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Hildesheim, 28. Juni 2004, 18 Uhr: Die Polizei erscheint unangekündigt bei Familie Ujkanovic, muslimischen Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem Sandzak. Der Auftrag der Beamten: sofortige Inhaftnahme der Familie zwecks »Gefahrenabwehr«. Die gesetzliche Grundlage: das Niedersächsische Sicherheits- und Ordnungsgesetz (NSOG). Der Haftbeschluß des Amtsgerichts erläutert, worin die abzuwehrende Gefahr besteht: Die ausländerrechtliche Duldung der Familie sei erloschen. Kimeta Ujkanovic und ihr Sohn Ekrem werden über Nacht in Polizeihaft genommen. Die 16-jährige Tochter Meliha ist nicht zu Hause. Nachdem die Beamten um fünf Uhr morgens noch einmal vergeblich die Wohnung nach ihr durchsucht haben, werden Mutter und Sohn allein zum Flughafen gebracht. In letzter Minute gelingt es, Kimeta Ujkanovic vor der Abschiebung zu bewahren. Der vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat benachrichtigte Arzt attestiert ihr, daß die der muslimischen Minderheit angehörende Serbin durch Kriegserlebnisse und die Verschleppung ihres Mannes schwer traumatisiert ist und sich in psychiatrischer Behandlung befindet. Die Abschiebung der Frau wird daraufhin abgebrochen, nicht aber die ihres Sohnes: Der gerade 18 Jahre alt gewordene Ekrem wird – zwei Wochen vor seinem Schulabschluß –allein nach Belgrad abgeschoben. In das Land, aus dem er im Alter von neun Jahren mit seiner Mutter floh, nachdem der Vater vermutlich ermordet worden war. An diesem Abschiebungsfall ist vieles skandalös: das rechtswidrige Versäumnis einer Abschiebungsankündigung; die überfallartige Abschiebungsaktion, nachdem die Ausländerbehörde die kranke Frau in Sicherheit gewiegt hatte (»Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Ujkanovic, wir werden mit Ihnen im Kontakt bleiben«); der an polizeistaatliche Methoden erinnernde Inhaftierungsbeschluß ohne Anhörung der Familie und ohne Informierung ihres Anwalts. Am meisten schockiert auch erfahrene Flüchtlingshelfer die kaltschnäuzige Entschlossenheit der Ausländerbehörde, die im Bürgerkrieg leidgeprüfte Familie durch die Abschiebung auseinanderzureißen. Der Fall der Familie Ujkanovic ist symptomatisch. Je weniger Flüchtlinge im Bundesgebiet Asyl beantragen – die Zahl der Asylsuchenden war im vergangenen Jahr so niedrig wie seit 20 Jahren nicht mehr –, desto gnadenloser scheinen Abschiebungen vollzogen zu werden. In Sachsenheim (Kreis Ludwigsburg) wurde Mitte Januar 2004 Frau Duraku mit ihren beiden älteren Kindern ohne ihren Mann und ihre beiden jüngsten Kinder – neun Monate und zwei Jahre alt – nach zwölfjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet abgeschoben. Die Kleinkinder kamen zunächst in ein Kinderheim, dann zu einer Verwandten. Der Vater befand sich in der Psychiatrie. Das Regierungspräsidium Stuttgart teilte mit, daß der Schutz der Familie einen hohen Stellenwert habe, worauf aber bedauerlicherweise nicht immer Rücksicht genommen werden könne. Am 18. Februar um 22 Uhr stürmten 10 bis 15 Polizeibeamte die Wohnung der Familie Shala im Kreis Döbeln in Sachsen. Die 18 und 19 Jahre alten Söhne waren abwesend. Frau Shala wurde aus dem Haus geführt, die 18-jährige Tochter von Polizisten hinausgetragen. Herr Shala hätte wegen eines anhängigen Verwaltungsgerichtsverfahrens vorläufig bleiben dürfen, wollte sich aber nicht von seiner Familie trennen lassen. Er wurde in Handschellen gelegt und so grob behandelt, daß er mit Prellungen und einem gebrochenen Arm ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte. Seine Frau erlitt einen Nervenzusammenbruch und wurde in ein anderes Krankenhaus gebracht. Daraufhin entschieden die Behörden, die Tochter allein abzuschieben. Nach den Söhnen wird gefahndet. Die drei minderjährigen Schulkinder Baran, Berif und Leyla Koyun blieben, weil unauffindbar, am 6. Mai in Usingen (Hochtaunuskreis) allein zurück, als die Eltern nach zehnjährigem Aufenthalt in Deutschland abgeschoben wurden. Der Sprecher der Kreisverwaltung verteidigte dies so: »Nicht die Behörden haben die Familie getrennt, sondern die Eltern. Was sind das für Eltern, die ihre Kinder in einem fremden Land zurücklassen?