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wahlkampfplakate haben große münder wie kloaken aus ihnen eruptiert rhythmisch vanillesoße auf die arbeitslosen
die bildschirme sind zugeschneit mit ausgehöhlten vokabeln der meinungszuhälter
im bundestag hängt rosige götterspeise in stalagtiten herunter der adler legt ein ei aus größenwahn
ein politiker joggt als chamäleon vorbei
die augendiebe und wortganoven überschreiten die schamgrenze Dieter P. Meier-Lenz Unser Autor hat den Literaturpreis »Das politische Gedicht« 2004 erhalten.
Jeremiade in kratzigen ZeitenDie Staatskasse ist leer: Kein Geld für Soziales, kein Geld für Kultur, nicht für Bildung, Forschung, Gesundheitswesen… Post und Bahn wurden privatisiert, in vielen Städten auch Wasserversorgung, Müllabfuhr, Kanalisation, Nahverkehrswesen. Deswegen gibt es den Briefkasten an der Ecke nicht mehr, und der Postzusteller kommt statt um neun Uhr erst um zwei. Deswegen wird bei der Wartung von Zügen geschlampt, und daß die deutsche Bahn die pünktlichste der Welt sei, behauptet nicht einmal sie selber mehr. Meine direkte Straßenbahnverbindung zum Hauptbahnhof wurde kürzlich eingestellt, die Fahrt dauert jetzt länger und wurde zugleich teurer. Die Abgaben für Wasser und Müllentsorgung steigen und steigen. Die Kanalisation einiger Großstädte wurde über Briefkastenfirmen auf den Kaiman-Inseln an Geldanlage-Fonds in den USA verkauft und anschließend von den deutschen Kommunen zurückgeleast – Bereicherung durch Steuermanipulation. Die von hochbezahlten städtischen Beamten zu diesem Zweck abgeschlossenen Verträge sind eine juristische Katastrophe. Für den Schaden werden die Bürger mit weiter wachsenden Abwassergebühren aufkommen müssen. In meinem Portemonnaie kratzt es, und das hat noch viel mehr Gründe. Zum Beispiel schließt die Sparkasse die in meiner Nähe gelegene Zweigstelle, die sie in letzter Zeit zweimal aufwendig umbauen ließ, und erhöht nun die Gebühren. Ein Brötchen, das noch vor wenigen Jahren für 20 Pfennig zu haben war, kostet jetzt 25 Cent; der Hausbesitzer, der zwei Häuser geerbt hat, erhöht alle drei Jahre die Miete; die zu erwartende Altersversorgung hat sich innerhalb weniger Jahre um mehrere hundert Euro verringert. Währenddessen genießen Scharen von Edelrentnern vorzeitige Staatspensionen; Abfindungen an unfähige oder korrupte Manager belaufen sich auf zig Millionen Euro; die großen Firmen zahlen kaum Steuern. Und die Weltpolitik? Sie kratzt jeden Morgen an meiner Laune, wenn ich die Radio-Nachrichten höre: Bomben statt Diplomatie, Angriffskriege, Selbstmord-anschläge, Tote über Tote. Was die Supermächte und ihre Marionettenregierungen falsch gemacht haben, wird mit ungeheurer Gewalt noch falscher gemacht. Millionen mästen sich auf Kos-ten von Milliarden, die immer weiter ins globale Abseits geraten. Habgier und Egoismus, wohin man schaut. Früher war zwar nicht alles besser – wie manchmal gesagt wird –, aber heute ist vieles schlechter als früher. Obwohl vieles besser sein könnte. Was mich übrigens in letzter Zeit am meisten ärgert – und ich glaube, da bin ich nicht der einzige –, sind die kratzigen Etiketts, die praxisferne Designer hinten in meine Hemden und sogar in die Pyjamas hineinnähen lassen. Quälend. Womöglich ist das der tiefere Grund, weswegen ich diese Glosse geschrieben habe. Sie hat mich psychisch entlastet. Wolfgang Bittner
