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Inzwischen sind wir gemeinsam den Gefährdungen dieser Werte ausgesetzt. Nach meiner Beobachtung richtet sich die Nostalgie vieler Neubundesbürger gar nicht auf ein spätes DDR-Bild, sondern auf ihren frühen Traum von der Bundesrepublik. Die schmerzliche Kluft zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit, speziell in Ostdeutschland, in meinen Texten immer wieder aufzuzeigen, war für mich der Weg, Fremdheit durch engagiertes Mitgestalten zu überwinden. Dabei konnte ich mich gelegentlich des Eindrucks nicht erwehren, als hätten die Ostdeutschen die verstaubten Zeiten des Radikalenerlasses im Crashkurs nachzuholen. Manche selbsternannte Hüter der Freiheitlich Demokratischen Grundordnung mißbrauchten diese als Synonym für den Status quo und schüchterten Weiterdenkende ein. Gegenstand anhaltender Medienkampagnen zu sein, ist eine ungewöhnliche Gewalterfahrung. Insbesondere, wenn die Glaubwürdigkeit von Argumenten dadurch entwertet werden soll, daß die Glaubwürdigkeit der argumentierenden Person in Frage gestellt wird. Der Springer-Verlag mußte sich zu meinen Gunsten schon zu mehreren Unterlassungserklärungen verpflichten, er hatte deshalb viele tausend Mark Prozeßkosten zu zahlen. Der Konzern hat offenbar dennoch seinen Spaß daran, ohne je mit mir gesprochen zu haben, den gleichen Unfug als nebulöse Mutmaßungen immer weiter zu verbreiten. Ich habe die Verleumdungsfreiheit als Disziplinierungskeule empfunden, die vergessen machen soll, daß Machtfragen zu stellen nicht verboten ist. Da, trotz Abwesenheit eines staatlichen Zensors, über Personen hinausgehende Macht- und Eigentumsfragen nicht ernsthaft gestellt werden, drängt sich die Frage auf, ob die veröffentlichte Meinung die zu erledigende zensorische Arbeit ohne viel Aufhebens, mehr ehrenamtlich und aus alter Gewohnheit, mitübernommen hat. Bei gewissen Themen glauben Ostdeutsche nach wie vor erst mitreden zu dürfen, wenn sie bekannt haben, wie sie es damit in ihrem verdächtigen Vorleben gehalten haben. Also will ich eine Rückblende in meine Zeit vor Einheit-Sturzgeburt einfügen. Normalerweise hatte man in der DDR als Redakteur oder Autor wenig Chancen, eine Zensuranweisung hintergehen zu können. Einmal, Mitte der 70er Jahre, kam ich mit meinen Kollegen vom Jugendfernsehen in Versuchung. Wir hatten eine Jugendbrigade des Walzwerkes Hettstedt interviewt, die sich über den neu eingeführten Leistungslohn beschwerte. Die Jungs vom Hochofen hatten gerade erlebt, wie die Meister den Einzelnen gar nicht bewerten konnten und es zu Ungerechtigkeiten kam. Die aufgebrachten Arbeiter scheuten sich nebenbei bemerkt nicht, die Zustände in den Betrieben und damit deren staatliche Leiter öffentlich zu kritisieren. Das Fremdwort abhängig Beschäftigter hätten sie nicht verstanden, die Bedeutung von Entlassung hatten sie nie erfahren, und Betriebsinterna gab es in einer volkseigenen Wirtschaft fast nur, sobald Rücksicht auf Exporte, also den Markt genommen werden mußte. Bei der Abnahme kam in der Redaktionsleitung wenig Begeisterung auf. Denn die öffentliche Diskussion von Lohnfragen habe sich – ob wir dies vergessen hätten – schon im Juni 1953 nicht bewährt. Dies und das und dies müsse rausgeschnitten werden. Klarer Auftrag für den MAZ-Schnitt in der Nachtschicht. In die sich nie ein Chef verirrte. Und von wo wir das Band ohne weitere Kontrollen direkt ins Sendezentrum zu bringen hatten. Nachts um drei dann, in einer Mischung aus Trotz und Übermüdung, kamen wir zu dem Schluß, der Aufstand damals, als wir kaum geboren waren, sei gerade deshalb ausgebrochen, weil nicht öffentlich über Lohnfragen diskutiert wurde. Und leider hätten wir eben an zwei Stellen die Anweisungen mißverstanden… Die zensierten Äußerungen liefen über den Sender. Ich erzähle dies ohne jeden Anspruch auf Lorbeerlaub, denn wir wußten: Einsperrung gab es für so was nicht mehr, und selbst eine Entlassung gab der Tatbestand, der führenden Arbeiterklasse das Wort erteilt zu haben, nicht her. Der Redaktionsleitung blieb nur, die Notbremse zu ziehen und die von uns mit viel Herzblut entwickelte Sendereihe »Dreieck« einzustellen mit dem Hinweis, wir seien kein richtiges Kollektiv. Ich reagierte begriffsstutzig – näher besehen ein schönes Wort. Wie hatte ich auch annehmen können, ein Kollektiv zeichne sich durch Zusammenhalt und vertrauensvollen Umgang aus, durch gemeinsame Risikobereitschaft und den Mut, trojanische Pferde zu stehlen. Nein, oberstes Kriterium für ein Kollektiv war, daß es sich, ohne zu murren, an die Anweisungen hält. Heute gibt es keine Kollektive mehr und damit natürlich auch keine vergleichbaren Verhaltensweisen. Wenn heute unsinnige Anweisungen ergehen, sind – wer könnte daran zweifeln – sofort alle auf den Barrikaden. Daß das Land nicht voller Barrikaden ist, erklärt sich