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Niemand widersprach ihm. Und fast unbemerkt blieb, daß auf derselben Innenministerkonferenz unter dem scheinbar plausiblen Stichwort »Zentraldatei« beschlossen wurde, die Trennung von Polizei und Geheimdiensten aufzuheben. Der Grundrechtsabbau in Deutschland geht rapide weiter, aber die öffentliche Debatte konzentriert sich auf Detailfragen. Ein Indiz für diese bedrückende Lage war schon die Reaktion auf die Vorstellung des »Grundrechtereports 2004« durch die frühere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) am 17. Juni in Karlsruhe, also am Ort ihrer erfolgreichen Klage gegen den Großen Lauschangriff. Der »Grundrechtereport«, herausgegeben von der Humanistischen Union und anderen Menschenrechtsorganisationen, dokumentiert alljährlich die Lage der Grundrechte ebenso sachkundig wie ungeschminkt. Das Echo aber war dürftig. Die Frankfurter Rundschau und die taz widmeten dem Ereignis einige Sätze, allein die junge Welt veröffentlichte eine ausführliche Besprechung. Zeigt das ständige Gerede von der islamistischen Bedrohung Wirkung? Sind diejenigen, die an den Grundrechten festhalten wollen, hoffnungslos in der Defensive gegenüber den Sicherheitsfanatikern, denen zwecks angeblicher Terrorismusabwehr jeden Tag neue Eingriffe in Grundrechte einfallen? Normalerweise hätte das sensationelle Verfassungsgerichtsurteil vom 3. März zu einer Renaissance der Bürgerrechtsbewegung führen müssen. Aber wenige Tage später, am 11. März, ereigneten sich die Bombenanschläge von Madrid. Seither beherrschen die law-and-order-Politiker die Szene, wie sich auch bei der Ausgestaltung des Zuwanderungsgesetzes als Sicherheitsgesetz gezeigt hat. Und vergeblich wartet man darauf, daß die einzig richtige Konsequenz aus dem Karlsruher Abhörurteil gezogen wird: Schluß mit dem Einsatz von Wanzen und Richtmikrofonen. Eine »erhebliche« Anzahl der Vorschriften über das elektronische Abhören von Privatwohnungen verletze die Menschenwürde, entschied Karlsruhe. Die Menschenwürde läßt sich nicht konsequent schützen, wenn der Große Lauschangriff nicht ganz abgeschafft wird. Nach dem Urteil ist die Überwachung sofort abzubrechen, wenn in der Wohnung Gespräche mit engen Angehörigen geführt werden und es keine Anhaltspunkte dafür gibt, daß die Angehörigen Tatbeteiligte sind. Auch bei Gesprächen mit Ärzten, Pfarrern oder Strafverteidigern muß das Mithören eingestellt werden, wenn diese nicht tatverdächtig sind, befanden die Richter. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) schimpfte, solche Bedingungen sei weltfremd und unpraktikabel. Statt diesen Ball aufzunehmen und – wenn schon nicht aus Grundüberzeugung, so doch wenigstens aus praktischen Erwägungen – den Lauschangriff abzuschaffen, legte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) einen Referentenentwurf vor, der das Gesetz von 1998 nur geringfügig modifiziert. Dafür mußte sie zu Recht heftige Kritik einstecken. Aber kritisiert wurden nur die Regelungen über die Berufsgeheimnisse, nicht das Ganze. 1998 hatten die Grünen gegen die Einführung des Lauschangriffs gestimmt. Jetzt sind sie selbst in der Regierung. Der Diskussionsverlauf über den Zypries-Entwurf zeigt, daß sie am Ende der Beibehaltung des Lauschangriffs zustimmen werden. Sonst hätten sie prinzipielle, nicht bloß Detailkritik üben müssen. In dem sensiblen Bereich der Berufsgeheimnisse ging Zypries sogar noch über das Gesetz aus der Kohl-Zeit hinaus. Nach ihrem Entwurf soll es künftig erlaubt sein, Rechtsanwälte, Priester, Ärzte und Journalisten mit Wanze und Richtmikrofon zu belauschen. Die Voraussetzung, daß ein »unabweisbares Bedürfnis der Strafverfolgung« vorliegen muß, ist so windelweich formuliert, daß dem Abhören kaum Grenzen gesetzt wären. Denn ein solches Bedürfnis geltend zu machen, wird der Polizei nie schwerfallen, wie wir aus dem Überhandnehmen der Telefonüberwachung wissen (Anstieg in den letzten zehn Jahren von 4000 auf 24 000 Fälle jährlich). Hans Christian Ströbele und Reinhard Bütikofer distanzierten sich namens der Grünen, aber eben nur von diesen Detailregelungen. SPD-Chef Franz Müntefering riet daraufhin seiner Fraktion, diesem Entwurf nicht zuzustimmen. Das heißt aber: Einem veränderten Entwurf wird die SPD zustimmen. Die Debatte wurde hauptsächlich von den Berufsverbänden geführt. Für die Ärzteschaft erklärte Rainer Rix, stellvertretender Bundesvorsitzender des Virchow-Bundes: »Frau Zypries hat den konstruktiven Geist des Karlsruher Urteils nicht verstanden, wenn sie das Abhören in Arztpraxen jetzt wieder möglich macht.« Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des Marburger Bundes, Frank Ulrich Montgomery: »Wir werden es nicht zulassen, daß Schnüffler das Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Arzt untergraben.