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Frauen greifen häufiger zum Buch als Männer. Das belegen die Statistik und der Augenschein. Tragen Autoren und Autorinnen öffentlich aus ihren Werken vor, kommen stets mehr Zuhörerinnen als Zuhörer. Doch auch die lektürefreudigste Frau kann man überfordern. Ein frappierendes Beispiel dafür findet sich in den Erinnerungen der Caroline de Louis, einer frühen Freundin von Wolfgang Harich. Ihr hatte der ungestüme junge Philosoph mal eben eine Liste mit 262 Titeln zusammengestellt. Diese Bücher sollte sie innerhalb der nächsten vier Wochen durcharbeiten und dem Freund dann den Inhalt und ihren Eindruck referieren. Wer Harich auch nur ein wenig kennt, ist sich klar darüber, welche anspruchsvolle Lektüre der Feuerkopf ausgewählt hatte. Ich erinnere mich nicht mehr, wie viele Werke Caroline tatsächlich bewältigte. Überhaupt nicht lesen wollte Marie Antoinette, die französische Königin, obwohl ihre Mutter, Österreichs Kaiserin Maria Theresia, sie über Jahre hin zur Lektüre ermahnte, wie Stefan Zweig in seinem Roman »Marie Antoinette – Bildnis eines mittleren Charakters« eindringlich beschreibt. Die Throninhaberin in Paris blieb unbelehrbar und reagierte widerborstig, als die Kaiserin von Wien her fragte: »Was für Bücher liest du denn? Und dann wagst Du Dich in alles einzumengen, in die wichtigsten Affären und in die Wahl der Minister? ...« Außerdem kreidete die Mutter der Tochter immer wieder die »furchtbare Vergnügungssucht« an, was Antoinette abschmetterte mit dem Satz: »Ich habe Angst, mich zu langweilen.« Wer äußert sich denn da? Offensichtlich eine Vorläuferin unserer Spaßgesellschaft, deren damaliger feudaler Spielart die Französische Revolution 1789 ein Ende und die gedankenlose, leichtfertige Herrscherin zur Gefangenen machte. Eingesperrt im Verlies der Conciergerie, als es längst zu spät war, las Antoinette Buch um Buch. Trotz dieses Exempels empfiehlt es sich nicht, Lektüre-Abstinenzler einzukerkern, um sie zur Literatur hinzuführen, da wären die Haftanstalten bald überfüllt. Daß Bush senior den Junior zum Machtantritt mit einem Bücherkanon versah, ist nicht wahrscheinlich, der Vater dürfte wissen: Des Sohnes Interesse gilt vor allem den Sportseiten der Zeitungen. So überrascht es nicht, wenn eine der ersten Maßnahmen des gegenwärtigen US-Präsidenten die Bundesausgaben für Büchereien betraf, sie wurden um 39 Millionen Dollar gesenkt. Folgerichtig betreibt der oberste Amerikaner den Abbruch des Programms »Reading is Fundamental«, das Kindern mittelloser Eltern ermöglicht, Bücher umsonst zu erhalten. Beide Angaben stammen aus »Stupid White Man« von Michael Moore, dieser rasanten »Abrechnung mit dem Amerika unter George W. Bush«. Vermerkt ist auch, »daß Laura Bush, die ehemalige Bibliothekarin,« sich noch eine Woche vor Inkrafttreten der Kürzungsmaßnahmen für die Unterstützung amerikanischer Büchereien ausgesprochen hatte. Das muß ja eine harmonische Ehe sein. Oder die frühere Bücher-Fachfrau resigniert, weil sie gegen ihren regierenden Angetrauten, einen Fast-Legastheniker, ohnehin nichts auszurichten vermag. Unseres Kanzlers Gattin Doris Schröder-Köpf ist für die »Stiftung Lesen« aktiv, doch auch hierzulande wird eine Bibliothek nach der anderen mangels Finanzen geschlossen. Übrigens greifen nach einer Studie dieser Stiftung gegenwärtig lediglich noch sechs Prozent der Deutschen täglich zum Buch, 1992 waren es 16 Prozent gewesen. Vielleicht hängt der eine Fakt mit dem anderen zusammen, geschlossene Bibliotheken verschließen auch den Weg zu den Büchern, besonders für Menschen, die nicht genug Geld haben, sich selber welche zu kaufen. Erich Loest propagierte vor Jahren die schöne hochgemute Idee, Arbeitslose, von denen es in den neuen Ländern ja mehr als genug gibt, würden sich im ehemaligen Leseland DDR in der nun reichlich vorhandenen Freizeit der Lektüre widmen, Sprachen lernen oder sich sonstwie fortbilden. Leider versorgten sich die Leute, so stellte der Autor desillusioniert an den vielen neueröffneten Ki-osken durch Augenschein fest, statt mit Büchern lieber mit Bier. Mit dem zweiten deutschen Staat ging auch das Leseland unter. Dort hatte es früher eine große Gruppe von Zwischendenzeilenlesern gegeben, die hinter den Sinn krauser Regierungsverlautbarungen zu kommen suchten. Daß es auch im Kapitalismus notwendig ist, zwischen den Zeilen zu lesen, ist für ehemalige Ossis eine Stufe künftiger Erkenntnis. In Band 2 von Leo Tolstois »Krieg und Frieden« treffen wir auf Pierre Besuchow, einen unehelichen Adelssproß, reich geworden durch väterliche Erbschaft. Mit dem Riesenvermögen will er »das sündhafte Menschengeschlecht erneuern«, sich selbst vervollkommnen; so hat er »Schulen und Krankenhäuser gestiftet und seine leibeigenen Bauern freigelassen«. Das genügte ihm nicht: »Er las und las alles, was ihm in die Hände fiel, so daß er, wenn er nach Hause kam und die Diener ihm beim Auskleiden behülflich waren, bereits ein Buch in der Hand hielt und darin las, und vom Lesen ging er in den Schlaf hinüber ... und wieder zu Lektüre und zum Wein.« Welches Denkmal für die aussterbende Fähigkeit zum Lesen hat Tolstoi hier gesetzt. Als unser Chow-Chow Billy noch lebte, kombinierte ich häufig den Hundespaziergang auf ruhigen Wald- und Wiesenwegen mit der Lektüre des eben gekauften Spiegel oder stern, in einer Hand die Hundeleine, in der anderen das Nachrichtenmagazin. Billy störte es nicht, wohl aber Gerhard, der Chow und Frau dabei ertappte. Leider hatte ich damals das exzellente Tolstoi-Zitat nicht parat als Argument dafür, daß man sehr wohl bei verschiedensten Verrichtungen auch lesen dürfe. Wer beim Ablegen der Textilien schmökert, braucht allerdings Bedienstete. Dem wißbegierigen Pierre gelang es, im Unterschied zu den vorher genannten Arbeitslosen, Saufen und Lesen miteinander zu verbinden. Einen real existierenden Bücherfresser namens Müntefering vermeldete der Spiegel am 24. 5. 04: »Dann hörte er auf mit Fußball, bis er 18 war, und begann zu lesen. Er hat sieben Jahre lang nur gelesen.« Sehr sympathisch. Was aber nützt es Münte und der SPD im Moment? In der Partei fungiert er nicht als »belernter« (Tucholsky) Leser, sondern als kühler Rechner, der die Einkünfte der kleinen Leute runterrechnet.
Erschienen in Ossietzky 14/2004 |
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