AbkanzeleienÜber die deutschen Gewerkschaften ist ein strenges Schimpfgericht gekommen. Der Bundeskanzler warf Gewerkschaftsvorständlern, die sich regierungskritisch äußerten, »Realitätsverlust« vor. Prompt kam ihm der CDU-Scharfmacher Friedrich Merz zur Hilfe und schlug ein Bündnis der Bundestagsparteien vor, um auf gesetzgeberische Weise dem tarifpolitischen Einfluß der Gewerkschaften ein Ende zu machen; schließlich habe Gerhard Schröder selbst schon einmal eine solche Möglichkeit angedeutet. Der grüne Parteivorsitzende Reinhard Bütikofer erklärte, ver.di-Chef Frank Bsirske (selbst ein Grüner) handele »verantwortungslos«, wenn er die Agenda der Bundesregierung nicht akzeptiere. Die Auchnochvorsitzende Angelika Beer stellte an Bsirske die rhetorische Frage, ob er »denn überhaupt noch Interessen der Arbeitnehmer« vertrete. Und aus dem Kanzleramt wurde eine vertrauliche Mitteilung kolportiert, daß nun »die Zeit der Rotweinrunden mit den DGB-Leuten vorbei« sei. Im Spiegel gab Gerhard Schröder den Gewerkschaften darüber hinaus den Rat, »Leute, die inhaltlich nichts anzubieten haben, wie Herr Bsirske«, aus ihren Ämtern zu entfernen. Ihr aller Vorgesetzter Michael Rogowski (Bundesverband der Deutschen Industrie) steuerte bei Chris-tiansen gleich den orientierenden Hinweis bei, am besten ginge es ganz ohne Gewerkschaften. Die Schärfe solcher Abmahnungen ist verwunderlich, denn fast alle Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften und des DGB beteuern nach wie vor ihr loyales Verhältnis zur Bundesregierung und auch, daß sie mit einer neuen linken Partei nichts im Sinne hätten. Nur einige Korrekturen am sozialpolitischen Kurs von Schröder und Clement seien doch bitte zuzugestehen. Bei den Mitgliedern und bei vielen ehren- und hauptamtlichen Funktionären an der Basis herrscht eine andere Stimmung. Überwiegend setzt man hier in die rot-grüne Regierungspolitik kein Vertrauen mehr. Das Abkanzeln der Gewerkschaftsspitzen durch die Repräsentanten der Parteien dient offenbar dem Zweck, die Vorstandsbüros in Angst zu versetzen, damit diese routiniert den Zorn in den eigenen Organisationen ins Leere laufen lassen. Einige SPD-PolitikerInnen gaben ihren Wechsel von der Gewerkschaft ver.di zur obrigkeitsfreundlicheren IG Bergbau-Chemie-Energie bekannt. Wahrscheinlich wollen sie, wenn es für sie keine Mandate mehr gibt, unter Tage fahren. Marja Winken
Sprachkritik, GesellschaftskritikEs ist nichts Neues, daß Angriffs- und Eroberungskriege zu Verteidigungskriegen umgelogen werden. Als Missionierung und Bekehrung hat sich schon manche Schlächterei getarnt. Oder als Pazifizierung. Von einer friedenschaffenden Maßnahme spricht man heute, wenn man den Einmarsch eigener Truppen in ein fremdes Land meint. Es gibt viele Falschwörter dieser Art, immer neue, und ihre Wirkung steigert sich durch die Allgegenwart der Medien ins Riesige. Stoff genug also für »Das Falschwörterbuch«, das der Theaterkritiker, Theaterleiter und Theaterprofessor Ivan Nagel jetzt vorgelegt hat. Seine Sprachkritik wird darin zur Gesellschafts-, ja Kulturkritik. Das »Parlamentsbeteiligungsgesetz«, das jetzt in Berlin vorbereitet wird, regelt nicht etwa, wie künftig die Abgeordneten sich selbst in die Flieger und Panzer setzen mit Kommandant Struck an der Spitze, sondern wie die Bundesregierung ohne vorherigen Beschluß