« Unter dem Druck der Behörden unterschrieben die Kinder schließlich eine Bereitschaftserklärung, Deutschland »freiwillig« zu verlassen. Der Aufenthaltsort der Eltern ist jedoch nicht bekannt. Wie sich die Ausländerbehörde in dieser Lage verhalten wird, ist noch unklar. Es geschieht häufig, daß die Ausländerbehörden an der empfindlichen Stelle des familiären Zusammengehörigkeitsgefühls ansetzen, um über den unmittelbar zur Ausreise Verpflichteten indirekt Familienangehörige zu einer »freiwilligen« Ausreise zu bewegen. Üblicherweise wird dann die Verantwortung für die Folgen behördlichen Handelns den Opfern aufgebürdet. Regelmäßig machen die Behörden geltend, daß ihr Handeln rechtlich zwingend geboten war – eine offenkundige Schutzbehauptung: Zwar läßt das restriktive deutsche Ausländerrecht die Trennung von Familienangehörigen unter bestimmten Umständen zu. Doch angesichts des hohen Schutzes, den Ehe und Familie in Deutschland und international genießen (Artikel 6 Grundgesetz, Artikel 8 Europäische Menschenrechtskonvention, Artikel 12 und 16 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte), haben die Ausländerbehörden einen Ermessensspielraum. Laut Asylverfahrensgesetz kann eine Abschiebung beispielsweise ausgesetzt werden, um den Ausgang der Asylverfahren aller Familienangehörigen abzuwarten. Behörden verstoßen gegen das Kinder- und Jugendhilfegesetz sowie die Kinderrechtskonvention, wenn sie Eltern mit Gewalt von ihren Kindern trennen und ohne sie abschieben, während sie die Kinder in einem Heim unterbringen. Welche Anmaßung steckt in der überfallartigen Festnahme und Mißhandlung von Menschen, die zehn und mehr Jahre mit uns zusammengelebt haben. Das im deutschen Familienrecht oft zitierte »Wohl des Kindes« wird auch dann mit Füßen getreten, wenn Jugendliche aus ihrer faktischen Heimat Deutschland allein in ein Land abgeschoben werden, das sie kaum kennen und dessen Sprache sie mitunter nicht sprechen. All das dürfte eigentlich nicht im lautlosen Dienstbetrieb der Behörden untergehen, sondern müßte öffentlich diskutiert werden. Doch in der Bundesrepublik Deutschland wird es immer schwieriger, Grund- und Menschenrechtsverletzungen publik zu machen. Im Fall der Familie Ujkanovic hielt es die örtliche Presse – von der überregionalen ganz zu schweigen – nicht für angebracht, ihn überhaupt nur zu erwähnen. Lediglich die Landtagsgrünen empörten sich über den rechtswidrigen Einsatz niedersächsischer Polizei gegen traumatisierte Flüchtlinge und sprachen – auch dies ohne wahrnehmbare Presseresonanz – von einer »Kriminalisierung mit Mitteln der polizeilichen Gefahrenabwehr«. So wurde der Fall schnell zu den Akten gelegt. »Eine Dienstpflichtverletzung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Ausländerstelle konnte ich nicht feststellen«, lautete die lapidare Antwort des Hildesheimer Oberstadtdirektors auf eine Dienstaufsichtsbeschwerde des Flüchtlingsrats. Es hilft jedoch wenig, nur über die »Tchiboisierung« der Tageszeitungen zu klagen, deren Verlage unter Hinweis auf ihre Finanzkrise den Redaktionen immer weniger Mittel und Zeit für journalistische Recherchen lassen – mit der Folge, daß die Tendenz zur Hofberichterstattung zunimmt. Noch gibt es Journalisten, die ihren Beruf ernst nehmen und sich ihrer Verantwortung gegenüber einer demokratischen Öffentlichkeit bewußt sind. Entscheidend ist, wie weit es gelingt, Solidarität in der Nachbar- und Bürgerschaft mit den Opfern der deutschen Flüchtlingspolitik zu organisieren. An hehren Bekenntnissen aller Parteien zu Ehe und Familie fehlt es nicht. Darum sollte es möglich sein, eine immer brutalere Abschiebungspolitik, die auch vor Familientrennungen nicht zurückschreckt, zum öffentlichen Problem zu machen.
Erschienen in Ossietzky 15/2004 |
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