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Gleich beginnt die Stunde der Wahrheit für die Studenten des zweiten Studienjahres. Szenen aus Stücken von Bond, Eich, Noren, Brasch, Ostrowsky, O’Casey und Schiller stehen auf dem Programm. Ich begegne Netti Strasser wieder, der Mieze von »Berlin Alexanderplatz«. Erlebe staunend eine sehr andere Netti in »Mercedes« von Brasch, sie ist dem schwierigen Text dieses Permanentspiels der Gedanken nahegekommen in der Kürze der Vorbereitungszeit. Mirco Kreibich, von ihm habe ich während der Arbeit an »Zement« berichtet, ist einer der Schauspieler in Ostrowskis »Wald«: komisch, versponnen, ein trauriger Clown, der lachen macht; zudem imitiert er Geräusche jeglicher Art, agiert akrobatisch eindrucksvoll. Margarita, das deutsche Mädchen aus Sibirien, hat ihre Körpersprache zur Perfektion gesteigert. Ihr Auftritt als Maria Stuart ist atemberaubend. Rote Robe, schwarzglänzende Locken, funkelnde Augen – eine wahrhaft königliche Figur. Intellektuell und emotional überzeugend führt sie ihre Rolle vor. Der schillersche Vers allerdings ist eine harte Nuß für sie. Margarita wird weiter daran arbeiten müssen, den russischen Akzent zu minimieren. Annika Martens (zur Erinnerung: Lady Macbeth) ist Elisabeth. Genußvoll kaut sie die Sätze der Vernichtung, ist sprachlich und gestisch bestechend maniriert. Immer wieder verblüfft ihre Bühnenpräsenz. Es gibt diesen Typ SchauspielerInnen: Begegnet man ihnen im Alltag, findet man kein Indiz dafür, wie viele Persönlichkeiten in ihnen aufgehoben sind, darauf warten, sich zu zeigen. Betreten sie die Bühne, sind sie in ihrem Element. Gleichsam wie der Vogel in der Luft fliegen sie, wie der Fisch im Wasser tummeln sie sich und funkeln. Von dieser Spezies sind, auf unterschiedliche Weise, Annika und Margarita. Mit jeder Rolle konnten sie das Handwerk komplettieren, ihr Talent sichern. So soll es weitergehen, wenn das nächste, ihr drittes, Studienjahr beginnt in der »Busch«. Und doch, stets aufs Neue: Alles auf Anfang. Im Unterricht von Professor Michael Keller begegne ich Knut Schultheiss. Für ein paar Monate hospitiert er hier im Fach Schauspielpädagogik. Keller rühmt ihn: »Knut beobachtet gut, beschreibt genau, was er sieht, greift nicht ein, macht keine Vorschläge, teilt jedoch seine Wahrnehmungen der Körpersprache des Studenten sehr präzise mit, hält ihm einen Spiegel vor. Der Agierende kann erkennen, ob er seine Intentionen so umgesetzt hat, daß sie lesbar werden für den Betrachter. Der Student kann also über Schultheiss’ Reflexion weitere Ressourcen erschließen und lernt, das Erarbeitete profunder zu reproduzieren. Schultheiss arbeitet vorrangig am Körper. Schaut, wie der Körper reagiert, was er reflektiert an inneren Vorgängen, wo ›motorische Energie stecken bleibt‹ und gelöst werden muß, damit der Körper ›denken‹ kann im Sinne der Figur. Knut erfindet nicht, er behauptet das Körpergeschehen – im Gegensatz zu mir,« fügt Keller hinzu. ,,Wir gehen sehr verschieden vor, aber es findet Bereicherung statt, Bewußtsein für Körper und Sprache entsteht.« Die Betonung des Körperlichen sei vermutlich biographisch begründet: Schultheiss habe etliche Jahre in Afrika mit Einheimischen gearbeitet. Das macht mich neugierig, ich bitte Knut Schultheiss, mir seinen Lebenslauf zu erzählen. 1958 in Berlin-Köpenick geboren, zur Zeit lebt er von Jobs. Zum Theater, zur Arbeit mit Schauspielern kam er auf Umwegen. Theatergruppe bereits in der Schule. Neugier auf »das Spiel«. Abitur, Bühnenarbeiter in der Volksbühne zur Zeit von Benno Besson. Er genoß den freien Gedankenaustausch der Theaterleute, die Nicht-Reglementierung des Denkens – im Gegensatz zum Zwang während der Armeezeit. Danach Bewerbung an der Schauspielschule. Zweimal. Immatrikulation. Bereits im zweiten Studienjahr kam das Aus. Er hatte sich geweigert, Reserveoffizier zu werden, er verweigerte die Mitgliedschaft in der Freien Deutschen Jugend. »Aber«, sagt er, »ich war auch spielerisch nicht gut, zu der Zeit unfähig, zu artikulieren, was in mir schmorte, reduziert auf Widerspruch.