des Bundestags Truppen entsendet; es geht also um die Selbstausschaltung des Parlaments. Gerade die letzen Jahre haben uns viele solche Wortverdrehungen beschert. Wenn 200 000 Soldaten an den Grenzen des Irak stehen, heißt das »Drohkulisse«, und das Ziel ist der »Weltfrieden«. Man meint Öl und redet von »Sicherheit«. Imperiale Aggression wird als »Entwaffnung« des Gegners bezeichnet; man will ihm Waffen nehmen, die er gar nicht hat. Um den Gegner, der auf dem Öl sitzt, propagandistisch niederzumachen, greift man ins Theologisch-Metaphysische: »Achse des Bösen«, »Schurkenstaaten« – Nagel hat all das offengelegt und trefflich analysiert. Man muß schon Angst bekommen, wenn das Wort Reform fällt. Hinter jeder Sozialreform verbirgt sich entschiedener Sozialabbau. Mit Nagel darf man auch fragen: »Wieso heißen die Indu-strie und Handelsverbände im Mediendeutsch stets ›die Wirtschaft‹ und ihre gesammelten Interessen ›der Markt‹«? Eine andere Sprachblüte – als Ausdruck sozialer Deformation – ist »Senkung der Lohnnebenkosten«. Was da gesenkt wird, sind die Versicherungsleistungen, von denen wir in Alter und Krankheit leben können oder müssen. Schlimmste Heuchelei liegt in dem Begriffspaar »Arbeitgeber« und »Arbeitnehmer«, dies sind die »beiden Ur-Falschwörter der deutschen Wirtschaftslehre«. Nagel verrät uns ihre Herkunft. Nein, sie stammen nicht aus der Adenauerzeit, als man Klassenkämpfe damit vernebeln wollte. Das Wortpaar ward nach den gescheiterten Weber-Aufständen von 1844 erfunden, später in Bismarcks Sozialgesetze übernommen und schon von Friedrich Engels aufgespießt: »Mit Recht würden die Franzosen den Ökonomen für verrückt halten, der den Kapitalisten donneur de travail, den Arbeiter receveur de travail nennen wollte.« Es ist mit Geben und Nehmen eben genau umgekehrt. Jochanan Trilse-Finkelstein Ivan Nagel: »Das Falschwörterbuch«, Berlin Taschenbuch Verlag, 7.50 €
BildungsgeneEine anthropologische Sensation ist zu vermelden: Bernhard Lorenz, Jurist bei der Frankfurter Allianz Versicherungs AG, Fraktionsvorsitzender der CDU im Wiesbadener Stadtparlament und Mitglied im Ausschuß für Schule und Kultur, hat bisher unbekannte menschliche Gene entdeckt. Lorenz ist anscheinend überzeugt, daß jedes Neugeborene mit bestimmten Bildungsgenen auf die Welt kommt. Daraus kann seine Partei das dreigliedrige Schulsystem Deutschlands auf natürliche Weise ableiten. Lorenz versteht zwar zugegebenermaßen nicht den Sinn einer Integrierten Gesamtschule. Als Demokrat, der er sei, habe er dennoch nichts gegen deren Existenz, sagt er. Nur wenn man Kinder schon widernatürlich gleich macht, dann bitte drittelparitätisch solche mit Hauptschul-, Realschul- und Gymnasialgenen. Seit Jahren fehlen in der hessischen Hauptstadt Gesamtschulplätze. Jedes Jahr müssen weit über hundert Kinder abgewiesen und ins traditionelle Schulsystem gesteckt werden. Der im Schulgesetz verankerte Elternwille wird von der Mehrheit aus CDU, FDP und Republikanern mißachtet. Die seit gut zwei Jahren fällige Fortschreibung des Schulentwicklungsplanes wird verhindert, weil Integrierte Gesamtschulen nicht ins ideologische Konzept der CDU passen. »Wir von der CDU sind überhaupt nicht gegen Integrierte Gesamtschulen«, hört die Öffentlichkeit in jeder Sitzung des Schul- und Kulturausschusses. Aber eine weitere IGS in der Innenstadt könne nicht eingerichtet werden, weil die Stadt kein Geld für einen Schulneubau habe, verkündet die Vorsitzende Rose-Lore Scholz (CDU). Und der Entdecker der Bildungsgene, Lorenz, ruft jovial in die Runde: »Finden Sie eine Schule, die IGS werden will, und finden Sie die (passenden) Kinder dafür.