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Wenn sie konsequent blieben und es ihnen gelänge, den als »Reform« getarnten Sozialabbau wirklich zu bremsen und zu blockieren, könnten sie sich solche Beschimpfung sogar zur Ehre anrechnen. Der Vorsitzende der sich liberal nennenden Partei der Besserverdienenden, Guido Westerwelle, läßt sich aber immer noch Bösartigeres einfallen. Neulich nannte er die gewählten Gewerkschaftsvertreter, die sich gegen die sogenannten Sparpläne auf Kosten der Armen wehren, einfach »Verräter der Arbeitnehmerschaft«. Zur langen Tradition solcher Diffamierungskampagnen gehört es, daß gegen Frauen, die sich aktiv am Kampf um Freiheit und Brot beteiligen. die gemeinsten Attacken geführt werden. Während der Franzosischen Revolution waren die Marktfrauen von Paris, begleitet von ihren mit armen Handwerkern, Gesellen und Arbeitern verheirateten Schwestern nach Versailles gezogen und hatten die königliche Familie gezwungen, in die Hauptstadt zurückzukehren. Nur so nämlich konnten sie erreichen, daß wieder Lebensmittel in die Stadt geliefert wurden. In großer Auflage in Deutschland verbreitete Karikaturen stellten diese selbstbewußten Frauen übereinstimmend als nymphomanische und hysterische Flintenweiber dar. Friedrich Schiller, in seiner Jugend noch ein Revolutionär gewesen, schrieb, nachdem er in den Adelsstand erhoben und staatstragend geworden war, über sie: »Da werden Weiber zu Hyänen«, und so werden auch heute noch all jene belehrt, die das »Lied von der Glocke« lesen müssen. Während der glorreichen Tage der Pariser Commune standen viele Frauen aus den Armenvierteln an der Seite ihrer Männer, auf und hinter den Barrikaden, und wurden nach der Niederlage wie sie füsiliert und erschlagen. Als Beispiel kapital-klerikalen Umgangs mit diesen Toten seien zwei Sätze aus dem Paderborner Bistumsblatt Leo vom Juni 1878 zitiert: »Wahrlich, das schrecklichste unter allen Geschöpfen ist ein Weib ohne Religion. In allen Revolutionen waren die ungläubigen Weibspersonen die wildesten und blutgierigsten Furien, wie wir sie an den Mordbrennerinnen der Kommune in Paris im Mai 1871 selbst gesehen haben.« Kübel von Schmutz wurden später über Rosa Luxemburg ausgegossen, vor und nach ihrer Ermordung. An der Hatz auf die Verteidiger der Entrechteten beteiligen sich immer auch Intellektuelle, die dafür sorgen, daß die Hetzparolen irgendwie wissenschaftlich wirken. Der national-liberale Preußenverehrer und Antisemit Professor Heinrich von Treitschke, der großen Einfluß auf die Geschichtsschreibung im wilhelminischen Reich hatte, verkündete ex cathedra: »Die Arbeiterbewegung ist eine bes-tialische Pöbelbewegung.« Der Philosoph Friedrich Nietzsche schloß sich ihm mit den Worten an: »Die Prediger der Gleichheit sind rachsüchtige Taranteln.« Die Beispiele ließen sich fast endlos fortsetzen. Exemplarisch für den Erfolg gezielter Desinformation und für die Langlebigkeit von Lügen ist der Fall Georg Herwegh. Der Dichter schrieb 1863 das Bundeslied des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins mit dem noch heute gültigen Aufruf: »Mann der Arbeit, aufgewacht / und erkenne deine Macht / Alle Räder stehen still, / wenn dein starker Arm es will.« Nie wurde ihm verziehen, daß er königliche Gnadenerweise ablehnte und auch noch nach der Reichsgründung 1871 die preußisch-deutsche Großmannssucht an den Pranger stellte. Und natürlich auch nicht, daß er schon vor der bürgerlichen Revolution von 1848 Demokrat gewesen war. In Frankreich, wohin er hatte emigrieren müssen, bildete er mit anderen Emigranten eine »Deutsche Legion«, die die Aufständischen in Baden unterstützen wollte. Die paar hundert Mann kamen zu spät. Heckers Revolutionstruppe hatte bereits eine entscheidende Niederlage erlitten, und die Legion wurde von den weit überlegenen preußischen Truppen geschlagen. Es blieb den Überlebenden nur die Flucht, auch Herwegh, der mit seiner Frau für Munitionsnachschub gesorgt hatte. Dies gab der Reaktion Anlaß für eine infame Lügenkampagne. Kolportiert wurde (und von der Öffentlichkeit geglaubt, weil es ja amtlich war), Herwegh habe sich schon beim ersten Schuß unter die Röcke seiner Frau versteckt und von ihr in die Schweiz kutschieren lassen. Selbst Heinrich Heine fiel vorübergehend auf das Märchen herein, entschuldigte sich allerdings später, als sich die Tatsachen herumsprachen. Die waren von Augenzeugen in Schweizer Blättern veröffentlicht worden. Aber in Deutschland erfuhr kaum einer davon. Vielmehr ging die Hetze weiter, in Zeitungsartikeln, literarischen Blättern und Bänkelliedern. Die nachweislich falschen Tatsachen werden sogar noch heute verbreitet. In der in hoher Auflage erschienenen »Illustrierten Geschichte der Deutschen Literatur«, die erst vor wenigen Jahren »aktualisiert« wurde, lesen wir: »Herwegh ließ die ›Freiheitsstreiter‹ im Stich und rettete sich in die Schweiz. Großmannssucht und Radikalismus haben den Dichter früh zugrunde gerichtet.« Wieso soll es da den Heutigen besser gehen? In den Redaktionen, auch und gerade in den fürs Feuilleton zuständigen, sitzen dem Kapitalismus verpflichtete Journalisten, die wachhündisch Witterung aufnehmen, sobald Schriftsteller die Sache der sozial Benachteiligten zu ihrem Thema machen. Sie schmähten Heinrich Böll als »mittelmäßig« und »überschätzt«. Ähnlich erging es in den vergangenen Monaten Rolf Hochhuth, der einst die Qualifizierung als »Uhu und Pinscher« durch den Bundeskanzler Ludwig Erhard wegen des Dramas »Der Stellvertreter« lächelnd überstanden hat. Nachdem er es inzwischen aber gewagt hat, auf der Bühne zu den brennendsten aktuellen Problemen Stellung zu nehmen und das Recht auf Arbeit geltend zu machen, wird er ignoriert oder boykottiert oder als dramatischer Stümper abgetan. Die da oben führen den Klassenkampf nämlich auf allen Ebenen. Schon immer.
Erschienen in Ossietzky 14/2004 |
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