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Diesmal wird er hundert Jahre alt, aber das Ritual wird sich nicht wiederholen, denn die zwölf Jahre jüngere Ursula Madrasch-Groschopp, langjährige stellvertretende Chefredakteurin der Weltbühne in DDR-Zeiten, ist im letzten Winter gestorben. 1983 hatte sie in ihrer Monographie »Die Weltbühne« Arnheim als engen Mitarbeiter Carl von Ossietzkys gewürdigt und zwei Jahre später einen Sammelband mit Arnheim-Texten herausgegeben (»Zwischenrufe« im Verlag Gustav Kiepenheuer). Ich habe noch einige Autoren der Weltbühne aus Weimarer Zeiten kennenlernen dürfen, vor allem Axel Eggebrecht, der mir in seinen letzten Lebensjahren ein guter Freund war. Zufällig entdeckte ich kürzlich, daß auch mein Onkel Philipp Spoo Mitte der zwanziger Jahre mal für das Blatt geschrieben hat. Jetzt aber ist Arnheim der letzte Überlebende, der noch zu Siegfried Jacobsohns Zeiten, einundzwanzigjährig, seine ersten Beiträge eingesandt hat und von 1928 bis 1933 Kulturredakteur der Weltbühne (gleichzeitig aber auch Mitarbeiter des Berliner Tageblatts und der Vossischen Zeitung) war. Ich blättere in seinen Büchern, zum Beispiel dem 1928 erschienenen Band »Stimme von der Galerie«. Darin empfiehlt er, »ein bißchen mißtrauisch mit den ›Tatsachen‹ umzugehen«: »Wie geht es denn zu? Da leben wir mit Menschen zusammen, nennen den einen gutmütig, den zweiten gerissen, den dritten einen großen Staatsmann. Und welchen objektiven Gehalt haben diese Charakteristika, die doch alle unsere Beziehungen zu den Menschen bestimmen, die ›existent‹ sind im wahren und richtigen Sinne des Wortes, weil auf Grund solcher in Formulierungen gezwängter Erkenntnisse doch unsere Entschlüsse und Urteile zustandekommen? Wieviel Verzerrtes, Zufälliges mag in diesen Klischees stecken, wieviel durch Wünsche, durch fremde Autorität verfälscht sein, und eine wie geringe Wirkung haben dem gegenüber oft unsre exakten Verifikationsmethoden, soweit es überhaupt welche gibt! Wir müssen begreifen, daß ein Tatbestand, eine Eigenschaft anfängt zu existieren, wenn nur genügend oft und nachdrücklich gesagt wird, es sei so... Denn weil unsre Umgebung für uns in Formen erstarrt ist, in die wir oder unsre Nachbarn oder Vorfahren sie gegossen haben und die wir nur ungern revidieren, deshalb ›ist‹ unsre Schwägerin eine Intrigantin, die Telekinese eine bewiesene Sache, Gerhart Hauptmann so ähnlich wie Goethe und der Krieg eine Notwendigkeit.« Kurt Tucholsky rezensierte den Band in der Weltbühne und rühmte den vierundzwanzigjährigen Autor: »...er weiß was, er ist helle, und er hat Humor; er gibt uns mit leichter Hand das, was wir so selten bekommen – die ›Fröhliche Wissenschaft‹.« Und seine Formulierungen seien »von höchster Präzision«. Voll kluger Beobachtungen ist auch »Film als Kunst«, 1932 bei Ernst Rowohlt erschienen. In diesem international erfolgreichen Buch, das ohne Abbildungen auskommt, weil Arnheim auf die Überzeugungskraft seiner Worte vertrauen kann, schreibt er: »Allzusehr schon ist es üblich geworden, dort, wo die Begriffe fehlen, ein Bild zu bieten. Unsere Zeit krankt geradezu an einer Bild-epidemie, und man darf sagen, daß die allgemeine Denkfaulheit dadurch nur noch bestärkt wird.« Damals gab es noch kein Fernsehen, und die Tageszeitungen bestanden noch ganz aus Text. Arnheim befindet am Schluß des Buches, schlechte Kunst lasse sich »nicht etwa einfach durch gute ersetzen, denn dadurch würden lebenswichtige Interessen sowohl der herrschenden wie der beherrschten Klassen verletzt« – weil nämlich einerseits »die Kitschfabeln der Durchschnittsfilme ebenso wie der ganze Darstellungsstil bewußte und unbewußte Propaganda für bürgerliche, antirevolutionäre Ideologien bedeuten« und weil »andererseits eine von den handgreiflichsten Lebenssorgen so gehetzte Menschenklasse wie das Proletariat nach der Arbeit die Entspannung, die harmlose Unterhaltung, die Scheinrealisierung von Wunschträumen will. Kunstgenuß ist eben keine Schlemmerei, keine billige Vergnügung, sondern eine anstrengende Sache, die viel Konzentration und einen freien Kopf verlangt. Daher paßt sie nicht zu unserem heutigen Proletarier. Und diese Tatsache spricht nicht gegen die Proletarier, sondern gegen die Staatsordnung... Wer den Film verbessern will, muß erst die Gesellschaftsordnung verbessern, und das zu tun, ist nicht die Sache bürgerlicher Kaufleute.