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Wenn wir uns nach großen Erfindungen umsehen, die das Leben vieler Menschen in den letzten Jahrzehnten nachhaltig verändert haben, fällt fast jedem von uns, wenn überhaupt etwas, dann der Computer ein. Die meisten von uns haben inzwischen die Schreibmaschine durch ihn ersetzt. Wer Kinder hat, beklagt nicht mehr, daß sie ständig dumme Comics lesen, sondern daß sie immer vor dem PC hängen. Gravierender als diese Veränderungen, allerdings wegen der Wechselwirkung mit anderen Faktoren schwerer einzuschätzen sind die Resultate des massiven Einsatzes von Informationstechnologien (IT) in der materiellen Produktion. Die Tatsache, daß sich in den Vereinigten Staaten seit 1970 der industrielle Ausstoß verdoppelt hat, für seine Herstellung inzwischen aber nur noch zwölf Prozent der Werktätigen benötigt werden, hängt nach allgemeiner Meinung maßgeblich mit der elektronischen Steuerung dieser Produktionsprozesse zusammen. Für das Entstehen der IT-Spekulationsblase und ihr Platzen gibt es ein Muster, das jedem Wirtschaftshistoriker geläufig ist: Als im 19. Jahrhundert das in der englischen Baumwollindustrie massenhaft verdiente Geld verzweifelt neue Anlagemöglichkeiten suchte, fand es sie in den Eisenbahnen. Ihnen wurde ähnlich gierig Geld mit Hoffnung auf noch mehr Geld angeboten wie bis vor kurzem den »New-Economy«-Firmen. Als damals die Blase platzte, gingen tausende von Firmen zugrunde, die ihr Schicksal an die Eisenbahn geknüpft hatten, aber die Eisenbahn blieb und veränderte das Leben der Menschen. Ebenso wurden in den letzten Jahren, als die Kurse vieler IT-Papiere zusammenbrachen, zigtausende Beschäftigte dieser Firmen in die Arbeitslosigkeit gestürzt, die sie sich vorher nie hatten vorstellen können. Manche Zahlen und Beobachtungen können irritieren. Als die 2000er Blase platzte und viele Firmen vor allem an neuen Computern sparten, sackte in den USA das Volumen der IT-Investitionen um zehn Prozentpunkte ab. Wäre der Produktivitätsfortschritt, wie vorher scheinbar Allgemeinwissen war, vor allem auf den IT-Einsatz zurückzuführen gewesen, hätte er sich nun verlangsamen oder stagnieren müssen. Er zeigte sich aber davon kaum beeindruckt. Das bedeutet, daß offenbar andere Faktoren wie Einsatz neuer Materialien oder sogenannte Skaleneffekte durch Verbilligung der einzelnen Ware bei steigendem Umsatz stärker auf den Produktivitätsfortschritt der Industrienationen in den letzten Jahren einwirkten als vorher angenommen. Im November 2002 veröffentlichte der US-amerikanische »Federal Reserve Board« die Ergebnisse der Veränderungen der Profite, der Produktivität und anderer Kennzahlen der US-Ökonomie aus den 90er Jahren. Die Euphorie jener Jahre, die von der Annahme ausging, die Produktivität werde dank IT dauerhaft um rund 3,5 Prozent pro Jahr steigen, wich einer nüchternen Bilanz, wonach der Anstieg in jenem Jahrzehnt weniger als 2,5 Prozent betrug und für das laufende Jahrzehnt auf durchschnittlich nur rund zwei Prozent zu schätzen sei. Nicht nur diese amerikanischen Zahlen, auch der deutsche Augenschein geben Anlaß zu einer gesunden Skepsis gegenüber der Formulierung von der IT-»Revolution«. Viele meiner in schreibenden Berufen tätigen Kollegen, die sich freuen, wenn sie Seiten mit vielen Fehlern nicht mehr mit Tipp-Ex korrigieren oder neu abtippen müssen, haben zwar dadurch einige Stunden eingespart, sitzen aber dafür manchmal tagelang vor ihren Computern, um die Tücken der neuen Software zu begreifen. Produktivitätsmessung ist, wie jeder Ökonom weiß, ein kompliziertes Ding. Ich selbst arbeite in einem Gewerbe, dessen Leistung sich über die Jahrzehnte nicht verändert hat: Versicherungen. Wenn nur der Umsatz durch die Anzahl der Mitarbeiter geteilt wird, scheint es in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten einen gewaltigen Produktivitätsfortschritt gegeben zu haben. Aber das sogenannte Produkt ist dasselbe wie in den 30er oder 50er Jahren. Eine Versicherung sagt einem Hausbesitzer: »Gib’ uns mal 200 Euro im Jahr, dafür bezahlen wir Dir ein neues Haus, wenn das alte abbrennt – und außerdem noch ein neues Dach, wenn ein Sturm das alte abgedeckt hat.