« Der Deutsche Journalisten-Verband sprach vom »tiefsten und schlimmsten Eingriff in die Pressefreiheit seit der Spiegel-Affäre im Jahr 1962«. Auch der Deutsche Anwaltsverein lehnte die Pläne kategorisch ab. Der Bundesverband der Freien Berufe stellte klar: »Ärzte, Psychologen, Rechtsanwälte und Journalisten Abhörmaßnahmen bei der Wohnraumüberwachung auszusetzen, unterminiert das Vertrauensverhältnis dieser Berufsvertreter zu ihren Patienten und Mandanten.« Auch die Katholische Kirche schaltete sich in die Debatte ein. Der Generalvikar des Bistums Görlitz, Hubertus Zomack, kritisierte die Pläne als einen Versuch, in die Beichtstühle zu blicken. Eine Verschärfung des Lauschangriffs führe in einen Konflikt mit dem Kirchenrecht, nach dem die Priester über Inhalte einer Beichte oder eines Beichtgespräches zu absolutem Stillschweigen verpflichtet sind. Diese gemeinsame Front der vom Lauschangriff bedrohten Berufe war beeindruckend, aber sie war eben nicht von einer breiten Bürgerrechtsbewegung getragen. Ministerin Zypries wird jetzt gezwungen sein, diejenigen Details neu zu formulieren, die Anwälte, Ärzte, Journalisten und andere »Berufsgeheimnisträger« betreffen. Wer nicht zu diesem erlauchten Kreis gehört, muß weiterhin mit der Wanze rechnen. »Die Wohnung ist unverletzlich« (Art. 13 GG) – von wegen. Eine fundamentale Opposition gegen den Großen Lauschangriff wäre um so dringender geboten, als im Windschatten der zitierten Debatte die Innenministerkonferenz in Kiel weitreichende Entscheidungen getroffen hat, deren Bedeutung für einen weiteren Grundrechtsabbau in der Öffentlichkeit bisher kaum erfaßt worden ist. Die Medien stellten sie hauptsächlich als eine Organisationsreform dar. Schily hatte im Vorfeld verlangt, die Verfassungsschutzämter der Länder in das Bundesamt für Verfassungsschutz einzugliedern. Damit stieß er selbstverständlich auf den Widerstand der Länder, die nicht bereit sind, Kompetenzen abzugeben. Dieser vordergründige Konflikt wurde in der Presse thematisiert. Dabei ging unter, daß sich die Innenminister sofort darüber einig waren, ein gemeinsames Analyse- und Lagezentrum der Geheimdienste und des Bundeskriminalamts einzurichten. Das verfassungsrechtliche Prinzip der Trennung von Polizei und Geheimdiensten gilt als lästiges Relikt aus vergangenen Zeiten, als Hindernis für eine neue »Sicherheitsarchitektur«. Als Begründung muß wieder einmal die angebliche terroristische Bedrohung herhalten. In einer zentralen »Islamistendatei« sollen künftig alle »Erkenntnisse« von Polizeien und Geheimdiensten des Bundes und der Länder gesammelt werden. Alle beteiligten Behörden haben dann auch Zugriff auf diese Daten. Die Polizei kann sich also künftig die Mühe sparen, für Telefonüberwachungen von »Islamisten« und für den Großen Lauschangriff richterliche Genehmigungen einzuholen, da sie ja ohnehin Zugriff auf die »Erkenntnisse« der Geheimdienste bekommt, die in großem Umfang Lauschaktionen durchführen dürfen. Der neue Datenschutzbeauftragte des Bundes, Peter Schaar, mahnte in der Diskussion über die Zentraldatei nur die Beachtung einiger Grundsätze an und verzichtete leider ebenfalls auf prinzipielle Kritik. Wie wichtig sie wäre, wird aus einem Artikel im Focus vom 19. Juli 2004 deutlich. Da rühmt sich der Freistaat Bayern, schon jetzt ohne Trennung von Polizei und Verfassungsschutz Daten zu sammeln, und empfiehlt sich als Vorbild für den Bund. Zwölf Millionen Datensätze von »organisierten Kriminellen und Terrorverdächtigen« wurden angesammelt. Der Focus berichtet: » Zu jedem Zeitpunkt wissen die Fahnder, wo sich Verdächtige aufhalten, sie kennen ihre Treffpunkte, können live jedes ihrer Telefonate mithören, den Internet-Verkehr verfolgen. Sie wissen, in wessen Auto er fährt, wofür er eine Kreditkarte einsetzt oder einen Scheck einreicht. Sie verknüpfen Vernehmungsprotokolle oder Angaben bei der Ausländerbehörde.« Bayern habe das beste System der Welt, besser als CIA und FBI. Wie kaltschnäuzig das Trennungsprinzip – eine historische Konsequenz aus den Erfahren mit der Geheimen Staatspolizei der Nazis – heute mißachtet wird, erfährt der Leser so: »Bislang ist es verboten, Geheimdienst- mit Polizeierkenntnissen in einer Datenbank zu vermischen. In der Praxis werden die Daten jedoch schon heute ausgetauscht. Informell. Der Chef der Terrorfahndung im bayerischen LKA, Gerhard Zintl, telefoniert jeden zweiten Tag mit seinem Kollegen vom Geheimdienst.« Man darf annehmen, daß es in anderen Bundesländern ähnlich zugeht. Im November will die Innenministerkonferenz endgültig beschließen, diese Praxis bundesweit durchzusetzen. Die Parlamente sollen anschließend die verbotene Vermischung von Geheimdienst und Polizei legalisieren.
Erschienen in Ossietzky 15/2004 |
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