« Rufe nach der Revolution läßt der elegante Ästhet sonst nicht vernehmen; auch die Tagespolitik bleibt weit entfernt, wenn er über Kunst schreibt. Die Nazis nimmt er in dieser Sphäre kaum wahr – kein Wort fällt in seinem Kino-Buch etwa über »Im Westen nichts Neues«, den Antikriegsfilm, dessen Aufführung die Nazis mit Krawallen zu verhindern versuchen. Aber er nimmt Anteil an Ossietzkys beginnendem Märtyrertum 1932 in der Haftanstalt Tegel nach dem schändlichen Urteil des Reichsgerichts (das an Schändlichkeit nur durch die Weigerung des Bundesgerichtshofs 60 Jahre danach übertroffen wurde, es aufzuheben). In einem Brief an Ossietzky, erschienen in der Weltbühne (40/32) schildert er einen Besuch bei dem Häftling und beklagt: »... wir vermissen Sie alle. Wir sind gewöhnt an Ihre leise, freundliche Leitung, Ihre Heiterkeit, Ihre schnellen Einfälle, wir sind gewöhnt an den weiten Blick, mit dem Sie den dürftigen Bezirk der Tagespolitik einordnen in die Geschichte, in den großen Kreis der Kultur... Jetzt müssen Sie mit untätigen Händen durch ein vergittertes Fenster zusehen, wie alles eintrifft, was Sie vorausgesagt haben.« Die Sympathie war gegenseitig. Mehr als 50 Jahre später erinnerte sich Ossietzkys Tochter Rosalinde in einem von Ursula Madrasch-Groschopp auf Tonband aufgenommenen Gespräch, »wie mein Vater manchmal von Rudolf Arnheim sprach und wie sehr, sehr gern er ihn hatte und ihn respektierte – nicht nur als Menschen, sondern auch als eine wirklich große Begabung, einen, dem man vielleicht einmal auch eine Weltbühne anvertrauen könnte. Ich hatte das Gefühl, wenn mein Vater mit großer Wärme über Rudolf Arnheim sprach, daß er ihn vielleicht ein wenig als einen Sohn betrachtete. Dieser wunderbare Mensch war mit einer jungen, hübschen, begabten Frau verheiratet, die Fotografin war und Annette hieß. Die beiden hatten auch Sorgen, sie wußten ja auch nicht, ob sie bleiben konnten oder wohin sie gehen sollten und was aus ihnen werden sollte. Sie wohnten schön, so modern, wie damals die modern eingestellten Menschen wohnten. Sie luden mich ein und verbrachten einen ganzen Tag, vielleicht waren es auch zwei, mit mir und trösteten mich über den Verlust meines Vaters und auch meiner Mutter, die in einem Sanatorium war. Und eines Tages fanden sie, daß ich schlechte Schuhe hatte, und wollten mir, obwohl sie nicht viel Geld hatten, neue Schuhe kaufen – eine Geste, die ich nie vergessen werde.« Ossietzkys Tochter war damals 13 Jahre alt. Arnheim stellte 1933 noch sein Buch »Rundfunk als Hörkunst« fertig, fand aber in Deutschland keinen Verleger mehr. Nach seiner Ausbürgerung lebte er eine Zeitlang in Rom, später in London, wo er für den deutschsprachigen Nachrichtendienst von BBC als Übersetzer arbeitete, bis er 1940 mit zehn Dollar in der Tasche die USA erreichte. Dort kam der Kunstwissenschaftler zu großem Ansehen und Erfolg; mehrere Jahre lehrte er an der Havard-Universität. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt. Auch junge Leser von heute schätzen sein beziehungsreiches Wissen, seinen klaren Stil, seine noble Haltung. Die Redaktion Ossietzky grüßt in Verehrung den 100jährigen Rudolf Arnheim.
Erschienen in Ossietzky 14/2004 |
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