allein aus dem Mangel an unsinnigen Anweisungen. Zensur schickt sich nicht mehr, in unseren tabulosen Zeiten. Heute werden nicht Textstellen, sondern Finanzmittel gestrichen. Anfang der 90er Jahre hatte ich gute Kontakte zum Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, weil dort ein Projekt lief, das mich interessierte. Man arbeitete an einer Umrechnungsformel von Ost- in Westmark, von Nationaleinkommen in Bruttosozialprodukt, um so eine Basis für die Vergleichbarkeit von Wirtschaftskraft am Ende der DDR und den erwarteten Fortschritten zu haben. Die These vom nur um Haaresbreite vermiedenen wirtschaftlichen Kollaps der DDR galt bis dahin als stabiles Fundament für die Legende, nach der es keine Alternativen gab. Als sich im Institut herausstellte, daß sich das Bild von der völlig bankrotten Zonenwirtschaft schwerlich aufrecht erhalten lassen würde und sich statt dessen das Desaster der gegen jede ökonomische Vernunft organisierten Einheit abzeichnete, wurde die Fortsetzung der laufenden Forschung vom Wirtschaftsministerium durch Streichung der bereits eingeplanten Mittel verhindert. An unseren Vergleichszahlen war die Politik nicht interessiert, hörte ich von den frustrierten Wissenschaftlern. 1994 wurde auch noch die getrennte Rechnungsführung im innerdeutschen Warenverkehr eingestellt, aus der ersichtlich geworden war, daß vierzig Prozent des Verbrauchs im Beitrittsgebiet von draußen finanziert werden muß. Eine dramatische, ja in der Weltgeschichte einmalige Disproportion. Spätestens da konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, das Abschaffen einer aussagefähigen Statistik zur Unzeit und das Wort Verdunkelung kämen gut miteinander aus. So war einige Jahre für relative Ruhe gesorgt. Im Westen wurden die enormen Belastungen vieler Menschen und ihrer Kommunen nicht klaglos, aber einsichtig erduldet, was im Osten durchaus Respekt, Mitgefühl und Dankbarkeit hinterließ. Einzelne warnende Stimmen, der Osten stehe dennoch auf der Kippe oder sei, wie ich damals ergänzte, bereits gekippt, konnten abgetan werden. Seit kurzem zieht der Osten den Westen erneut in den veröffentlichten Abgrund, und plötzlich liegen die Nerven auf beiden Seiten wieder blank. Schuld abladen heißt Emotionen aufladen. Und Unterstützung abziehen. Deutungsmuster sind verteilungsrelevant. Deshalb sehen viele Neubundländler neue Entwertungstorturen auf sie zukommen. Wenn westliche Politiker heute stolz behaupten, seit der Vereinigung habe sich die ostdeutsche Wirtschaftskraft immerhin verdoppelt, geht diese Bilanzfälschung unwidersprochen durch. Dabei ist der Trick leicht zu durchschauen. Nimmt man als Basis das Jahr 1991, in dem durch die überstürzte Währungsunion bereits siebzig Prozent der Industrie abgestürzt war, haben Steigerungsraten keinen großen Aussagewert. Bleibt man aber beim maroden Ende der DDR von 1989, so weisen die zugänglichen Berechnungen und Schätzungen in Ost und West übereinstimmend aus, dass nach nunmehr 14 Jahren trotz gestiegener Effektivität die damalige Wirtschaftsleistung gerade erst wieder erreicht wird. Stichworte aus dem jüngsten gemeinsamen Bericht der Wirtschaftsinstitute zur Entwicklung in Ostdeutschland: Enttäuschend, ausgeprägt strukturschwache Region, Niveau der Insolvenzen deutlich über westdeutschem, Talfahrt, dramatischer Bevölkerungsrückgang, jeder Vierte unterbeschäftigt, verschärfte Zumutbarkeitsregeln eingeführt, Entmutigungseffekte. Die Studie trägt übrigens den schönen Namen: Zweiter Fortschrittsbericht. Da zeigt sich wieder, welch gefährliche Ansteckungsgefahr von der im wildesten Osten immer noch grassierenden Orwellschen Krankheit ausgeht. Symptombedingt wird vergessen, den eigentlichen Fortschritt zu erwähnen: Nach der Vereinigung ist die Zahl der Einkommensmillionäre in den alten Bundesländern um fast vierzig Prozent gestiegen. In den letzten Jahren ist unser schönes Vaterland noch schöner geworden - verblühende Landschaften durch Geldregen auf Goldrouten. Das private Vermögen hat sich verdoppelt, von drei auf sechs Billionen D-Mark. Gleichzeitig hat sich allerdings auch die Staatsverschuldung verdoppelt. Wer Zusammenhänge herstellt, fliegt raus, hat Peter Sloterdijk den Mechanismus der Öffentlichkeit einmal beschrieben. Der Osten wird neuerdings gern als Milliardengrab verdammt. Wäre es nicht ergiebiger, den asozialen Reichtum als Billionengrab zu enttarnen? Daniela Dahn hat über dieses Thema ausführlicher in ihrer Dankrede für den Ludwig-Börne-Preis gesprochen. Im Gegensatz zu allen Vorjahren wurde diesmal die Verleihungsfeier in der Frankfurter Paulskirche in keinem Radio- oder Fernsehsender übertragen; auch die Tagespresse zeigte sich zumeist desinteressiert. Der vollständige Redetext ist verfügbar unter www.danieladahn.de
Erschienen in Ossietzky 13/2004 |
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