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Im Juli 2004, nach sechs Jahrzehnten also, vergeht kaum ein Abend ohne Fernseh-Heldengedenken, und am Morgen danach findet sich ein aufständisches Halleluja im FAZ-Leitartikel, mindestens jedoch im Wetterbericht. Etwas verdutzt stelle ich die über lange Zeit geübte Verteidigung der Attentäter ein, denn sie sind als Helden wieder in Dienst genommen worden. Leicht verlegen frage ich: Von einer halben Million Offiziere entschlossen sich zwei bis drei Dutzend acht Jahre lang zum Anschlag auf Hitler, und der ging auch noch daneben. Mal war die Bombe zu kalt, dann zu schwach, oder die Uhr war falsch gestellt. Und keiner der tapferen Militärs riskierte den finalen Rettungsschuß, was die islamischen Mord- und Selbstmordkommandos heute Tag und Nacht zuwege bringen. Den Männern des 20. Juli 1944 gebührt Achtung, denn ihr Widerstand war riskant. Wir müssen nur gerechterweise hinzufügen: 1. Die meisten Widerständler zählten zur Elite der auf Hitler vereidigten Wehrmacht. Ihr Widerstand steht gegen ihre vorhergegangene Kriegsschuld, ohne sie gänzlich auslöschen zu können. Das macht sie als BRD-Statussymbole anfechtbar. 2. Das Attentat vom 20. Juli 1944 erfolgte erst, als die Niederlage sich deutlich abzeichnete. Solange der Sieg erreichbar schien, realisierte sich der Widerstand der Generale nicht in Taten. 3. Der Verweis auf das tödliche Risiko der Offiziere ist relativierbar. Sie riskierten lediglich, was sie vordem von jedem ihrer Soldaten verlangt hatten: zu töten und/oder getötet zu werden. 4. Die Fokussierung auf die Offiziersverschwörung geht in der Bundesrepublik einher mit der Mißachtung und Bagatellisierung anderer, die Widerstand leisteten – oft früher und konsequenter. 5. Die Feiern zum 20. Juli verschweigen, daß in der Bundesrepublik zugleich diejenigen hochgeachtet und hochgeehrt werden, die den Krieg bis zur letzten Minute führten. Im Lessing-Gymnasium Frankfurt am Main wurde 1996 darüber gestritten, ob den Schülern der frühere Lessing-Schüler Carl Heinrich von Stülpnagel als Vorbild dienen könne, der als Hitler-General seinem Oberbefehlshaber diente, andererseits unzweifelhaft zum Widerstand gehörte. Stülpnagels dunkle Seite war unbelichtet. Plötzlich wird breiteren Kreisen bekannt: Der General hat an der Judenvernichtung mindestens als Schreibtischtäter Anteil. Zum Beispiel befahl er, bei »Sabotage ... vornehmlich jüdische Komsomolzen zu erschießen, wenn die Täter nicht feststellbar sind«. Das heißt im Kern: Fehlt zu einer Tat der Täter, muß der junge jüdische Kommunist dafür büßen. Tatsächlich wird erst jetzt wahrgenommen, daß sich viele Widerständler von den bis zuletzt Hitler treu ergebenen Generalen in einem gravierenden Punkte nicht unterschieden: in der Symbiose von mörderischem Antisemitismus und Antibolschewismus. Der Feind war immer der jüdische Rote. Ihn galt es zu vernichten. Heute ist viel von Ehre und Gewissen der Offiziere die Rede, selbst Helmut Kohl orakelt am 9.7.04 in seinem aktuellen Mitteilungsblatt FAZ vom »Vermächtnis des 20. Juli 1944«: »Gerade der Soldateneid bedeutete für viele Verschwörer ursprünglich eine hohe Hürde.« Das ist die typische christbürgerliche Kavalleriesprache. Für Revolutionäre war diese Offizierskaste schon im Kaiserreich überflüssig, ab 1918 nur noch schuldhaftes Relikt. Spätestens nach Hindenburgs Tod 1934 und der staatsstreichartigen Vereidigung der Wehrmacht auf Hitler handelten die reaktivierten Militärs als eine kriminelle Gang zur Welteroberung. Das hätte jeder Offizier wissen können, es wird aber noch im 21. Jahrhundert beschönigt. Die Feiern nach 60 Jahren dienen inzwischen mehr der Geschichtsverdrängung und Realitätsleugnung als der Aufklärung, denn jetzt bemächtigt sich eine Polit- und Militärkaste der verspäteten Hitler-Attentäter, um sich für neue Kriege fitzumachen: »out of area« und was der verbalen Modernismen mehr sind. * Zu den mehr als eine Million Hitler-Gegnern, die nicht bis zum Juli 1944 abwarteten, zählten auch ehemalige Offiziere, die aus dem 1. Weltkrieg gelernt hatten und – welch ein Wunder – zu Linken und Antifaschisten wurden. Gerade lese ich »Briefe aus Moabit – Der Keßler-Prozeß« von Gerhard Holz-Baumert, im Berliner