« Daß die Stadt kein Geld hat, liegt daran, daß sie nicht genügend einnimmt. Unter der Regierung der CDU wurde nämlich die Gewerbesteuer abgeschafft. Den Armen wird genommen und den Reichen gegeben. Der Neubau einer Schule ist aber nicht notwendig. Drei Schulen bekundeten ihre Bereitschaft, sich in eine IGS umzuwandeln. Doch der Gustav-Strese-mann-Schule im Wiesbadener Stadtteil Mainz-Kastell wurde das von CDU und FDP ausgeredet. Das Kollegium der Gerhart-Hauptmann-Realschule wurde von dem Schulaufsichtsbeamten Hans-Peter Thurn (CDU) »überzeugt«, daß dies ein Schritt in die falsche Richtung wäre. Die Schulleitung der Heinrich-von-Kleist-Schule, vom Kollegium zu Verhandlungen mit dem Städtischen Schulamt über eine Umwandlung in eine IGS ermächtigt, wurde flugs ins Hessische Kultusministerium bestellt und dort »umorientiert«. Das alles sei »offen gelaufen« und »kein Hexenwerk«, so Lorenz in der jüngsten Ausschußsitzung vom 24. Juni. Der Elternwille schert ihn nicht, denn, so ein stets wiederholtes Argument der CDU, eine IGS muß zu jeweils einem Drittel aus Schülern bestehen, die eigentlich auf die Hauptschule, die Realschule und aufs Gymnasium gehören. Die Mehrheit der abgewiesenen 131 Schülerinnen und Schüler sei aber nur hauptschultauglich, behauptet Lorenz, obwohl er das gar nicht wissen kann, denn wer sich für eine IGS bewirbt, bekommt von den Grundschullehrern keine Schulformempfehlung. In der Lorenzschen Bildungsgenetik und dem dreigliedrigen Schulwesen spiegelt sich unsere Gesellschaft. Da gibt es für jeden einen vorherbestimmten Platz, auf den er gehört. Versicherungsjuristen gehören natürlich nach oben. Thomas Eilers
Menschenfreundlicher DraculaNeun originelle und phantastische »Grusel-Grausel-Geschichten« offeriert uns Klaus Möckel in seinem neuen Buch »Ein Hund mit Namen Dracula«. Der Autor hat seine Geschichten so fein, einfallsreich und kauzig zusammengesponnen, daß sein Publikum sich gruseln, aber auch lächeln kann. Der kokette Gebrauchshinweis des Verlags lautet: »Für kluge Leser ab 9«. Aber auch sehr junge Literaturkonsumenten können nach der »Dracula«-Bettlektüre getrost die Nachttischlampe ausschalten. Denn zwar geschieht hier streckenweise Grausliges, doch ohne modischen Horror. Beispielsweise der Hund namens Dracula in der Titelgeschichte führt seinen Namen nach dem Willen des Verfassers lediglich, um kriminellen Schülern ein bißchen Angst einzujagen – also aus moralischen Gründen. Als Dracula hechelnd, aber zunächst unsichtbar, die Stube eines gewissen Steffen betrat, lief es dem eiskalt den Rücken herunter, denn plötzlich zeigte sich auch jemand am Küchenfenster: »Radieschen, ein schwächlicher Junge aus der fünften Klasse. Er gehörte zu den vier oder fünf, bei denen Pauke und Steffen regelmäßig abkassierten. Drei Euro mußte er jeden Montag zahlen, damit sie ihn in Ruhe ließen. Anfangs hatte er sich geweigert, aber eine Tracht Prügel hatte ihm seinen Widerstand schnell ausgetrieben.