzt die Bundeszuschüsse erhöht bekommen wird? Logisch: der Volksbund Deutsche Kriegsgräbervorsorge.« Laut Text der Anzeige informiert der Verein über seine Tätigkeit inzwischen in schöner Offenheit unter der Internetadresse www.gutvorgesorgt.info. Da möchte eigentlich jetzt ich Copyright-Ansprüche geltend machen.

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Per Autoradio höre ich Nachrichten. Es wird vor dem Genuß von Muscheln gewarnt. Sie seien virenverseucht. Die Bayerische Staatsregierung läßt dazu wörtlich verlautbaren: »Muschelliebhabern wird daher empfohlen, sich vor Verzehr der Meeresfrüchte gegen Hepatitis B impfen zu lassen.« So etwas verteuert ein Muschelessen allerdings fühlbar. Zehn Euro Praxisgebühr muß der Gourmet dann schon mal drauflegen.

Inwieweit solche Vorsorgemaßnahme auch für das Verspeisen von Hummer, Shrimps, Octopus oder Garnelen angebracht wäre, wird nicht erwähnt. Sicherheitshalber sollte man wohl den griffigen Slogan plakatieren lassen: »Erst impfen, dann shrimp-fen.« Über Impfmaßnahmen gegen andere Lebensmittel ist noch nichts bekannt, obgleich sie beispielshalber beim Genuß von fastfood ebenfalls sinnvoll wären. Da sagt es dem Sprachkundigen doch schon die Produktbezeichnung. Food ist englisch und bedeutet Lebensmittel. Fastfood heißt also auf deutsch: fast Lebensmittel.

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Bis 1990 war es in der DDR ein weitverbreiteter Volkssport: Wer etwas auf sich hielt, schrieb »Eingaben« – vorwiegend an den Ministerrat – mit Beschwerden, Anregungen oder gar Protesten.

Wieder daheim finde ich einen Brief meines Freundes Norbert aus Stendal vor. Gelegentlich eines Telefonats mit mir hatte er sich vor einiger Zeit des Eindrucks nicht erwehren können, wir beide seien nicht allein im Draht, beziehungsweise es sei noch ein – vermutlich staatlicher – Leitungskader mit dabei. Als Ureinwohner des Protektorats schrieb er infolgedessen dem alten Brauch folgend eine Beschwerde an die Staatsanwaltschaft Hannover.

Jetzt schickt er mir zur Kenntnis in Kopie die Antwort der hannöverschen Rechtswahrer. Die können den »Verdacht, der Telefonanschluß des bekannten Kaberettisten (sic!) oder andere Telefonanschlüsse würden abgehört, ... nur schwer nachvollziehen«. Überdies weisen sie stolz darauf hin, »daß tatsächliche Abhörmaßnahmen heutzutage technisch auch in der Weise durchgeführt werden, daß dadurch keine Verbindung gestört oder unterbrochen wird«. Wie beruhigend.

Bemerkenswert scheint mir ein anderer Umstand. Zu Beginn des Schreibens steht amtsüblich die Geschäftsnummer – »(bitte stets angeben)« – und darunter wörtlich der Sachverhalt. »Tatvorwurf: Eingabe.«

Keine Sorge: Direkt bestraft wird die Tat einstweilen noch nicht. Aber in die Akte gelangt das Delikt schon ... Willkommen im Club, Norbert! Vom Regen in die BRD? Wie hat es doch Otto Schily am 20.5.04 treffend formuliert: »Die Polizei ist das Rückgrat der neuen Demokratie.«

Erschienen in Ossietzky 15/2004