« Das war – abgesehen von der anderen Währung – das Geschäft meiner Kollegen damals und ist heute mein Geschäft. Vor 15 Jahren, sagen unsere Geschäftsberichte, haben wir von jeder Mark unserer Kunden 20 Pfennig für uns behalten: für Vorstands- und Tarifgehälter, Heizung und EDV. Im Buchhalterdeutsch: Unsere Kostenquote betrug 20 Prozent. Heute verbraucht die Firma von jedem Kunden-Euro nicht mehr 20, sondern 24 Cent für den laufenden Betrieb. Bei gleicher Leistung sind wir, die Belegschaft unseres Betriebes, also nicht besser, sondern schlechter, unproduktiver geworden. Wo sind die vier Cent zusätzlich geblieben? Sicher ist, wo sie nicht hingeflossen sind: in Personal. Auf den Lohnlisten der Firma stehen nicht mehr, sondern weniger Namen als vor 15 Jahren. Das Durchschnittsgehalt der Tarifangestellten ist real nicht gestiegen, sondern stagniert. Kurz: Wir da unten produzieren denselben Gebäudeschutz wie vor 15 Jahren und können uns dafür nicht mehr als damals kaufen, eher weniger. Explodiert sind die Sachkosten. Früher brauchte ein Versicherungsbetrieb an Technik vor allem Schreib- und Registraturmaschinen und einen Haufen Papier. Heute steht High Tech nicht nur in der Direktion und der Regionaldirektion, sondern auch in jedem Vertreterbüro. Mithilfe dieser Technik – so wurde versprochen – sollte es ermöglicht werden, Personal auf der Sachbearbeiterebene einzusparen. Das ist in gewissem Umfang auch geschehen. Für jede eingesparte Mark sind aber zwei wieder für PCs, Großrechner, Software-Updates und externe EDV-Dienstleistung ausgegeben worden. Das Gewerbe ist hektischer, aber nicht effektiver geworden. Vielleicht ist es ein Einzelbeispiel. Mein Eindruck ist: Bei genauerem Hinsehen lösen sich nicht nur in den Augen des »Federal Reserve Board«, sondern auch anderer die vermeintlichen Fortschritte dank IT in Fragezeichen auf. Das Nichtausreifen der Blütenträume, die sich mit dem Computer verbinden, hängt meines Erachtens damit zusammen, daß die Nutzung dieses Gerätes bereits über den Kapitalismus hinausweist. Alle vorherigen epochalen Erfindungen des Industriezeitalters hingen an einem Gegenstand, der verkäuflich ist. Mit Hilfe der Dampfmaschine effektiviere ich die Produktion von Tuch, das ich verkaufe. Auf Schienen gesetzt produziere ich eine Transportleistung, die ich gestückelt über Fahrkarten verkaufen kann. Genauso kann ich auch Strom, Autos, Flugzeuge verkaufen – und natürlich auch Computer. Der Computer ist aber nicht das wesentliche am Computerzeitalter. Das wesentliche ist die mit ihm revolutionierte Informationsverarbeitung. Das Wissen ist aber dem Wesen nach kein Ding, das bei seiner Weitergabe den Besitzer wechselt. Es bleibt ja (anders als das verkaufte Auto oder auch die gedruckte Zeitung) beim Abgebenden, verdoppelt sich also. Das erklärt den großen Erfolg der Linux-Software und anderer sogenannter »open-source software« und die verzweifelten Bemühungen von Microsoft und bürgerlichen Staatsapparaten, Gesetze zu schaffen, die die Informationsweitergabe unter Strafe stellen und so künstlich zu einem Ding machen, das der Abgebende nicht mehr besitzt, wenn er es einmal verkauft hat. Am 12. Juni veröffentlichte der Londoner Economist einen besorgten Kommentar über diese »open-source software« unter der bezeichnenden Überschrift »Über den Kapitalismus hinaus?« und beruhigte seine Leser, daß diese Erscheinungen nur »parasitär gegenüber dem Kapitalismus« seien. Die Ahnung, das zeigt dieser Kommentar, ist selbst in diesen Kreisen schon angekommen, daß die wirklichen Ressourcen der weltweiten Computer-Netzwerke, die sich gegenwärtig in ihrer alten Hülle bilden, jenseits der kapitalistischen Marktwirtschaft liegen. Der Frühsozialismus, der 1989 zusammenbrach, scheiterte bekanntlich (auch) daran, daß seine zentralen Planungsbehörden, die den Markt als ökonomische Steuerungsinstanz ersetzen sollten, in ihren selbst geschaffenen Datenmengen erstickten. Dezentrale Computer-Netzwerke aber sind potentiell die Sphäre, in der eine Gesellschaft jenseits von Warenmärkten Fähigkeiten und Bedürfnisse der Menschen verknüpfen kann. Die technologischen Revolutionen des Kapitalismus von der Dampfmaschine bis zum Auto sind Revolutionen, die ein verkäufliches Ding betreffen. Das Wesentliche am Computer aber ist nicht das Ding, sondern die durch ihn ermöglichte massenhafte Informations- und Wissensverbreitung. Entfalten wird sich diese Revolution daher erst wirklich in einer Gesellschaft, die sich vom alten Eigentumsbegriff zu lösen vermag. Der PC ist technologisch bereits die Morgenröte dieser neuen Gesellschaft – die allerdings anders als der neue Tag nicht von selbst kommt. Wer glaubt, das Internet werde den Kapitalismus revolutionieren, ohne daß die Macht der Besitzenden real gebrochen wird, hat die Programmiersprache dieses Systems noch nicht verstanden. Wir sind noch nicht im Computerzeitalter. Wir müssen erst die politischen und sozialen Voraussetzungen schaffen, um dahinzukommen.
Erschienen in Ossietzky 14/2004 |
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