Spotless-Verlag erschienen (wer sonst wagt so gegen die rechte Hauptströmung zu schwimmen). Schon früher äußerte ich mich im Fall Keßler zum Deserteurs-Irrationalismus: Der Wehrmachtssoldat Heinz Keßler, der 1941 bei Kriegsbeginn zur Roten Armee überlief und es in der DDR zum General und Minister brachte, was ihm wegen Mitschuld an den Grenztoten siebeneinhalb Jahre Haft eintrug, dieser Deserteur von 1941 entzog sich damit der Mitschuld an den ca. 50 Millionen Toten des 2. Weltkriegs. Was wiegt nun schwerer: die Verweigerung der Teilhabe am fünfzigmillionenfachen Kriegsmord oder die Teilhabe am Grenztod nach 1945? Und könnten die Grenztoten vielleicht eine Folge der Kriegstoten sein? Vom Standpunkt des totalen Pazifismus tat Keßler 1941 das Richtige, nach 1945 aber das Falsche. Doch wer darf den totalpazifistischen Standpunkt ohne Hybris einnehmen, wer außer Jesus, Buddha, Bertha von Suttner und Gandhi? Endlich: Welcher deutsche Jurist ist berechtigt, im Zweifelsfall des Heinz Keßler den Angeklagten zu verurteilen, gehört er doch als Richter jener Kaste an, die den Krieg, den die Wehrmacht 1941 ohne den Deserteur Keßler weiterbetrieb, nie zu verurteilen wagte, sondern auf vielerlei Weise stützte, selbst noch im Nachhinein? Wird hier nicht mit zweierlei Maß gemessen? Oder wandelte sich der Deserteur Keßler, der die Mittäterschaft am 2. Weltkrieg verweigerte, als DDR-General zum Täter? Wenn ja, wie ist dann die Mittäterschaft jener Soldaten und Generale zu beurteilen, die 1941 sich nicht verweigerten? Das ist nachzulesen in meinem Buch »Krieg im Glashaus oder Der Bundestag als Windmühle« aus dem Jahr 2000. Auf Seite 15 des Spotless-Büchleins steht vermerkt: »Heinz Keßler ist im Augenblick in relativer Freiheit; er muß sich zweimal wöchentlich bei der Polizei melden ...« Keßler desertierte wohl zu früh und zur falschen Seite und ist danach in einer Armee General geworden, die nicht einmal einen Eroberungskrieg führte. So kann er weder als pflichtbewußter bis zum Ende kämpfender Wehrmachtssoldat noch als kurz vor dem Ende gegen Hitler aufständischer Offizier gefeiert werden. Wäre er, statt aus der Wehrmacht zu desertieren, in ihr General geworden und danach zur Bundeswehr gegangen, hätte er sich jede Verurteilung erspart. Der stellvertretende Oberbefehlshaber der 4. Armee, Vincenz Müller, rettete beim Zusammenbruch des Mittelabschnitts seiner Resttruppe das Leben, indem er sie in die Gefangenschaft führte. Diese Entscheidung und seine spätere Rolle in der DDR brachten ihn um allen Ruhm und jedes Fitzelchen Generals-Ehre. Dabei war es eine kleine Yorcksche Tat. Den besiegten Mittelabschnitt lernte ich übrigens als Deserteur und vom August 1944 an als Kriegsgefangener genauer kennen. Vier Jahre lang durfte ich wiederaufbauen, was unsere gloriose Wehrmacht zerstört hatte. In den Zeitungen und Fernsehsendungen nach 60 Jahren Ablagerung entdecke ich heute die schönsten Gruppenfotos der Generalstabsoffiziere vom Mittelabschnitt – lauter aufständische Durchhalteoffiziere, und wer von ihrer Fahne ging und sich erwischen ließ, wurde auf der Stelle ein wenig erschossen. Das von der Roten Armee zurückeroberte Land war geprägt von leichenbestückten Stellungen, in denen Soldaten gehorsam verblödet bis zur letzten Schnapsflasche gekämpft hatten, weil sie an Hitler und seine fleißigen Generäle glaubten, die heute hochgeehrt werden. Ausgenommen Vincenz Müller, der als Nazi gilt, obwohl er schon für 1939/40 »der Militäropposition zuzurechnen war« (»Hitlers militärische Elite«, herausgegeben von Gerd H. Überschär). Müller, am 20. Juli nicht beteiligt, rettete lieber einigen zehntausend Soldaten seiner Truppe das Leben, im Gegensatz zu Paulus, der seine Armee verheizte und in Stalingrad als Privatgefangener behandelt werden wollte. Stalingrad war nur der winterliche Prolog zur Tragödie der Niederlage im Sommer 1944, doch folgte daraus nicht viel mehr als der Versuch eines schwerverwundeten, verstümmelten Offiziers, seinen lange geliebten Führer endlich wegzubomben. Heute schicken die schon zum zweiten Male Geschlagenen ihre Nachkommen erneut über die ihnen gesetzten Grenzen.
Erschienen in Ossietzky 15/2004 |
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