« Wer weiß, wie es heute an manchen Schulen zugeht, entdeckt den Realismus in einer Geistergeschichte. Moralist Möckel schreibt glücklicherweise nicht mit dem ernst drohenden Zeigefinger, sondern locker wie Erich Kästner. Dracula, der für gequälte Kinder die Zähne fletscht, ist kein Vampir und nicht blutgierig, er würde allenfalls eine Blutwurst fressen. Die anderen Spukmärchen lesen Sie, bitte, selber, denn ebenso wie für »kluge Kinder ab 9« sind sie auch für Eltern, Großeltern, Tanten, Onkels (nicht nur zum Vorlesen) bestens geeignet. Lothar Kusche Klaus Möckel: »Ein Hund mit Namen Dracula«, Edition D. B., 125 S. 9.80 €
Nach vierzehn Jahren
Das Land ist noch da. Man hat es angemalt. Da ist nichts amputiert. Der Schmerz kein Phantom. Schlote schleudern keinen Dreck mehr. Arbeit ist aus. Rußgraue Gesichter vor Evi’s Imbiss. Bierdosen in fahrigen Händen. Die Erpresser im Haus mit dem roten A erwarten weiter viele Kunden. Die warn das Volk. Das Land ist noch da. Michael Mäde
QualifikationIn einer Sonderausgabe des Uni-Journal Jena, das der Rektor der Friedrich-Schiller-Universität herausgibt, stellt sich die »Senatskommission zur Aufarbeitung der Jenaer Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert« vor, die mit dem Blick auf das herannahende Jubiläumsjahr 2008 berufen wurde. In einem der darin gedruckten Beiträge wird im unverkennbaren Ton anhaltender Genugtuung an die im März 1992 begangene Schandtat erinnert, einen Beschluß des akademischen Senats befolgend die Karl-Marx-Büste, die in DDR-Zeit neben dem Eingang zum Hauptgebäude der Hochschule errichtet worden war, zu demontieren und – wie es heißt – »in den zu Keller der Kustodie« zu verbannen. Der Autor, verrät der Kontext, hält Marx offenkundig für den Erfinder des marxistisch-leninistischen Grundstudiums, was ihm nachgesehen werden mag. Aber qualifiziert ihn diese Privatentdeckung, in den Expertenkreis der »Kooperierenden Mitarbeiter und Stipendiaten« der Senatskommission aufgenommen zu werden? Kurt Pätzold
Schriftsteller im Kalten KriegEin Ruhmesblatt für unangepaßtes Verhalten, das nach so mancher Experten-Meinung das Wesen eines Künstlers ausmachen sollte, ist die Geschichte des bundesdeutschen PEN nicht, aber immerhin stieg bei der Lektüre mein Respekt vor der Leistung, diesen Haufen eigenwilliger, eigensinniger und auch eitler Individuen so lange und überhaupt arbeitsfähig und zusammengehalten zu haben. Sven Hanuschek ist den jeweiligen Entscheidungen, Wendungen und Intrigen akribisch gefolgt, und er beschönigt oder entschuldigt auch nicht das miese Treiben bei der Abspaltung vom anfangs gesamtdeutschen PEN. Obwohl es keine Hinweise auf staatliche oder parteipolitische Lenkung gibt, handelten die Akteure ganz in deren Sinn. Der Kalte Krieg hatte auf beiden Seiten Freiwillige. Daß Heinrich Böll sich dann für einige Zeit durchsetzen konnte, führte zu Sternstunden des PEN. In den unruhigen Jahren der Bundesrepublik waren auch dessen Mitglieder unruhiger, obwohl es sich doch laut Gründungsstatuten vornehmlich um einen Klub von Freunden, Genießern und Schöngeistern handeln sollte. Aber aus dem anfangs kleinen Elite-Kreis wurde später eine Organisation, in der ein »Freund« den anderen nachzog beziehungsweise nachwählte. Es blieb nicht bei den Freunden, auch »Gönner« wurden berücksichtigt, und so tummeln sich für uneingeweihte Leser unverhofft einige Politiker bei den Geistesleuten. (Die Mitgliedschaft Klaus Höpckes im Ost-PEN hingegen wurde nach