Unter Mitarbeitern der Weltorganisation galt die Uno-Übergangsverwaltung im Kosovo (UNMIK) bislang als "Fünf-Sterne-Mission". Der Grund: wenig Arbeit, stabile Sicherheitslage sowie ausreichend Restaurants und Bars mit westlichen Standards, um die hohen Gehälter nach dem frühen Feierabend auf den Kopf zu hauen. Kurzum: Wer es schaffte, einen der rund 10.000 Jobs in der internationalen Administration des Kosovo zu ergattern, konnte sich des Neids der Kollegen im Kongo, in Liberia oder Afghanistan sicher sein. Das scheint sich nun bald ändern zu können: Das Kosovo gerät erneut zum Krisenort.
Diese Zeiten dürften nach den gewaltsamen Ausschreitungen Mitte März vorbei sein. Denn neben Angehörigen der serbischen und anderer Minderheiten in dem Protektorat waren UNMIK-Fahrzeuge und -Gebäude das Hauptziel der kosovo-albanischen Angreifer. Mehr als 60 der weiß leuchtenden UN-Jeeps mit den roten Streifen, die von Einheimischen spöttisch als "Coca-Cola-Dosen" bezeichnet werden, gingen in Flammen auf. Hundert UNMIK-Polizisten wurden verletzt. Die Krawalle trafen das Führungspersonal in Pristina völlig unvorbereitet. Weder lag ein ausgearbeiteter Evakuierungsplan für das Personal im Hauptquartier vor, noch konnten die lokalen Dependancen für die Sicherheit ihrer eigenen Mitarbeiter garantieren.
Mit den tödlichen Schüssen auf einen ghanaischen UNMIK-Polizisten Ende März wurde zudem eine neue Eskalationsstufe erreicht. Zwar behaupten Sprecher der Weltorganisation weiterhin, dass kein Zusammenhang zwischen der antiserbischen Anschlagswelle und dem Angriff, bei dem auch ein kosovo-albanischer Polizeibeamter ums Leben kam, erkennbar sei. Doch intern gilt seitdem eine andere Sprachregelung: So erhielten sämtliche Angestellte der UNMIK-Zentrale am Tag nach dem Anschlag per Email die Aufforderung, ihren Arbeitsplatz vorzeitig zu verlassen, um nicht ins Visier militanter Demonstranten zu geraten. Bis heute gelten für alle UNMIK-Mitarbeiter erhöhte Sicherheitsvorkehrungen.
Das Ziel der randalierenden Demonstranten und ihrer politischen Hintermänner ist klar: Der als Besatzungsmacht empfundenen Uno-Verwaltung soll das Regieren des Protektorats Kosovo so schwierig wie möglich gemacht - und ihre Führung letztlich zur Annahme der Maximalforderungen gezwungen werden. Neben der Unabhängigkeit der völkerrechtlich weiterhin zu Serbien-Montenegro gehörenden Provinz steht da an erster Stelle die Schaffung von Arbeitsplätzen. Zumindest das scheint Protektoratschef Harri Holkeri verstanden zu haben: Die für die Privatisierung bislang staatlicher Betriebe zuständige UNMIK-Funktionärin Marie Fucci wurde Mitte April entlassen, was die Krawallmacher aufs Erste zufrieden gestellt haben dürfte. Denn die als proserbisch geltende, offenbar in zahlreiche Korruptionsaffären verwickelte US-Amerikanerin steht seit Monaten unter Beschuss jener Kräfte, die hinter den Ausschreitungen vermutet werden.
Es sind vor allem Angehörige der aus Exkämpfern der Befreiungsarmee UCK zusammengesetzten Veteranenverbände, die offen drohen, die Holkeri-Behörde müsse "sich in Acht nehmen", sollte sie es wagen, weiter gegen die Interessen der Mehrheit der kosovo-albanischen Bevölkerung zu verstoßen. Das Gefährliche daran ist: Die Verbindungen der früheren Kombattanten reichen bis ins obere politische Establishment. Neben Ex-UCK-Chef Hashim Thaci, der heute der Demokratischen Partei des Kosovo (PDK) vorsitzt, gilt vor allem der Chef des Kosovo Protection Corps (KPC), Agim Ceku, als Protegé frustrierter Altkader, die nicht in das nach dem Krieg 1999 als Katastrophenschutzorganisation aufgebaute Korps übernommen wurden. Cekus Warnung an die UNMIK ist deutlich: Sollten Führungskader der KPC verhaftet werden, sei mit neuen Protesten zu rechnen.
Der EU-Repräsentant für Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, zeigte sich so verärgert über die mangelnde Kritikfähigkeit der kosovo-albanischen Führungsriege bezüglich der von Nato-Offiziellen als "ethnische Säuberungen" bezeichneten Unruhen, dass er am fünften Jahrestag des Nato-Kriegsbeginns gegen Jugoslawien einen Besuch im Parlament von Pristina vorzeitig abbrach. An Stärke gewonnen hat die EU dadurch nicht: Denn dass die voriges Jahr aus dem Boden gestampfte UNMIK-Formel "Standards vor Status", die die Erfüllung demokratischer und marktwirtschaftlicher Normen vor einer Diskussion über die Statusfrage vorsieht, ausgedient hat, räumen Diplomaten spätestens seit der internen Schießerei in einem von der UNMIK bewachten Gefängnis in Mitrovica Mitte April offen ein.
Eines haben die kosovo-albanischen Demonstranten und politischen Führer hinlänglich deutlich gemacht: Nach fünf Jahren internationaler Verwaltung sind die rund zwei Millionen Einwohner des Uno-Protektorats nicht länger bereit, Verzögerungen beim Beschluss über den endgültigen Status der Provinz hinzunehmen. Mit der Übernahme der Taktik militanter Islamisten im Irak, die die US-geführte Protektoratsverwaltung mit ihren Anschlägen politisch in die Enge drängen, haben nun auch im Kosovo Ex-Guerillakrieger die Machtfrage gestellt. Im Unterschied zu 1996, als die UCK mit Anschlägen auf serbische Polizeistationen zum ersten Mal öffentlich auftrat, dürften jedoch künftig vermehrt Gebäude, Fahrzeuge und Personal der internationalen Polizei zur Zielscheibe werden. Und selbst wenn es in den nächsten Monaten zu keinen weiteren Ausschreitungen kommt, werden sich die in vielen Fällen zu Lokalpolitikern mutierten Ex-UCK-Kombattanten diese Option offen halten, um ihr eigentliches Ziel zu erreichen: die endgültige Loslösung des Kosovo von Belgrad.
Markus Bickel ist freier Journalist in Sarajewo.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift informationszentrum 3. welt - iz3w, Nr. 277.