« Trotzdem gab es etliche Angebote von Film und Fernsehen. Sie wurden blockiert durch seine Einberufung zum Reservedienst. Von den Besetzungsbüros der Medienanstalten erfuhr er, daß er auf einer Liste geführt wurde, die anwies, ihm lediglich kleinste Rollen zu geben. Dieser stete Wechsel von Angeboten und Manipulationen zu deren Verhinderung bewegte seine frühen Jahre und nervte. Er beendete die Schauspielerei, bevor sie begonnen hatte. Etliche Jahre bestückte er öffentliche Einrichtungen mit Grünpflanzen. Gute Bezahlung – gutes Leben. Es genügte ihm nicht. Er bewarb sich für eine Regieassistenz bei Gabriele Heinz, die am theater ’89 den »Tiefseefisch« von Marie Luise Fleißer inszenierte (s. Ossietzky 13/99). Seit damals »kribbelt es wieder im Bauch«, er will gemeinsam mit anderen Theater machen. Über freundschaftliche Verbindungen erhielt er im Jahr 2000 eine Einladung zum Studentenfestival nach Simbabwe. Dort, in Harare, befindet sich die Unesco-Filmhochschule für Kamera, Regie und Produktion. Schnell entstand ein Netzwerk aus internationalen Filmemachern, das ihn über den Start hinweg zu einer ganz neuen Erfahrung trug: Schauspielerworkshops mit Einheimischen. Schwarze, Weiße, Inder nahmen sein Angebot an. »Ich paßte da genau rein«, erzählt er, wundert sich aber heute noch, daß er willkommen war. Schultheiss hatte sich mit Materialien der »Busch« und der Filmhochschule Babelsberg versorgt. Er probierte aus. Lernend lehrte er. Anfangs fiel es ihm schwer, die Afrikaner zu verstehen. Ihre Physiognomien erschlossen sich ihm nicht leicht, ihre Körpersprache zu entschlüsseln, gelang ihm erst allmählich. Er mußte »körperliches Sehen« lernen, ihre »einfache, schöne Körpersprache entziffern, die vom Tanz herrührt«. Psychologisches Theater ist dort unbekannt, erzählt er, man arbeitet mit Mitteln des Straßentheaters, mit Gags, die ankommen müssen: Augenrollen, Stampfen, Schreien. Und alles, was ankommt bei ihrem Publikum, wird in Endlosschleife wiederholt. Zuerst mußte er die andere Kultur begreifen, dann konnte er die eigene einbringen. Ihre Spielart zu verfeinern, ihre Energie zu kanalisieren, war sein Ansatz; Improvisation, Aktion, Phantasie zu entwickeln und in Körpersprache umzusetzen, sein Ziel. Seine Arbeit: Pionierarbeit. Einer der Schauspielschüler stand um vier Uhr morgens auf, kam Tag für Tag zu Fuß aus seinem 20 Kilometer entfernten Dorf. Um einen Teil des Weges mit der Bahn fahren zu können, verzichtete er auf die tägliche Ration Mais. Lebensnotwendig wie Brot kann der Hunger nach Kunst, nach eigenem Ausdruck sein. »Solche Erfahrung haut einen um.« Schultheiss betreute Schultheater in Johannesburg, bereitete eine Gruppe Jungschauspieler vor zum Casting für die erste Daily Soap zum Thema Aids-prävention in Simbabwe. Mittlerweile wurden mehr als 200 Folgen gesendet. Nur selten wurde seine Arbeit im Wortsinn honoriert. Ideell vergütet – ja. Er flog zwischen den Workshops nach Deutschland, verdiente Geld, um Leben und Arbeit in Afrika zu sichern. Aus Kapstadt kam das Angebot, an einer kleinen Schauspielschule der Universität zu unterrichten. Die Absicht war, europäisches Theater per Video sinnlich erfahrbar zu machen, die Eindrücke in Seminaren zu vertiefen. Eine weitere Offerte, eine Schauspielschule zu gründen, kam aus Harare. Doch das Land steckt in einer tiefen Krise: Inflation. Wie stets in solchen Zeiten wird zuerst der Kultur das Geld entzogenen. Potentielle Interessenten an seinem Vorhaben verließen wegen der wirtschaftlichen und politischen Misere das Land, suchten irgendwo in der Welt eine Überlebenschance. Folglich platzte das Projekt. Mugabe, Präsident von Simbabwe, ist ein schwerreicher Mann, doch seine »Brüder und Schwestern«, wie er sie nennt, verhungern. Noch verhalten sich die Menschen ruhig. Theaterspielen könnte ihnen helfen, sich zu artikulieren, daran wollte Knut S. mitwirken. Das ist schwieriger geworden. Trotzdem: Schultheiss bleibt nicht in Europa. Vor Jahrzehnten nicht kompatibel für die »Busch«, hat er mittlerweile in Afrika seine Maßstäbe gefunden. Gegenwärtig bringt er seine Erfahrungen auf der »Busch« ein, baut sie gleichzeitig, hospitierend, weiter aus. Mit den gesammelten Schätzen geht er zurück. Nach Afrika. Und dann heißt es auch für ihn wieder: Alles auf Anfang.
Erschienen in Ossietzky 13/2004 |
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