der Wende zum Politikum.) Allmählich kristallisierten sich Aufgaben heraus, denen man sich trotz unterschiedlicher politischer Einstellungen nicht entziehen konnte: Einsatz für inhaftierte Autoren in der Welt, Schutz und Hilfe für verfolgte Schriftsteller. Alles andere blieben Streitpunkte, die kraft wechselnder Mehrheiten unterschiedlich entschieden wurden. Während Hanuschek für die Anfangsjahre Dokumente – vor allem Briefe – heranziehen kann, die nun in Archiven und Nachlässen zugänglich sind, beruft er sich für die spätere Zeit bei der Einschätzung von Treffen und Veranstaltungen auf Zeitungsberichte. Ob er damit den Nerv der Arbeit des PEN erfaßt, wage ich angesichts der oft kenntnislosen Beliebigkeit solcher Berichte zu bezweifeln. Aber ein gewichtiges Kompendium zur Geschichte des »Geistes« in der Bundesrepublik ist das Buch allemal. Christel Berger Sven Hanuschek: »Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrum von 1951 bis 1990«, Max Niemeyer Verlag Tübingen, 592 Seiten, 88 €
Ein berühmter MoralistWenn ein NATO-Politiker in der FAZ einen langen Artikel mit einem Auschwitz-Vergleich beginnt, dann weiß man sofort: Er will einen Angriffskrieg propagieren. Wieder einmal enttäuscht uns Vaclav Havel nicht. Der berühmte Moralist spricht von »der kriminellen Natur des Regimes« und charakterisiert den »totalitären Herrscher« mit Hinweisen wie: »Er unterhält heute eine der größten Armeen der Welt, läßt Massenvernichtungswaffen herstellen, will im Ausland respektiert und gefürchtet und als einer der mächtigsten politischen Führer der modernen Welt anerkannt werden.« Das könnte auf George W. Bush zutreffen, aber Havel meint den Nordkoreaner Kim Jong-il, dem die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und andere Länder »aus einer Position der Stärke heraus« mit Standfestigkeit und Entschlossenheit begegnen müßten. Wird Peter Struck nun vom Krankenbett aufspringen, um Deutschland einige Tausende Kilometer jenseits des Hindukusch zu verteidigen? Karla Koriander
Walter Kaufmanns LektüreGeht mich dieses Buch mehr an als andere, weil sein Verfasser und ich eine wesentliche Lebensstrecke teilten: Kindertransport aus Nazideutschland, Internat in Kent, Internierung, Deportation auf dem berüchtigten Truppentransporter »Dunera«, die Landung in Australien...? Nein, die wundersamen Wendungen im Leben des Richard W. Sonnenfeldt, schlicht aufgezeichnet, ganz ohne Pathos, ergeben eine bemerkenswerte Lektüre für jedermann, für deutsche Leser besonders. Außergewöhnliche Umstände prägen die einzelnen Zeitabschnitte, und am Ende offenbart sich dem Leser eine Glückspyramide, besser gesagt, eine Erfolgspyramide. Der jüdische Flüchtlingsjunge – mein einstiger Mitschüler – gelangt mitten im Krieg (da schmorte ich noch hinter Stacheldraht in australischer Wüste) als freier Mann über Indien nach Amerika, faßt dort dank seiner handwerklichen Fähigkeiten sofort Fuß, tritt später in die Armee ein, nimmt als GI an den Kampfhandlungen in der Normandie und der Befreiung der Gefangenen von Dachau teil und wird von einem Tag zum anderen seiner Sprachkenntnisse wegen zum Dolmetscher für hohe amerikanische Offiziere, schließlich sogar zum Chef aller Dolmetscher bei den Nürnberger Prozessen, der die Verhöre von Göring, Keitel, Streicher, Schacht, Höß mit vorbereitet und über lange Strecken mit allen Genannten zu tun hat. Am Ende erklärt sich Göring nur zu Antworten bereit, wenn Sonnenfeldt diese übersetzt. Welch ein Coup für einen kaum Zweiundzwanzigjährigen! Und dessen Erfolgspyramide wächst weiter. Nach einem Studium an der John Hopkins University wird er als Elektroingenieur maßgeblich an der Erfindung des Farbfernsehens und der Videodisks beteiligt sein und als inzwischen wohlhabender, wohlangesehener Amerikaner in dem Glauben, eine Welt unabhängiger Nationen könne bereit sein, ein Weltgesetz über die Souveränität der einzelnen Staaten zu stellen, öffentlich für eine Weltföderation eintreten. »Wie recht wir im Prinzip hatten und wie sehr wir uns doch irrten...«, schreibt er. Dieser Irrtum erweist sich für ihn als nur eine Erfahrung mehr – die Summe aller wird er in den Schlußseiten seines Buches ziehen, das endet, wo sein Leben begann, in Deutschland. Auf einer Bühne in Nürnberg, die einst von einem riesigen Hakenkreuz dominiert war, nimmt er die Gelegenheit, einer großen Versammlung von Deutschen die Nürnberger Prozesse zu schildern, er wird dabei auch Albert Speer erwähnen, den er hat sagen hören, daß das Führerprinzip voller unglaublicher Fehler steckte, und Feldmarschall Keitel zitieren, der in seinem Beisein bekannt hat: »Ich würde lieber den Tod wählen, als mich noch einmal in das Netz solch verbrecherischer Methoden hineinziehen zu lassen.« W. K. Richard W. Sonnenfeldt: »Mehr als ein Leben«, aus dem Amerikanischen von Theda Krohm-Linke, Scherz Verlag, 288 Seiten, 19.90 €
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Press-KohlOnkel Falk pflegte einen Teil seiner knappen Rentner-Freizeit der Niederschrift von Beschwerde-Briefen zu widmen. Wohlgemerkt: pflegte. Denn Onkel Falk lebt leider nicht mehr. Sonst hätte ich ihm vielleicht Erleichterung verschaffen können, seit ich aus einer Gesundheits-Reklame weiß: »Viele Beschwerden können damit zusammenhängen, daß der Körper mit Schwermetallen belastet ist.« Also das war kein Grund für Onkel Falks Ärger. Falk verzehrte niemals Wasserrohre aus Blei oder dergleichen. Der Apotheker verspricht auf einem Reklamezettel die Auffindung von Schwermetall- durch die sogenannte Haar-Mineralstoff-Analyse (HMA). »Spezialangebot für Teilnehmer am Kundenvortrag: 10 Euro Rabatt auf eine Haarmineralstoffanalyse (der reguläre Preis beträgt 110 Euro).« Der Appell ist überschrieben: »Fühlen Sie sich manchmal krank, obwohl Sie gesund sind?« Ich fühle mich manchmal sehr gesund, obwohl ich gerade aus der Apotheke komme, allerdings ohne dort einen regulären Preis bezahlt zu haben. * Führende Politiker, falls Sie sich unter führenden Politikern etwas vorstellen können, sind neuerdings gegen Babys, genauer gesagt: gegen Klon-Babys. »Das Klonen zu Fortpflanzungszwecken«, erklärte der französische Präsident Jacques Chirac, sei »kriminell« und verstoße »gegen die Menschenwürde«. Auch wurde gemeldet: »US-Präsident George W. Bush will den Kongreß drängen, ein Verbot jeglicher Form des menschlichen Klonens durchzusetzen.« Die Vorstellung, wir hätten es dank der Klon-Methode plötzlich nicht mehr nur mit einem Präsidenten Bush zu tun, sondern mit zweien, ist beängstigend. Für Verstöße gegen die Menschenwürde genügt ein einzelner George W. Bush allemal. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 14/2004 |
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